Aus rechter Sicht — Alain de Benoist, 1979

Eigentlich ist Aus rechter Sicht des franzö­sis­chen Philosophen und intellek­tuelles Kopfes der soge­nan­nten Nou­velle Droite, Alain de Benoist, eine Samm­lung von Zeitschrifte­nar­tikeln, die zu Beginn der siebziger Jahre im franzö­sis­chen Wochen­blatt Valeurs actuelles und der Monatss­chrift Le spec­ta­cle du monde erschienen. Sein­erzeit arbeit­eten einige Pub­lizis­ten aus dem Umfeld des Groupe­ment de recherche et d´€Études pour la civil­i­sa­tion européene (GRECE) – unter ihnen Alain de Benoist und der Jour­nal­ist Fran­cois d´€™Orcival – in Zeitungsredak­tio­nen der Groupe Val­monde.

Getreu des erk­lärten Zieles des 1968 gegrün­de­ten GRECE, des ersten rechtsin­tellek­tuellen Diskus­sion­sklubs in Frankre­ich seit 1945, durch »metapoli­tis­che« Ideenar­beit in Zeitschriften und anderen Pub­lika­tio­nen eine Alter­na­tive zur links­do­minierten intellek­tuellen Land­schaft in Frankre­ich zu etablieren, stellt Aus rechter Sicht den Ver­such dar, das zu leis­ten, was das »rechte Denken« bis dato nicht oder nur sel­ten ver­mochte: die Eckpfeil­er ein­er »organ­is­chen«,  konkreten« Weltan­schau­ung zu skizzieren, die sich nicht in Abstrak­tio­nen und Wun­schdenken ver­liert, aber gle­ich­wohl auf aufgek­lärter, ratio­naler Grund­lage ste­ht. Insofern ist der Titel des Buch­es, im übri­gen ein­er gle­ich­nami­gen Schrift von Armin Mohler (Von rechts gese­hen, 1974) entlehnt, auch als Pro­gramm zu ver­ste­hen.

In der Tat sind die in dem Buch ange­gan­genen The­men äußerst vielfältig: Sie reichen von Darstel­lun­gen der tragis­chen Philoso­phie Friedrich Niet­zsches oder den Unter­suchun­gen zur indoeu­ropäis­chen Reli­gion von Georges Dumézil über Exz­erpte der Analy­sen Carl Schmitts vom »Wesen der Poli­tik« oder den Ergeb­nis­sen Arthur R. Jensens zur erblichen Intel­li­genz, bis hin zu Reflex­io­nen über die mod­erne Geschlechter­frage oder ökol­o­gis­che Prob­leme. Obgle­ich die einzel­nen Texte zumeist weniger eine tief­ere Auseinan­der­set­zung mit den darin zur Sprache kom­menden Autoren und Ideen bedeuten, son­dern sich vielmehr darauf beschränken, sie zu referieren, läßt ihre Gesamtheit Grundzüge und Kon­flik­t­la­gen der Welt­sicht von Alain de Benoist her­vortreten: eines Denkens, das, ori­en­tiert an der poly­the­is­tis­chen Welt der Antike, sich in strik­tem Gegen­satz zum monothe­is­tis­chen Chris­ten­tum befind­et und den Egal­i­taris­mus, bis in die jüng­ste Ver­gan­gen­heit inte­graler Topos »rechter Ide­olo­gie«, auf die christliche These der »Gle­ich­heit aller Men­schen vor Gott« zurück­führt.

Insofern ver­sucht Aus rechter Sicht in sein­er chro­nol­o­gis­chen Abfolge von Kapiteln wie »Erbe«, »Grund­la­gen« oder »Sys­teme « auch aus der antiken Welt bekan­nte Phänomene und Ideen­for­ma­tio­nen denen der christlich geprägten Mod­erne gegenüberzustellen: Das zyk­lis­che Welt­bild des Pagan­is­mus, das die »ewige Wiederkehr des Gle­ichen« bedeutet und so den Raub­bau an natür­lichen Ressourcen ver­hin­derte, ste­ht gegen die lin­eare Erlö­sungslogik des Chris­ten­tums, die sich im Glauben an ewigen Fortschritt säku­lar­isierte und Kon­sum­is­mus und ökol­o­gis­che Katas­tro­phen zeit­igte. Die erste Funk­tion der antiken »tri­funk­tionalen« Ide­olo­gie, in der Macht bzw. Poli­tik und Recht bzw. Moral eine Ein­heit bilden, ste­ht gegen ihre Tren­nung in der christlichen Tra­di­tion, die zur »Ver­rechtlichung und Moral­isierung des Poli­tis­chen« im Sinne Carl Schmitts führte. Der antike amor fati, die Liebe zum Schick­sal, nach Niet­zsche Bedin­gung für eine »wahre«, »tragis­che Kul­tur«, ste­ht gegen die durch den christlichen Uni­ver­sal­is­mus ver­bre­it­ete Hoff­nung auf eine bessere Welt, in der »alles gle­ich«, »gle­ich gut ist«, die »Tage sich eben­falls gle­ichen«, es »wed­er Ereignisse noch Wider­stände gibt«, »Langeweile herrscht« und »his­torische Span­nun­gen ver­schwun­den sind« – eine Hoff­nung, die auch in ihren nach­fol­gen­den säku­laren
Erschei­n­ungs­for­men – Lib­er­al­is­mus, Sozial­is­mus, Kom­mu­nis­mus – zum Aus­druck kommt. Nicht zulet­zt aus diesem Grunde ver­ste­ht sich Aus rechter Sicht auch als Plä­doy­er für die  Man­nig­faltigkeit der Kul­turen der Welt, deren »prinzip­ielle Bedro­hung « heute aus dem »Egal­i­taris­mus« erwächst.

