Die Deutschen haben mit ihren politischen Führungen oft kein Glück. Streit, Überheblichkeit, mangelnde politische Einsicht in die Begrenztheit der Mittel, Verachtung des eigenen Volkes und Erlösungsträume mittels supranationaler Gebilde — das Ausgewogene, Maßvolle, Väterliche scheint bei uns selten an die Spitze des Staates zu gelangen. Der Gründer des Deutschen Reiches, König Heinrich I., war indes ein Glücksfall für den zerstrittenen, ostfränkischen Teil aus der Erbmasse Karls des Großen und Ludwigs des Deutschen. Heinrich war eine „geerdete“ Führergestalt, der das Bewußtsein eigener Größe und Begabung nicht zu Kopfe stieg und ihn nicht zu einem jener maßlosen Exzentriker machte, von denen so viele uns auf dem Gang durch unsere Geschichte begegnen.
Wie war die Lage? Das ostfränkische Reich war nach Ludwigs Tod im Jahr 786, dem Geburtsjahr Heinrichs, ohne starke, zentrale Führung. Unter den deutschen Herzögen war der sächsische der mächtigste, Sachsen reichte damals von der Saale bis nach Westfalen und von Nordthüringen bis an die dänische Grenze. Dennoch ging die Königskrone nach dem Tod Ludwigs des Kinds 911 nicht an Heinrichs Vater, Otto von Sachsen, sondern an den Frankenherzog Konrad. Diesem gelang es in seiner kurzen, wenig glücklichen Regentschaft nicht, die beiden Grundaufgaben zu lösen, die jedem Herrscher über das ostfränkische Territorium aufgegeben waren: die Stammesfehden zu beenden und die aus dem Osten anreitenden Ungarn zurückzuschlagen. Konrad war als König eine Übergangslösung, und wenn es etwas gibt, das an ihm königswürdig war, so ist es seine Entscheidung, seinen seit 912 als Herzog in Sachsen herrschenden Widersacher Heinrich als seinen Nachfolger zu empfehlen.
Was folgte, ist jene Szene, die Eingang in Lieder und Gedichte fand und zur Volkstümlichkeit Heinrichs beitrug: Er habe am „Vogelherd“ gesessen, als der Bote mit der Nachricht kam, man trage ihm die Königskrone an und erhoffe sich von ihm die Einigung des Reiches. Tatsächlich war es so, daß sich Eberhard von Franken in das Unvermeidliche schickte, die vergeblichen Bemühungen seines Bruders Konrad auch für sich voraussah und deshalb die Reichsinsignien an Heinrich übergab, um wenig später neben den Sachsen als Franke dem neuen König in Fritzlar zu huldigen. Herzog Burchard von Schwaben zog noch im selben Jahr nach, Herzog Arnulf von Bayern folgte im Jahr 921, und 925 vereinigte Heinrich zu guter Letzt noch Lothringen mit dem Deutschen Reich. Was wie eine logische Abfolge von Arrondierungsschritten wirkt, war in Wirklichkeit eine nicht für möglich gehaltene Leistung: Aus dem Kreis der untereinander um Besitzungen und Einfluß ringenden Stammesherzöge war einer aufgestanden, der den mit der Königskrone verbundenen Führungsanspruch durchsetzte. Die Krone erhielt durch Heinrich ihre Würde zurück, wo sie zuvor (und zumal unter Konrad) nur wie eine Art Tracht gewirkt hatte.
Damit war die eine der beiden Bedrohungen des Reiches gelöst. Blieb die zweite, die sich während der internen Ordnungs- und Einigungsbemühungen vehement in Erinnerung brachte, indem sie die Befriedung der Auseinandersetzungen geradezu hintertrieb: Gegen einzelne Stämme behielten die Ungarn bei ihren fast jährlichen Einfällen ins Reichsgebiet stets die Oberhand, während stärkere Heeresverbände den magyarischen Reiterhorden bereits schwere Niederlagen beigebracht hatten (etwa 913 am Inn). Neutralitätsverträge der Bayern mit den Ungarn öffneten die Tore nach Schwaben, fränkisches Stillhalten ermöglichte den Durchritt nach Sachsen und die Gelegenheit, die deutschen Stämme gegeneinander auszuspielen.
Das Jahr 924 leitete eine Wende ein: Die Ungarn demonstrierten ihre Macht mit einem wuchtigen Stoß nach Sachsen, König Heinrich mied die Feldschlacht und zog sich in seine Burg Werla bei Goslar zurück: Befestigte Plätze zu erobern war nicht die Stärke der Ungarn. Im Zuge der kurzen Belagerung gelang es den Sachsen, einen der magyarischen Heerführer festzusetzen — eine Geisel von so hohem Rang, daß die Ungarn letztlich zu einem von Heinrich angestrebten Vertrag bereit waren: Gegen die Freilassung der Geisel und eine jährliche Tributzahlung setzten die Ungarn ihr Wort ein, das Territorium des Deutschen Reiches neun Jahre lang nicht anzugreifen. Es war dies für die deutschen Herzöge noch einmal ein starker Beweis dafür, daß Heinrich gesamtdeutsch dachte, denn er hätte die Verhandlungen bereits viel früher mit einem Separatfrieden für Sachsen abschließen können.
Heinrich nutzte die Zeit für drei entscheidende Verbesserungen seiner militärischen Stärke. Zum einen stellte er ein Reiterheer auf und ließ es taktisch für den Kampf gegen die berittenen Ungarn schulen: Die bisher als Einzelkämpfer agierenden Ritter wurden zu Einheiten zusammengefaßt, die in Verbänden operieren konnten. Zum andern erließ er eine Burgenordnung, die Grundlage für eine Vermehrung des Bestands an befestigten Plätzen und Rückzugsorten für sein Volk war: Die Ungarn würden in ein leeres Land vorstoßen. Zuletzt unterwarf Heinrich in mehreren Feldzügen die den Sachsen im Osten vorgelagerten Slawenstämme und untersagte ihnen jegliche Unterstützung oder Versorgung der anreitenden Ungarn. Daß Heinrich nebenbei seine neue Reiterei erproben ließ, versteht sich von selbst.
Heinrich kündigte den Tributvertrag 932, ein Jahr vor Ablauf der Frist. Er sah sich gerüstet und demütigte die ungarische Gesandtschaft, um eine rasche Entscheidung zu erzwingen. Die Streitmacht der Ungarn brach dann auch im März 933 in Ostthüringen ein. Ihr westlicher Arm wurde von einem aus allen Reichsteilen zusammengestellten Heer vernichtend geschlagen. Am 15. März 933 kam es dann zum entscheidenden Treffen, es ist als Schlacht von Riade in die Chroniken eingegangen. Heinrich selbst führte das Heer, die Ungarn wurden geradezu aufgerieben. Der Chronist Widukind von Corvey pries den König als „Vater des Vaterlands, als Herr, Gebieter und Imperator“. Heinrichs Sohn Otto sollte 955 auf dem Lechfeld die Ungarn endgültig in ihre Schranken weisen, unter dem Zeichen der Heiligen Lanze, die sein Vater 935 aus Burgund erworben hatte. Heinrich selbst starb 936 in Memleben.
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Literatur:
- Hellmut Diwald: Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches, Bergisch Gladbach 1987
- Wolfgang Giese: Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft, Darmstadt 2008
- Wilhelm von Giesebrecht: Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. 1: Gründung des Kaisertums, Braunschweig 1860