Alexander von Stauffenberg wurde am 15. März 1905 in Stuttgart geboren. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Berthold und dem über zwei Jahre jüngeren Claus wuchs der altem schwäbischen Adel entstammende Graf, der über seine Mutter auch ein Nachfahre Gneisenaus war, teils in Stuttgart auf, wo die Eltern am Hof des letzten württembergischen Königs eine hohe Stellung einnahmen, teils auf dem Familiensitz in Lautlingen auf der Alb.
Zu den in der Jugend gelegten Grundlagen seiner Geistigkeit gehörte die selbstverständlich übernommene Verpflichtung zur Bildung einer aristokratischen Existenz und ihrer Verantwortung gegenüber dem Ganzen, die Verwurzelung im katholischen Glauben und eine noch stärker als bei seinen Brüdern ausgeprägte musische Neigung, die durch das Erleben großer Dichtung (besonders die Weimarer Klassik, Hölderlin, Nietzsche, Rilke – mit dem die Mutter korrespondierte –, Hofmannsthal, George) zu eigenen dichterischen Versuchen führte. Ästhetische Wahrnehmungen sollten auch für Stauffenbergs späteren Zugang zur Klassischen Altertumswissenschaft maßgeblich werden.
Am Ende seines 1923 aufgenommenen breit gefächerten Studiums wurde Stauffenberg 1928 in Halle von dem Althistoriker Wilhelm Weber promoviert, den er 1924 auf einer Italienreise begleitete und dessen mit persönlicher Emphase in einem geschliffenen Stil vorgetragene, methodisch originelle Geschichtsbilder auf dem akademischen Feld den eigenen Neigungen Stauffenbergs entgegenkamen. Die aussichtsreiche wissenschaftliche Karriere in dem großen Schülerkreis Webers wurde nach der Habilitation 1931 in Würzburg und einem Ruf an die Reichsuniversität Straßburg, dem er nicht folgen konnte, durch militärische Einberufungen, Kriegsdienst an der West- wie Ostfront und zweimalige Kriegsverwundung (1942 und 1943) unterbrochen.
Die entscheidende Prägung erhielt der junge Stauffenberg jedoch seit 1923 durch die Begegnung mit Stefan George. Bei diesem selbst eher hinter seinen beiden Brüdern zurückstehend, war die geistige Wirkung, die der „Meister“ auf ihn ausübte, doch bezwingend und tiefgreifend und ergab sich aus der Nähe zu ihm und anderen Angehörigen des Kreises oder ihm Nahestehenden, insbesondere einer Reihe von Altertumswissenschaftlern und Historikern, fortan die dominierende geistige Orientierung. Stauffenberg bekannte sich dazu in einem großen Gedicht zum zehnten Todestag Georges eindringlich (Der Tod des Meisters, abgeschlossen 1943) und bezeichnete sich noch 1958 als seinen letzten „Leibknappen“.
Im Frühjahr 1944 wurde Stauffenberg nach Athen versetzt und arbeitete auch mit Rudolf Fahrner vom Deutschen Wissenschaftlichen Institut zusammen. Diese glückliche Fügung begünstigte, daß, nachdem er infolge des 20. Juli in Sippenhaft genommen worden war, ihm eine direkte Beteiligung an dem Attentat nicht nachgewiesen werden konnte. Die letzten Kriegsmonate überlebte er in verschiedenen Haftanstalten und Konzentrationslagern. Verhängnis und Untergang bestand er mit der Kraft aus Glauben und dem Ideal des Dichtens.
Seine Frau Melitta, eine hochdekorierte Testpilotin und Flugingenieurin, kümmerte sich um alle Stauffenbergs und ihren Mann mit großer Hingabe und kam bei dem Versuch, ihn kurz vor Kriegsende per Flugzeug zu befreien, von amerikanischen Jägern abgeschossen, tragisch ums Leben. Bis 1948 lebte Stauffenberg bei seinem Freund Fahrner am Bodensee und wurde 1948 auf das althistorische Ordinariat in München berufen, das er bis zu seinem Tod versah – auch im akademischen Rahmen durch seine wahrhaft adlige Persönlichkeit herausragend. Seine Erfahrungen ließen ihn in den fünfziger Jahren mehrfach öffentlich politisch Stellung beziehen, und er kritisierte etwa Wiederbewaffnung und atomare Rüstung und die Untätigkeit der Adenauer-Regierungen in Sachen Wiedervereinigung.
