Wenn in rechten Kreisen über den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg gesprochen wird, kreist die Bewertung um vier Fragen: Beging Stauffenberg Hochverrat? Beging er Landesverrat, torpedierte er die Verteidigung des Reiches wissentlich und vielleicht sogar in Absprache mit den Alliierten? Waren Stauffenberg und seine Mitverschwörer Stümper, weil sie das Attentat zu spät und nicht erfolgreich durchführten und mit der Bombe ein feiges Mittel wählten, anstatt einen entschlossenen Mann mit einer Pistole aufzutreiben? Und zuletzt: Hatte dieser Umsturzversuch überhaupt irgendeine Aussicht auf Erfolg oder war er zum Zeitpunkt seiner Ausführung bereits nur mehr symbolisch motiviert, also als Geste, als Botschaft für die Zeitgenossen und das künftige Deutschland?
Die Beantwortung dieser Fragen ist kein historischer Zeitvertreib: Je nachdem, wie die Antworten ausfallen, wäre Stauffenberg als Soldat, Mann, Täter ein Fluchtpunkt, auf den eine positive, sogar entlastende, gleichzeitig aber nationalbewußte Traditionslinie zulaufen könnte — oder eben nicht. Die Bemühungen des publizistischen und metapolitischen Milieus der Neuen Rechten in Deutschland zielt auf diesen Traditionsaufbau.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg entstammte altem, katholischem, schwäbischem Adel. Er war ein hochbegabter Offizier, der auf eine Verwendung in höchsten militärischen Rängen vorbereitet wurde. Seine Bildung war umfassend, seine christliche und musische Prägung entscheidend für jene Beurteilungsmaßstäbe, die ihn die Lage stets rückgebunden an zeitlose Größen beurteilen ließen. Stauffenberg war — dieser Umstand ist erst spät beschrieben und in seiner Bedeutung gewürdigt worden — Schüler und Teil des Kreises um den Dichter Stefan George, und daß er „den größten Dichter seiner Zeit zum Lehrmeister“ gehabt und durch ihn und seine Wegweisung zu einem Tat-Leben gefunden habe, hat Stauffenberg immer betont.
Bis zu Georges Tod 1933 stand der aufstrebende Offizier mit seinem Lehrer in enger Verbindung, und George wiederum konnte in Stauffenberg etwas von jenem „neuen adel“ erkennen, auf den das „neue reich“ zu bauen sei. Wie ein roter Faden zieht sich die Beschäftigung Stauffenbergs mit der Dichtung Georges und dem Geist seines Kreises bis über den 20. Juli hinaus — so stammt etwa der Eid, den die Verschwörer selbst ablegten und der nach dem Umsturz zur Richtschnur hätte werden sollen, zum größten Teil aus der Feder des George-Schülers Rudolf Fahrner, der wiederum als einer der ganz wenigen engen Freunde Stauffenbergs die Säuberungswellen nach dem Attentat überlebte.
Man kann ziemlich genau sagen, wann Stauffenbergs Loyalität gegenüber der Heeresführung und Hitler selbst in Unverständnis, Verachtung und Verzweiflung umschlug und schließlich in eine innere und äußere Revolte mündete: Stauffenberg hatte den Polen- und den Frankreichfeldzug als pflichtbewußter und vorbildlicher Offizier mitgemacht, und er wünschte sich nichts mehr als den raschen Sieg der deutschen Waffen. Er war kein Gegner des Nationalsozialismus, sondern ein Anhänger und Befürworter der Idee einer Volksgemeinschaft, in der jeder nach seiner Begabung und seinem Charakter seinen Platz einnehmen und ausfüllen würde, und er verbat sich in seiner adligen und großbürgerlichen Umgebung abschätzige Bemerkungen über Hitler, weil ihm tatsächlich Herkunft weit weniger wichtig war als Leistung.
Erschüttert wurde Stauffenbergs Vertrauen spätestens im Winter 1941/42, als er zu gänzlich anderen Lageeinschätzungen kam als viele seiner Kameraden und Vorgesetzten. Als Major im Generalstab des Ostheeres hatte Stauffenberg genaue Kenntnisse über das tatsächliche Kräfteverhältnis an der Ostfront und ließ sich nicht von den kaum faßbaren Waffentaten der deutschen Frontverbände blenden: Die Verluste und der Verschleiß an Mensch und Material waren hoch und nicht ersetzbar, während die Sowjetunion, die von allen unterschätzt worden war, selbst das Drei- und Vierfache an verlorenen Truppen und Gerät ausgleichen und ihre Kampfkraft sogar steigern konnte.
