919 — Heinrich I. wird zum König erhoben

Die Deutschen haben mit ihren poli­tis­chen Führun­gen oft kein Glück. Stre­it, Über­he­blichkeit, man­gel­nde poli­tis­che Ein­sicht in die Begren­ztheit der Mit­tel, Ver­ach­tung des eige­nen Volkes und Erlö­sungsträume mit­tels supra­na­tionaler Gebilde — das Aus­ge­wo­gene, Maßvolle, Väter­liche scheint bei uns sel­ten an die Spitze des Staates zu gelan­gen. Der Grün­der des Deutschen Reich­es, König Hein­rich I., war indes ein Glücks­fall für den zer­strit­te­nen, ost­fränkischen Teil aus der Erb­masse Karls des Großen und Lud­wigs des Deutschen. Hein­rich war eine „geerdete“ Führergestalt, der das Bewußt­sein eigen­er Größe und Begabung nicht zu Kopfe stieg und ihn nicht zu einem jen­er maßlosen Exzen­trik­er machte, von denen so viele uns auf dem Gang durch unsere Geschichte begeg­nen.

Wie war die Lage? Das ost­fränkische Reich war nach Lud­wigs Tod im Jahr 786, dem Geburt­s­jahr Hein­richs, ohne starke, zen­trale Führung. Unter den deutschen Herzö­gen war der säch­sis­che der mächtig­ste, Sach­sen reichte damals von der Saale bis nach West­falen und von Nordthürin­gen bis an die dänis­che Gren­ze. Den­noch ging die Königskro­ne nach dem Tod Lud­wigs des Kinds 911 nicht an Hein­richs Vater, Otto von Sach­sen, son­dern an den Franken­her­zog Kon­rad. Diesem gelang es in sein­er kurzen, wenig glück­lichen Regentschaft nicht, die bei­den Grun­dauf­gaben zu lösen, die jedem Herrsch­er über das ost­fränkische Ter­ri­to­ri­um aufgegeben waren: die Stammes­fe­hden zu been­den und die aus dem Osten anre­i­t­en­den Ungarn zurück­zuschla­gen. Kon­rad war als König eine Über­gangslö­sung, und wenn es etwas gibt, das an ihm königswürdig war, so ist es seine Entschei­dung, seinen seit 912 als Her­zog in Sach­sen herrschen­den Wider­sach­er Hein­rich als seinen Nach­fol­ger zu empfehlen.

Was fol­gte, ist jene Szene, die Ein­gang in Lieder und Gedichte fand und zur Volk­stüm­lichkeit Hein­richs beitrug: Er habe am „Vogel­herd“ gesessen, als der Bote mit der Nachricht kam, man trage ihm die Königskro­ne an und erhoffe sich von ihm die Eini­gung des Reich­es. Tat­säch­lich war es so, daß sich Eber­hard von Franken in das Unver­mei­dliche schick­te, die verge­blichen Bemühun­gen seines Brud­ers Kon­rad auch für sich voraus­sah und deshalb die Reichsin­signien an Hein­rich über­gab, um wenig später neben den Sach­sen als Franke dem neuen König in Frit­zlar zu huldigen. Her­zog Bur­chard von Schwaben zog noch im sel­ben Jahr nach, Her­zog Arnulf von Bay­ern fol­gte im Jahr 921, und 925 vere­inigte Hein­rich zu guter Let­zt noch Lothrin­gen mit dem Deutschen Reich. Was wie eine logis­che Abfolge von Arrondierungss­chrit­ten wirkt, war in Wirk­lichkeit eine nicht für möglich gehal­tene Leis­tung: Aus dem Kreis der untere­inan­der um Besitzun­gen und Ein­fluß rin­gen­den Stammesh­erzöge war ein­er aufge­s­tanden, der den mit der Königskro­ne ver­bun­de­nen Führungsanspruch durch­set­zte. Die Kro­ne erhielt durch Hein­rich ihre Würde zurück, wo sie zuvor (und zumal unter Kon­rad) nur wie eine Art Tra­cht gewirkt hat­te.

