Stauffenberg, Alexander Schenk Graf von, Althistoriker, 1915–1964

Alexan­der von Stauf­fen­berg wurde am 15. März 1905 in Stuttgart geboren. Zusam­men mit seinem Zwill­ings­brud­er Berthold und dem über zwei Jahre jün­geren Claus wuchs der altem schwäbis­chen Adel entstam­mende Graf, der über seine Mut­ter auch ein Nach­fahre Gneise­naus war, teils in Stuttgart auf, wo die Eltern am Hof des let­zten würt­tem­ber­gis­chen Königs eine hohe Stel­lung ein­nah­men, teils auf dem Fam­i­lien­sitz in Laut­lin­gen auf der Alb.

Zu den in der Jugend gelegten Grund­la­gen sein­er Geistigkeit gehörte die selb­stver­ständlich über­nommene Verpflich­tung zur Bil­dung ein­er aris­tokratis­chen Exis­tenz und ihrer Ver­ant­wor­tung gegenüber dem Ganzen, die Ver­wurzelung im katholis­chen Glauben und eine noch stärk­er als bei seinen Brüdern aus­geprägte musis­che Nei­gung, die durch das Erleben großer Dich­tung (beson­ders die Weimar­er Klas­sik, Hölder­lin, Niet­zsche, Rilke – mit dem die Mut­ter kor­re­spondierte –, Hof­mannsthal, George) zu eige­nen dich­ter­ischen Ver­suchen führte. Ästhetis­che Wahrnehmungen soll­ten auch für Stauf­fen­bergs späteren Zugang zur Klas­sis­chen Alter­tum­swis­senschaft maßge­blich wer­den.

Am Ende seines 1923 aufgenomme­nen bre­it gefächerten Studi­ums wurde Stauf­fen­berg 1928 in Halle von dem Alth­is­torik­er Wil­helm Weber pro­moviert, den er 1924 auf ein­er Ital­ien­reise begleit­ete und dessen mit per­sön­lich­er Emphase in einem geschlif­f­e­nen Stil vor­ge­tra­gene, method­isch orig­inelle Geschichts­bilder auf dem akademis­chen Feld den eige­nen Nei­gun­gen Stauf­fen­bergs ent­ge­genka­men. Die aus­sicht­sre­iche wis­senschaftliche Kar­riere in dem großen Schülerkreis Webers wurde nach der Habil­i­ta­tion 1931 in Würzburg und einem Ruf an die Reich­suni­ver­sität Straßburg, dem er nicht fol­gen kon­nte, durch mil­itärische Ein­beru­fun­gen, Kriegs­di­enst an der West- wie Ost­front und zweima­lige Kriegsver­wun­dung (1942 und 1943) unter­brochen.

Die entschei­dende Prä­gung erhielt der junge Stauf­fen­berg jedoch seit 1923 durch die Begeg­nung mit Ste­fan George. Bei diesem selb­st eher hin­ter seinen bei­den Brüdern zurück­ste­hend, war die geistige Wirkung, die der „Meis­ter“ auf ihn ausübte, doch bezwin­gend und tief­greifend und ergab sich aus der Nähe zu ihm und anderen Ange­höri­gen des Kreis­es oder ihm Nah­este­hen­den, ins­beson­dere ein­er Rei­he von Alter­tum­swis­senschaftlern und His­torik­ern, for­t­an die dominierende geistige Ori­en­tierung. Stauf­fen­berg bekan­nte sich dazu in einem großen Gedicht zum zehn­ten Todestag Georges ein­dringlich (Der Tod des Meis­ters, abgeschlossen 1943) und beze­ich­nete sich noch 1958 als seinen let­zten „Leibknap­pen“.