Daß der deutsche Generalstab in einer solchen Situation weiter angreifen ließ und gegen jede materielle Vernunft Umfassungsoperationen größten Ausmaßes anging, konnte sich Stauffenberg nur als Verblendungsgemisch aus Realitätsferne und weltanschaulich-ideologischem Größenwahn erklären. Nach dem Desaster von Stalingrad war er endgültig entschlossen, das deutsche Volk und Land vor seiner politischen und militärischen Führung in Schutz zu nehmen, und zwar konsequent und keinesfalls abwartend, denn der Verrat der Führung am eigenen Volk legitimierte den Hochverrat und schloß zugleich aus, daß dies mit Landesverrat auch nur in Verbindung gebracht werden könnte.
Alles weitere ist hundertmal zusammengestellt, ergänzt und erzählt worden. Die Namen Goerdeler, v. Tresckow, Leber, Mertz v. Quirnheim, v. Witzleben, v. Haeften und viele andere haben Eingang ins historische Gedächtnis unserer Nation gefunden, der dramatische Verlauf des 20. und 21. Juli 1944 ist bis in die Details der unglücklichen Umstände und Zufälle wie ein Filmstreifen vor dem inneren Auge präsent: die nur zur Hälfte vorbereitete Bombe, der schwere Eichentisch, die Holzbaracke anstelle des für gewöhnlich den Lagebesprechungen vorbehaltenen Bunkers, Stauffenbergs Rückflug, die Unentschlossenheit seiner Mitverschwörer, die „Operation Walküre“, der Zusammenbruch des Staatsstreichs und die Erschießung im Innenhof des Bendlerblocks. Stauffenberg war zweifellos der Motor der praktischen Vorbereitungen und der Geist der ideellen Aufladung des Staatsstreichs zugleich. Was er trotz seiner im Afrikafeldzug erlittenen, schweren Verwundung leistete, nötigte sogar seinen Gegnern im nachhinein Respekt ab. Die Gestapo vermerkte: „Kennzeichnend für die Persönlichkeit Stauffenbergs scheint eine erhebliche Willenskraft und geradezu asketische Härte gegen sich selbst gewesen zu sein.“
Sein letzter Ruf ist in unterschiedlichen Versionen überliefert: „Es lebe das heilige Deutschland“ oder „das geheime Deutschland“ oder nur „Deutschland“? Ein schwieriges Erbe jedenfalls, vor allem für völlig pazifizierte Gemüter. Die Gleichstellung Stauffenbergs mit landesverräterischen Widerstandsgruppen wie der Roten Kapelle ist neben dem Verschweigen militärischer Glanzleistungen der Verschwörer eine der Strategien unserer allem Männlichen und Heldischen entwöhnten Zeit, mit diesem Erbe umzugehen, und das heißt: es auf das Niveau einer Jedermann-Tat zu drücken. Nichts indes wird der Ausnahmegestalt Stauffenberg weniger gerecht.
Bleibt die Frage, ob und wie sehr Stauffenberg überhaupt davon überzeugt war, daß der Staatsstreich gelingen könne. Aus dem Umfeld des Attentäters waren die Stimmen deutlicher, die der Tat einen symbolischen Wert zusprachen und in einem letztlich aussichtslosen Versuch vor allem ein Opfer sahen, einen starken Beweis dafür, daß es Maß in maßloser Zeit gegeben habe. Wenn nun aber schon der Anspruch, als Mann, Täter, Held zu leben, heute so sehr aus der Zeit gefallen ist, wie ist es dann erst mit der Idee des Opfers? Stauffenberg scheint der BRD als Anti-Hitler-Formel nahe zu sein; seinem Wesenskern nach ist er der Gegenentwurf zur Nomenklatura unserer Zeit. Und damit zurück zu den Eingangsfragen: ja, Hochverrat; nein, kein Landesverrat; ja, unprofessionelle Wahl der Mittel; und ja, vor allem eine große Geste und für uns Nachgeborene: ein reinigendes Ideal.
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Literatur:
- Wolfgang Venohr: Stauffenberg. Eine politische Biographie, Frankfurt a.M. 1986
- Eberhard Zeller: Geist der Freiheit. Der zwanzigste Juli, München 1952