Ausgewählte Werke — H.L. Mencken, 1918–1948

In der Geschichte des geisti­gen und pub­lizis­tis­chen Wider­stands gegen den Kon­formis­mus und die Geist­losigkeit der mod­er­nen Mas­sen­ge­sellschaft kommt dem amerikanis­chen Jour­nal­is­ten und Niet­zschean­er Hen­ry Louis Menck­en eine beson­dere Rolle zu. In seinen oft schar­fzüngi­gen und rhetorisch bril­lanten Schriften teilte er nach allen Rich­tun­gen aus, ließ sich selb­st von kein­er Partei vere­in­nah­men und mußte auf­grund sein­er Sym­pa­thien für Deutsch­land und die deutsche Sprache vor allem während des Ersten und Zweit­en Weltkrieges immer wieder Kri­tik über sich erge­hen lassen.

Das Werk Menck­ens beste­ht aus zahllosen jour­nal­is­tis­chen und lit­er­aturkri­tis­chen Arbeit­en, aus­gedehn­ten Essays zu den ver­schieden­sten The­men und mehreren auto­bi­ographis­chen Schriften sowie Tage­büch­ern. Die deutsche Aus­gabe präsen­tiert eine umfassende Auswahl dieser Texte, die durch ihren glänzen­den Stil beein­druck­en und den Geist der Frei­heit atmen.

Menck­ens skep­tis­che Grund­hal­tung erstreck­te sich auch auf die Demokratie, die er als eine Form der The­olo­gie sieht, welche die ewigen Stig­ma­ta zeigt. Menck­en charak­ter­isiert in seinem »Demokraten­spiegel«, ein­er Art Anthro­polo­gie und Psy­cholo­gie der Demokratie, diese The­olo­gie der Demokratie fol­gen­der­maßen: »Wenn man sie mit unbe­que­men Tat­sachen kon­fron­tiert, ver­sucht sie unweiger­lich, sie aus der Welt zu schaf­fen, indem sie an die höch­sten Gefüh­le des men­schlichen Herzens appel­liert.« Ein Geg­n­er der Demokratie, so Menck­en weit­er, irre sich
nicht nur, son­dern ist auch böse, »und je überzeu­gen­der er ist, desto bös­er wird er«. Die Demokrat­en sind instink­t­mäßige Fun­da­men­tal­is­ten, obwohl sie sich selb­st als Vertreter eines abgek­lärten Skep­tizis­mus betra­cht­en. So bestre­it­en die Demokrat­en nach Menck­en z.B., daß es Intel­li­gen­zun­ter­schiede zwis­chen Men­schen gibt, ohne sich dabei jedoch auf Tat­sachen beziehen zu kön­nen. Die Ein­wände des Demokrat­en dage­gen haben meta­ph­ysis­chen Charak­ter und enthal­ten willkür­liche und tran­szen­den­tale Annah­men über das, was wahr sein soll und was nicht.

Für Menck­en dage­gen hat­ten die ver­rufe­nen Intel­li­gen­ztests gezeigt, daß sich die Men­schen inner­halb ihrer Köpfe eben­so unter­schei­den wie außerhalb.Vor diesem Hin­ter­grund wird Menck­ens Bedauern darüber ver­ständlich, daß es in den USA keine kul­tivierte Aris­tokratie in ein­er gesicherten Posi­tion gab, die mit intel­li­gen­ter Neugierde aus­ges­tat­tet und der Sen­ti­men­tal­ität des Mobs über­legen gewe­sen wäre, allen leicht­fer­ti­gen Ver­all­ge­meinerun­gen skep­tisch gegenüberge­s­tanden und am Kampf der Ideen um ihrer selb­st willen Freude gehabt hätte.

Menck­en war ein entsch­ieden­er Geg­n­er des amerikanis­chen Puri­tanis­mus; seine Abscheu gegen Sit­tlichkeit­skreuz­züge aller Art basierte auf ein­er real­is­tis­chen Anthro­polo­gie, der alle Ver­suche,
das Volk gewalt­sam bessern zu wollen, als Dummheit erscheinen mußten. Menck­en betonte dage­gen den Wert der Fähigkeit, »ein Prob­lem für unlös­bar hal­ten zu kön­nen«, was in der mod­er­nen Demokratie jedoch als sus­pekt gilt. Er war ein Ver­fechter per­sön­lich­er Frei­heit – Frei­heit aber ist nicht ohne Mut denkbar, sie bedeutet Selb­stver­trauen und die Fähigkeit, ent­behren zu kön­nen. Frei­heit ist etwas anderes als Sicher­heit; denn Frei­heit ist auch mit Schmerzen ver­bun­den. Zahlre­iche Phänomene auch in den »freien Staat­en« kön­nen im Lichte dieser Ein­sicht bess­er ver­standen wer­den: »Es zeigt sich, daß die große Masse der Men­schen, obwohl sie der The­o­rie nach frei ist, sich wider­stand­s­los der Unter­drück­ung und Aus­beu­tung auf hun­dert ver­schiedene, durch­weg abstoßende Arten fügt.«

Menck­en ist nicht so sehr wegen sein­er spez­i­fis­chen, teils sehr zeit­be­zo­ge­nen und daher in manch­er Hin­sicht über­holten Posi­tio­nen bedeut­sam, son­dern wegen eines Denk- und Schreib­stils der Kri­tik, wegen ein­er geisti­gen Hal­tung, die sich gegen jede Form der Kleingeistigkeit und Beschränk­theit richtete. Diese geistige Hal­tung eines Schrift­stellers wie Menck­en, der nicht so leicht auf einen Begriff zu brin­gen ist, bleibt vor­bildlich, auch und ger­ade weil seine Stärke in der Kri­tik lag: Sein Geschäft sei nicht die Prog­nose, son­dern die Diag­nose; er befasse sich nicht mit Ther­a­peu­tik, son­dern mit Patholo­gie. Menck­en ist also ein Autor, der als Ana­lytik­er der Lage sehen wollte, was ist.

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Zitat:

Ein Poli­tik­er, wie jed­er Ken­ner der Ochlokratie weiß, ist nicht jemand, der dem Stim­mvieh neue Ideen nahe brin­gen will, son­dern jemand, der die bere­its vorhan­de­nen Vorstel­lun­gen wachk­itzelt und sich die dabei entste­hen­den Gefühlsen­ergien zunutze macht.

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Aus­gabe:

  • Prej­u­dices. First, Sec­ond, and Third Series, New York: Library of Amer­i­ca 2010

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Lit­er­atur:

  • Mary Eliz­a­beth Rodgers: The Amer­i­can Icon­o­clast. The Life and Times of the Bad Boy of Bal­ti­more, New York 2006
  • Ter­ry Tea­chout: The Skep­tic. A Life of H. L. Menck­en, New York 2002
  • William H. A. Williams: H. L. Menck­en Revis­it­ed, New York 1998