Stauffenbergs wissenschaftliches Oeuvre hat die Entwicklung der Althistorie in der Nachkriegszeit nur wenig beeinflußt. Sein Geschichtsdenken orientierte sich, Georgeschen Maßstäben getreu, an dem seit Humboldt und Nietzsche die historistisch eingestellte Fachwissenschaft stets beunruhigenden Grundsatz, daß Vergangenes nur aus den höchsten Fragen der Gegenwart gedeutet werden kann. Er wandte sich den epochalen Umbruchszeiten und ihren großen Schöpfergestalten am Beginn und am Ende der Antike zu, wo er Idee und Geisteshaltung des europäischen Menschen in reinen Formen aufleuchten sah. Geschichte war ihm Teil eines Lebens im Geiste, bei dem sich Erkenntnis von intuitivem Gewahrwerden in der dichterischen Formung nicht trennen ließ.
Ein weiteres bedeutendes Vermächtnis hinterließ Stauffenberg, indem er schon bald nach Georges Tod trotz allem Auseinanderstreben der Schicksale der ehemals im Kreis Gefreundeten auf ihrer Gemeinsamkeit im Geiste des Meisters bestand. Er wollte nicht zulassen, daß „jene zwölfjährige Fratze (…) eine Geistergemeinschaft sollte sprengen dürfen“ (Brief an Ernst Kantorowicz 1947), deren innere Verbindung er in der dichterischen Vergegenwärtigung von Georges „Hingang“ (Tod des Meisters) beschwor. Vergeblich, wie schon die Jahre von Emigration und Kollaboration und dann die Nachkriegszeit erweisen sollten. Das aber verdunkelte in seinen Augen das Gedenken an die Tat der Brüder und ließ ihren Opfergang im Namen des „Geheimen Deutschland“ umsonst erscheinen.
Auch hiergegen bäumte sich der Überlebende mit aller Kraft auf. In den Jahren nach Kriegsende entstand der Gedichtzyklus – er wurde erst kurz nach dem Tod des Dichters 1964 publiziert –, mit dem Alexander, „zeugnis von den toten gebend zugleich sich selbst bezeugt“ (Fahrner). Seine Brüder Berthold und Claus hielten ihn aus den konkreten Kontexten ihrer Verschwörung heraus – welche praktische Rolle hätte er darin spielen können? Obwohl er um die Pläne zweifellos wußte, wurde er darum bewahrt und konnte Kunde geben vom gemeinsamen Geist, aus dem der Tyrannenmord möglich wurde. Und dies ist das Bleibende, das sich mit Alexander Stauffenberg verbindet: Die Rühme der Attentäter zu besingen, hieß auch, ein Denkmal zu setzen dem Ideal einer neuen deutschen Gemeinschaftsordnung, zu dem sich die Widerstehenden am Vorabend ihrer Tat in einem Schwur verbanden. Dessen schlicht ausgesprochene, aber gedanklich weittragende Bekundungen zeichnen den Umriß einer Welt, in der alle Bezirke des Lebens durch die geistige Umkehr des Menschen erneut sind. Daß uns dieses bewegende Manifest für den Weg in unsere Zukunft geschenkt wurde, verdanken wir Fahrner, der es verbarg, und Stauffenberg, der es nach dem Krieg wohl als erster wieder in Händen hielt und in engster Anlehnung an den ursprünglichen Text in eine poetische Form goß (siehe Zitat). Er war überzeugt, daß die in der Sendung Georges wurzelnde Idee – ungeachtet ihrer scheinbaren Abseitigkeit im geistigen Klima der Bundesrepublik – “im Schutze eines behütenden Dunkels steht, wie einst ein Jahrhundert lang sein Vorläufer Hölderlin, bis die Zeit wieder reif geworden ist, sein Wort zu vernehmen” (Erinnerung an Stefan George, unpubl.).
Stauffenberg starb am 22. januar 1964 in München.
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Zitat:
Wir bekennen / Im geist und in der tat uns zum entscheid / Der waltenden geschicke unsres volkes / Dess frühe ahnen einst in heiliger heirat / Mit Hellas sich verbindend und dem Baum / Des Heils das menschtum schufen unsrer welt.
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Schriften:
- Das Imperium und die Völkerwanderung, München 1947
- Der Tod des Meisters, Überlingen 1945, ²1948
- Trinakria. Sizilien und Großgriechenland in archaischer und frühklassischer Zeit, München 1963
- Denkmal. Hrsg. v. Rudolf Fahrner, Düsseldorf/München 1964
- Macht und Geist. Vorträge und Abhandlungen zur Alten Geschichte. Hrsg. v. Siegfried Lauffer, München 1972
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Literatur:
- Karl Christ: Der andere Stauffenberg, München 2008
- Manfred Riedel: Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg, Köln u.a. 2006
- Peter Hoffmann: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart ²1992
- Wolfgang Schuller: Altertumswissenschaftler im Georgekreis: Albrecht von Blumenthal, Alexander von Stauffenberg, Woldemar von Üxküll, in: Wissenschaftler im George-Kreis, Berlin 2005
- Rudolf Fahrner: Der Bund mit Alexander von Stauffenberg, in: ders.: Ges. Werke II, Köln u.a. 2008