1944 — Stauffenberg verübt das Attentat auf Hitler

Wenn in recht­en Kreisen über den Hitler-Atten­täter Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg gesprochen wird, kreist die Bew­er­tung um vier Fra­gen: Beg­ing Stauf­fen­berg Hochver­rat? Beg­ing er Lan­desver­rat, tor­pedierte er die Vertei­di­gung des Reich­es wissentlich und vielle­icht sog­ar in Absprache mit den Alli­ierten? Waren Stauf­fen­berg und seine Mitver­schwör­er Stüm­per, weil sie das Atten­tat zu spät und nicht erfol­gre­ich durch­führten und mit der Bombe ein feiges Mit­tel wählten, anstatt einen entschlosse­nen Mann mit ein­er Pis­tole aufzutreiben? Und zulet­zt: Hat­te dieser Umsturzver­such über­haupt irgen­deine Aus­sicht auf Erfolg oder war er zum Zeit­punkt sein­er Aus­führung bere­its nur mehr sym­bol­isch motiviert, also als Geste, als Botschaft für die Zeitgenossen und das kün­ftige Deutsch­land?

Die Beant­wor­tung dieser Fra­gen ist kein his­torisch­er Zeitvertreib: Je nach­dem, wie die Antworten aus­fall­en, wäre Stauf­fen­berg als Sol­dat, Mann, Täter ein Flucht­punkt, auf den eine pos­i­tive, sog­ar ent­las­tende, gle­ichzeit­ig aber nation­al­be­wußte Tra­di­tion­slin­ie zulaufen kön­nte — oder eben nicht. Die Bemühun­gen des pub­lizis­tis­chen und metapoli­tis­chen Milieus der Neuen Recht­en in Deutsch­land zielt auf diesen Tra­di­tion­sauf­bau.

Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg entstammte altem, katholis­chem, schwäbis­chem Adel. Er war ein hochbe­gabter Offizier, der auf eine Ver­wen­dung in höch­sten mil­itärischen Rän­gen vor­bere­it­et wurde. Seine Bil­dung war umfassend, seine christliche und musis­che Prä­gung entschei­dend für jene Beurteilungs­maßstäbe, die ihn die Lage stets rück­ge­bun­den an zeit­lose Größen beurteilen ließen. Stauf­fen­berg war — dieser Umstand ist erst spät beschrieben und in sein­er Bedeu­tung gewürdigt wor­den — Schüler und Teil des Kreis­es um den Dichter Ste­fan George, und daß er „den größten Dichter sein­er Zeit zum Lehrmeis­ter“ gehabt und durch ihn und seine Weg­weisung zu einem Tat-Leben gefun­den habe, hat Stauf­fen­berg immer betont.

Bis zu Georges Tod 1933 stand der auf­strebende Offizier mit seinem Lehrer in enger Verbindung, und George wiederum kon­nte in Stauf­fen­berg etwas von jen­em „neuen adel“ erken­nen, auf den das „neue reich“ zu bauen sei. Wie ein rot­er Faden zieht sich die Beschäf­ti­gung Stauf­fen­bergs mit der Dich­tung Georges und dem Geist seines Kreis­es bis über den 20. Juli hin­aus — so stammt etwa der Eid, den die Ver­schwör­er selb­st ablegten und der nach dem Umsturz zur Richtschnur hätte wer­den sollen, zum größten Teil aus der Fed­er des George-Schülers Rudolf Fahrn­er, der wiederum als ein­er der ganz weni­gen engen Fre­unde Stauf­fen­bergs die Säu­berungswellen nach dem Atten­tat über­lebte.

Man kann ziem­lich genau sagen, wann Stauf­fen­bergs Loy­al­ität gegenüber der Heeres­führung und Hitler selb­st in Unver­ständ­nis, Ver­ach­tung und Verzwei­flung umschlug und schließlich in eine innere und äußere Revolte mün­dete: Stauf­fen­berg hat­te den Polen- und den Frankre­ich­feldzug als pflicht­be­wußter und vor­bildlich­er Offizier mit­gemacht, und er wün­schte sich nichts mehr als den raschen Sieg der deutschen Waf­fen. Er war kein Geg­n­er des Nation­al­sozial­is­mus, son­dern ein Anhänger und Befür­worter der Idee ein­er Volks­ge­mein­schaft, in der jed­er nach sein­er Begabung und seinem Charak­ter seinen Platz ein­nehmen und aus­füllen würde, und er ver­bat sich in sein­er adli­gen und großbürg­er­lichen Umge­bung abschätzige Bemerkun­gen über Hitler, weil ihm tat­säch­lich Herkun­ft weit weniger wichtig war als Leis­tung.

Erschüt­tert wurde Stauf­fen­bergs Ver­trauen spätestens im Win­ter 1941/42, als er zu gän­zlich anderen Lageein­schätzun­gen kam als viele sein­er Kam­er­aden und Vorge­set­zten. Als Major im Gen­er­al­stab des Ostheeres hat­te Stauf­fen­berg genaue Ken­nt­nisse über das tat­säch­liche Kräftev­er­hält­nis an der Ost­front und ließ sich nicht von den kaum faßbaren Waf­fen­tat­en der deutschen Frontver­bände blenden: Die Ver­luste und der Ver­schleiß an Men­sch und Mate­r­i­al waren hoch und nicht erset­zbar, während die Sow­je­tu­nion, die von allen unter­schätzt wor­den war, selb­st das Drei- und Vier­fache an ver­lore­nen Trup­pen und Gerät aus­gle­ichen und ihre Kampfkraft sog­ar steigern kon­nte.