Im Früh­jahr 1944 wurde Stauf­fen­berg nach Athen ver­set­zt und arbeit­ete auch mit Rudolf Fahrn­er vom Deutschen Wis­senschaftlichen Insti­tut zusam­men. Diese glück­liche Fügung begün­stigte, daß, nach­dem er infolge des 20. Juli in Sip­pen­haft genom­men wor­den war, ihm eine direk­te Beteili­gung an dem Atten­tat nicht nachgewiesen wer­den kon­nte. Die let­zten Kriegsmonate über­lebte er in ver­schiede­nen Haf­tanstal­ten und Konzen­tra­tionslagern. Ver­häng­nis und Unter­gang bestand er mit der Kraft aus Glauben und dem Ide­al des Dicht­ens.

Seine Frau Melit­ta, eine hochdeko­ri­erte Test­pi­lotin und Flug­in­ge­nieurin, küm­merte sich um alle Stauf­fen­bergs und ihren Mann mit großer Hingabe und kam bei dem Ver­such, ihn kurz vor Kriegsende per Flugzeug zu befreien, von amerikanis­chen Jägern abgeschossen, tragisch ums Leben. Bis 1948 lebte Stauf­fen­berg bei seinem Fre­und Fahrn­er am Bodensee und wurde 1948 auf das alth­is­torische Ordi­nar­i­at in München berufen, das er bis zu seinem Tod ver­sah – auch im akademis­chen Rah­men durch seine wahrhaft adlige Per­sön­lichkeit her­aus­ra­gend. Seine Erfahrun­gen ließen ihn in den fün­fziger Jahren mehrfach öffentlich poli­tisch Stel­lung beziehen, und er kri­tisierte etwa Wieder­be­waffnung und atom­are Rüs­tung und die Untätigkeit der Ade­nauer-Regierun­gen in Sachen Wiedervere­ini­gung.

Stauf­fen­bergs wis­senschaftlich­es Oeu­vre hat die Entwick­lung der Alth­is­to­rie in der Nachkriegszeit nur wenig bee­in­flußt. Sein Geschichts­denken ori­en­tierte sich, Georgeschen Maßstäben getreu, an dem seit Hum­boldt und Niet­zsche die his­toris­tisch eingestellte Fach­wis­senschaft stets beun­ruhi­gen­den Grund­satz, daß Ver­gan­ge­nes nur aus den höch­sten Fra­gen der Gegen­wart gedeutet wer­den kann. Er wandte sich den epochalen Umbruch­szeit­en und ihren großen Schöpfer­gestal­ten am Beginn und am Ende der Antike zu, wo er Idee und Geis­te­shal­tung des europäis­chen Men­schen in reinen For­men aufleucht­en sah. Geschichte war ihm Teil eines Lebens im Geiste, bei dem sich Erken­nt­nis von intu­itivem Gewahrw­er­den in der dich­ter­ischen For­mung nicht tren­nen ließ.

Ein weit­eres bedeu­ten­des Ver­mächt­nis hin­ter­ließ Stauf­fen­berg, indem er schon bald nach Georges Tod trotz allem Auseinan­der­streben der Schick­sale der ehe­mals im Kreis Gefre­un­de­ten auf ihrer Gemein­samkeit im Geiste des Meis­ters bestand. Er wollte nicht zulassen, daß „jene zwölfjährige Fratze (…) eine Geis­terge­mein­schaft sollte spren­gen dür­fen“ (Brief an Ernst Kan­torow­icz 1947), deren innere Verbindung er in der dich­ter­ischen Verge­gen­wär­ti­gung von Georges „Hin­gang“ (Tod des Meis­ters) beschwor. Verge­blich, wie schon die Jahre von Emi­gra­tion und Kol­lab­o­ra­tion und dann die Nachkriegszeit erweisen soll­ten. Das aber ver­dunkelte in seinen Augen das Gedenken an die Tat der Brüder und ließ ihren Opfer­gang im Namen des „Geheimen Deutsch­land“ umson­st erscheinen.