Damit war die eine der bei­den Bedro­hun­gen des Reich­es gelöst. Blieb die zweite, die sich während der inter­nen Ord­nungs- und Eini­gungs­be­mühun­gen vehe­ment in Erin­nerung brachte, indem sie die Befriedung der Auseinan­der­set­zun­gen ger­adezu hin­ter­trieb: Gegen einzelne Stämme behiel­ten die Ungarn bei ihren fast jährlichen Ein­fällen ins Reichs­ge­bi­et stets die Ober­hand, während stärkere Heeresver­bände den mag­yarischen Reit­er­hor­den bere­its schwere Nieder­la­gen beige­bracht hat­ten (etwa 913 am Inn). Neu­tral­itätsverträge der Bay­ern mit den Ungarn öffneten die Tore nach Schwaben, fränkisches Still­hal­ten ermöglichte den Durchritt nach Sach­sen und die Gele­gen­heit, die deutschen Stämme gegeneinan­der auszus­pie­len.

Das Jahr 924 leit­ete eine Wende ein: Die Ungarn demon­stri­erten ihre Macht mit einem wuchti­gen Stoß nach Sach­sen, König Hein­rich mied die Feld­schlacht und zog sich in seine Burg Wer­la bei Goslar zurück: Befes­tigte Plätze zu erobern war nicht die Stärke der Ungarn. Im Zuge der kurzen Belagerung gelang es den Sach­sen, einen der mag­yarischen Heer­führer festzuset­zen — eine Geisel von so hohem Rang, daß die Ungarn let­ztlich zu einem von Hein­rich angestrebten Ver­trag bere­it waren: Gegen die Freilas­sung der Geisel und eine jährliche Trib­utzahlung set­zten die Ungarn ihr Wort ein, das Ter­ri­to­ri­um des Deutschen Reich­es neun Jahre lang nicht anzu­greifen. Es war dies für die deutschen Herzöge noch ein­mal ein stark­er Beweis dafür, daß Hein­rich gesamt­deutsch dachte, denn er hätte die Ver­hand­lun­gen bere­its viel früher mit einem Sep­a­rat­frieden für Sach­sen abschließen kön­nen.

Hein­rich nutzte die Zeit für drei entschei­dende Verbesserun­gen sein­er mil­itärischen Stärke. Zum einen stellte er ein Reit­er­heer auf und ließ es tak­tisch für den Kampf gegen die berit­te­nen Ungarn schulen: Die bish­er als Einzelkämpfer agieren­den Rit­ter wur­den zu Ein­heit­en zusam­menge­faßt, die in Ver­bän­den operieren kon­nten. Zum andern erließ er eine Burgenord­nung, die Grund­lage für eine Ver­mehrung des Bestands an befes­tigten Plätzen und Rück­zug­sorten für sein Volk war: Die Ungarn wür­den in ein leeres Land vorstoßen. Zulet­zt unter­warf Hein­rich in mehreren Feldzü­gen die den Sach­sen im Osten vorge­lagerten Slawen­stämme und unter­sagte ihnen jegliche Unter­stützung oder Ver­sorgung der anre­i­t­en­den Ungarn. Daß Hein­rich neben­bei seine neue Reit­erei erproben ließ, ver­ste­ht sich von selb­st.

Hein­rich kündigte den Trib­utver­trag 932, ein Jahr vor Ablauf der Frist. Er sah sich gerüstet und demütigte die ungarische Gesandtschaft, um eine rasche Entschei­dung zu erzwin­gen. Die Stre­it­macht der Ungarn brach dann auch im März 933 in Ost­thürin­gen ein. Ihr west­lich­er Arm wurde von einem aus allen Reich­steilen zusam­mengestell­ten Heer ver­nich­t­end geschla­gen. Am 15. März 933 kam es dann zum entschei­den­den Tre­f­fen, es ist als Schlacht von Riade in die Chroniken einge­gan­gen. Hein­rich selb­st führte das Heer, die Ungarn wur­den ger­adezu aufgerieben. Der Chro­nist Widukind von Cor­vey pries den König als „Vater des Vater­lands, als Herr, Gebi­eter und Imper­a­tor“. Hein­richs Sohn Otto sollte 955 auf dem Lech­feld die Ungarn endgültig in ihre Schranken weisen, unter dem Zeichen der Heili­gen Lanze, die sein Vater 935 aus Bur­gund erwor­ben hat­te. Hein­rich selb­st starb 936 in Mem­leben.

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Lit­er­atur:

  • Hell­mut Diwald: Hein­rich der Erste. Die Grün­dung des Deutschen Reich­es, Ber­gisch Glad­bach 1987
  • Wolf­gang Giese: Hein­rich I. Begrün­der der ottonis­chen Herrschaft, Darm­stadt 2008
  • Wil­helm von Giese­brecht: Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. 1:  Grün­dung des Kaiser­tums, Braun­schweig 1860