Daß der deutsche Gen­er­al­stab in ein­er solchen Sit­u­a­tion weit­er angreifen ließ und gegen jede materielle Ver­nun­ft Umfas­sung­sop­er­a­tio­nen größten Aus­maßes anging, kon­nte sich Stauf­fen­berg nur als Verblendungs­gemisch aus Real­itäts­ferne und weltan­schaulich-ide­ol­o­gis­chem Größen­wahn erk­lären. Nach dem Desaster von Stal­in­grad war er endgültig entschlossen, das deutsche Volk und Land vor sein­er poli­tis­chen und mil­itärischen Führung in Schutz zu nehmen, und zwar kon­se­quent und keines­falls abwartend, denn der Ver­rat der Führung am eige­nen Volk legit­imierte den Hochver­rat und schloß zugle­ich aus, daß dies mit Lan­desver­rat auch nur in Verbindung gebracht wer­den kön­nte.

Alles weit­ere ist hun­dert­mal zusam­mengestellt, ergänzt und erzählt wor­den. Die Namen Goerdel­er, v. Tresck­ow, Leber, Mertz v. Quirn­heim, v. Wit­zleben, v. Haeften und viele andere haben Ein­gang ins his­torische Gedächt­nis unser­er Nation gefun­den, der drama­tis­che Ver­lauf des 20. und 21. Juli 1944 ist bis in die Details der unglück­lichen Umstände und Zufälle wie ein Film­streifen vor dem inneren Auge präsent: die nur zur Hälfte vor­bere­it­ete Bombe, der schwere Eichen­tisch, die Holzbaracke anstelle des für gewöhn­lich den Lagebe­sprechun­gen vor­be­hal­te­nen Bunkers, Stauf­fen­bergs Rück­flug, die Unentschlossen­heit sein­er Mitver­schwör­er, die „Oper­a­tion Walküre“, der Zusam­men­bruch des Staatsstre­ichs und die Erschießung im Innen­hof des Bendlerblocks. Stauf­fen­berg war zweifel­los der Motor der prak­tis­chen Vor­bere­itun­gen und der Geist der ideellen Aufladung des Staatsstre­ichs zugle­ich. Was er trotz sein­er im Afrikafeldzug erlit­te­nen, schw­eren Ver­wun­dung leis­tete, nötigte sog­ar seinen Geg­n­ern im nach­hinein Respekt ab. Die Gestapo ver­merk­te: „Kennze­ich­nend für die Per­sön­lichkeit Stauf­fen­bergs scheint eine erhe­bliche Wil­len­skraft und ger­adezu asketis­che Härte gegen sich selb­st gewe­sen zu sein.“

Sein let­zter Ruf ist in unter­schiedlichen Ver­sio­nen über­liefert: „Es lebe das heilige Deutsch­land“ oder „das geheime Deutsch­land“ oder nur „Deutsch­land“? Ein schwieriges Erbe jeden­falls, vor allem für völ­lig paz­i­fizierte Gemüter. Die Gle­ich­stel­lung Stauf­fen­bergs mit lan­desver­rä­ter­ischen Wider­stands­grup­pen wie der Roten Kapelle ist neben dem Ver­schweigen mil­itärisch­er Glan­zleis­tun­gen der Ver­schwör­er eine der Strate­gien unser­er allem Männlichen und Held­is­chen entwöh­n­ten Zeit, mit diesem Erbe umzuge­hen, und das heißt: es auf das Niveau ein­er Jed­er­mann-Tat zu drück­en. Nichts indes wird der Aus­nah­megestalt Stauf­fen­berg weniger gerecht.

Bleibt die Frage, ob und wie sehr Stauf­fen­berg über­haupt davon überzeugt war, daß der Staatsstre­ich gelin­gen könne. Aus dem Umfeld des Atten­täters waren die Stim­men deut­lich­er, die der Tat einen sym­bol­is­chen Wert zus­prachen und in einem let­ztlich aus­sicht­slosen Ver­such vor allem ein Opfer sahen, einen starken Beweis dafür, daß es Maß in maßlos­er Zeit gegeben habe. Wenn nun aber schon der Anspruch, als Mann, Täter, Held zu leben, heute so sehr aus der Zeit gefall­en ist, wie ist es dann erst mit der Idee des Opfers? Stauf­fen­berg scheint der BRD als Anti-Hitler-Formel nahe zu sein; seinem Wesenskern nach ist er der Gege­nen­twurf zur Nomen­klatu­ra unser­er Zeit. Und damit zurück zu den Ein­gangs­fra­gen: ja, Hochver­rat; nein, kein Lan­desver­rat; ja, unpro­fes­sionelle Wahl der Mit­tel; und ja, vor allem eine große Geste und für uns Nachge­borene: ein reini­gen­des Ide­al.

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Lit­er­atur:

  • Wolf­gang Venohr: Stauf­fen­berg. Eine poli­tis­che Biogra­phie, Frank­furt a.M. 1986
  • Eber­hard Zeller: Geist der Frei­heit. Der zwanzig­ste Juli, München 1952