Auch hierge­gen bäumte sich der Über­lebende mit aller Kraft auf. In den Jahren nach Kriegsende ent­stand der Gedichtzyk­lus – er wurde erst kurz nach dem Tod des Dichters 1964 pub­liziert –, mit dem Alexan­der, „zeug­nis von den toten gebend zugle­ich sich selb­st bezeugt“ (Fahrn­er). Seine Brüder Berthold und Claus hiel­ten ihn aus den konkreten Kon­tex­ten ihrer Ver­schwörung her­aus – welche prak­tis­che Rolle hätte er darin spie­len kön­nen? Obwohl er um die Pläne zweifel­los wußte, wurde er darum bewahrt und kon­nte Kunde geben vom gemein­samen Geist, aus dem der Tyran­nen­mord möglich wurde. Und dies ist das Bleibende, das sich mit Alexan­der Stauf­fen­berg verbindet: Die Rühme der Atten­täter zu besin­gen, hieß auch, ein Denkmal zu set­zen dem Ide­al ein­er neuen deutschen Gemein­schaft­sor­d­nung, zu dem sich die Wider­ste­hen­den am Vor­abend ihrer Tat in einem Schwur ver­ban­den. Dessen schlicht aus­ge­sproch­ene, aber gedanklich weit­tra­gende Bekun­dun­gen zeich­nen den Umriß ein­er Welt, in der alle Bezirke des Lebens durch die geistige Umkehr des Men­schen erneut sind. Daß uns dieses bewe­gende Man­i­fest für den Weg in unsere Zukun­ft geschenkt wurde, ver­danken wir Fahrn­er, der es ver­barg, und Stauf­fen­berg, der es nach dem Krieg wohl als erster wieder in Hän­den hielt und in eng­ster Anlehnung an den ursprünglichen Text in eine poet­is­che Form goß (siehe Zitat). Er war überzeugt, daß die in der Sendung Georges wurzel­nde Idee – ungeachtet ihrer schein­baren Abseit­igkeit im geisti­gen Kli­ma der Bun­desre­pub­lik – “im Schutze eines behü­ten­den Dunkels ste­ht, wie einst ein Jahrhun­dert lang sein Vor­läufer Hölder­lin, bis die Zeit wieder reif gewor­den ist, sein Wort zu vernehmen” (Erin­nerung an Ste­fan George, unpubl.).

Stauf­fen­berg starb am 22. jan­u­ar 1964 in München.

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Zitat:

Wir beken­nen / Im geist und in der tat uns zum entscheid / Der wal­tenden geschicke unsres volkes / Dess frühe ahnen einst in heiliger heirat / Mit Hel­las sich verbindend und dem Baum / Des Heils das men­sch­tum schufen unsr­er welt.

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Schriften:

  • Das Imperi­um und die Völk­er­wan­derung, München 1947
  • Der Tod des Meis­ters, Über­lin­gen 1945, ²1948
  • Tri­nakria. Sizilien und Groß­griechen­land in archais­ch­er und frühk­las­sis­ch­er Zeit, München 1963
  • Denkmal. Hrsg. v. Rudolf Fahrn­er, Düsseldorf/München 1964
  • Macht und Geist. Vorträge und Abhand­lun­gen zur Alten Geschichte. Hrsg. v. Siegfried Lauf­fer, München 1972

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Lit­er­atur:

  • Karl Christ: Der andere Stauf­fen­berg, München 2008
  • Man­fred Riedel: Geheimes Deutsch­land. Ste­fan George und die Brüder Stauf­fen­berg, Köln u.a. 2006
  • Peter Hoff­mann: Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg und seine Brüder, Stuttgart ²1992
  • Wolf­gang Schuller: Alter­tum­swis­senschaftler im Georgekreis: Albrecht von Blu­men­thal, Alexan­der von Stauf­fen­berg, Wolde­mar von Üxküll, in: Wis­senschaftler im George-Kreis, Berlin 2005
  • Rudolf Fahrn­er: Der Bund mit Alexan­der von Stauf­fen­berg, in: ders.: Ges. Werke II, Köln u.a. 2008