Jedoch ist Aus rechter Sicht keineswegs ein Buch mit aus­geprägter antichristlich­er Ten­denz: Ger­ade die anthol­o­gis­che Form des Ban­des, die Samm­lung einzel­ner, für sich ste­hen­der Texte, unter­stre­icht nicht nur den typ­isch franzö­sis­chen Hang de Benoists zur enzyk­lopädis­chen Kul­tur, der – wie oft genug kri­tisiert – zwar zu bril­lanten, zuweilen aber auch unsys­tem­a­tis­chen Syn­the­sen find­et – und ger­ade dadurch jede Art von dok­trinärem Dog­ma­tismus ver­hin­dert.

Darüber hin­aus läßt sie den Denker de Benoist als einen »linken Mann rechts« erken­nen, der er von je her gewe­sen ist und was seine geistige Nähe zu vie­len Autoren der Kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion begrün­det – jen­er intellek­tuellen Bewe­gung, die vor allem im Deutsch­land der 1920er Jahre nach ein­er gesellschaftlichen Alter­na­tive zu der auf dem Egal­i­taris­mus basieren­den bürg­er­lichen Welt der Mod­erne suchte. So ver­wun­dert es nicht, daß de Benoist für die deutsche Aus­gabe sog­ar eigens einen Artikel über einen Vertreter der Kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion schrieb: »Das Deutsch­land des Ernst von Salomon«.

Berühmt sind auch jene Sätze de Benoists, die sich im Vor­wort der franzö­sis­chen Aus­gabe find­en: »Per­sön­lich läßt mich die Frage, ob ich rechts bin oder nicht, vol­lkom­men gle­ichgültig. Zur Zeit sind die Ideen, die in diesem Buch vertei­digt wer­den, rechts; sie sind jedoch nicht  notwendi­ger­weise rechts. Ich kön­nte mir sehr gut Sit­u­a­tio­nen vorstellen, in denen sie links sind.«

Das Buch antizip­iert darüber hin­aus die in jüng­ster Zeit vielfach bemerk­te Unge­nauigkeit, ja Unbrauch­barkeit von aus der poli­tis­chen Mod­erne stam­menden Begrif­f­en wie »rechts« und »links«; der unter­halt­same Gedankenspazier­gang durch Archäolo­gie und Philoso­phie, Päd­a­gogik und Ver­hal­tens­forschung, Biolo­gie und Sozi­olo­gie ist mithin nicht nur intellek­tuelle Bilanz und Momen­tauf­nahme der kul­turellen Land­schaft der siebziger Jahre, er sig­nal­isiert auch Ten­den­zen ein­er sich schon damals verän­dern­den Welt.

Seit der ersten Aus­gabe 1978 hat Aus rechter Sicht bis heute fünf weit­ere Aufla­gen in Frankre­ich erlebt. Es wurde 1981 ins Ital­ienis­che und Por­tugiesis­che, 1983/84 ins Deutsche und  1998 ins Rumänis­che über­set­zt. Es erfuhr regen Zus­pruch von Poli­tik­ern wie dem ein­sti­gen franzö­sis­chen Staat­spräsi­den­ten Fran­cois Mit­ter­rand oder dem ehe­ma­li­gen franzö­sis­chen Innen­min­is­ter Jean-Pierre Chevène­ment, Schrift­steller wie Jean Cau oder Louis Pauwels haben es geschätzt. 1978 wurde es mit dem Grand Prix de l’€™Essai de l’€™Academie fran­caise aus­geze­ich­net. Ger­ade wegen seines großen Erfolges wurde es wohl auch Gegen­stand von undif­feren­zierten Betra­ch­tun­gen, ja Ver­leum­dun­gen: So nan­nte es der franzö­sis­che His­torik­er René Remond ein­mal das »Pen­dant zu Enquete sur la monar­chie« von Charles Mau­r­ras.

– — –

Zitat:

Die prinzip­ielle Bedro­hung heute, welche ist sie? Sie ist das fortschre­i­t­ende Ver­schwinden der Ver­schieden­heit der Welt. Das Niv­el­lieren der Per­so­n­en, die Reduk­tion aller Kul­turen auf eine glob­ale Zivil­i­sa­tion, die immer mehr auf dem gebaut ist, was es über­all gibt. Ich glaube, daß diese Ver­schieden­heit den Reich­tum der Welt bildet und, daß der Egal­i­taris­mus dabei ist, ihn zu töten.

– — –

Lit­er­atur:

  • Michael Böhm: Alain de Benoist. Denker der Nou­velle Droite, Schnell­ro­da 2008