Betrachtungen über die Französische Revolution — Edmund Burke, 1793

Ähn­lich wie Machi­avel­li vor ihm und andere poli­tis­che Autoren nach ihm, kon­nte Edmund Burke von seinen eige­nen Erfahrun­gen als Poli­tik­er (langjähriger Abge­ord­neter des Unter­haus­es, kurzzeit­iges Regierungsmit­glied als Unter­staatssekretär) zehren, als er in sein­er bekan­ntesten Schrift eine Fun­da­mentalkri­tik der Prinzip­i­en der 1789 aus­ge­broch­enen Rev­o­lu­tion in Frankre­ich unter­nahm.

Seine Schrift erschien in der lit­er­arischen Form eines – sich unverse­hens zu ein­er lan­gen Abhand­lung auswei­t­en­den – »Briefes« an einen »Gen­tle­man in Paris«, also nicht als  streng sys­tem­a­tisch aufge­baute the­o­retis­che Deduk­tion, son­dern eher als sprung­haft und lei­den­schaftlich argu­men­tieren­der, kon­se­quent Partei ergreifend­er Beitrag zur poli­tis­chen Zeit­geschichte. Obwohl nicht den (kon­ser­v­a­tiv­en) Torys, son­dern den (lib­eralen) Whigs zuge­hörig, ver­faßte Burke mit seinen Betra­ch­tun­gen eine der Grund­schriften des neueren Kon­ser­vatismus, die trotz aller zei­this­torischen Bezüge ein ein­heitlich­es gedanklich­es Fun­da­ment aufweist.

Vier zen­trale Aspek­te bes­tim­men seine Argu­men­ta­tion: Erstens die Idee, daß his­torisch ent­standene, im Lauf der Zeit gewach­sene Insti­tu­tio­nen, wie etwa die poli­tis­chen Ver­fas­sun­gen, organ­is­che Gebilde darstellen, die aus eigen­em Recht existieren und von den Men­schen nur im Zwang äußer­ster Not­la­gen abgeän­dert, nicht jedoch als solche abgeschafft oder ver­nichtet wer­den dür­fen; schon gar nicht zuläs­sig erscheint ihm eine »mech­a­nis­che« Neukon­struk­tion bloß auf­grund der Prinzipen der – erfahrungs­gemäß nicht sel­ten fehlbaren – men­schlichen Ver­nun­ft. Hier­mit hängt zweit­ens die Überzeu­gung zusam­men, daß sich in jahrhun­derte­lang ent­stande­nen und his­torisch bewährten Insti­tu­tio­nen und Tra­di­tio­nen die gesam­melte Erfahrungsweisheit früher­er men­schlich­er Gen­er­a­tio­nen verkör­pert, die respek­tiert wer­den muß. Drit­tens sind nach Burke die Men­schen ange­hal­ten, die geschichtliche Kon­ti­nu­ität ihres Gemein­we­sens zu bewahren; Rev­o­lu­tio­nen gegen beste­hende Ord­nun­gen sind als solche zwar nicht prinzip­iell unzuläs­sig, jedoch nur in ganz bes­timmten Fällen berechtigt – näm­lich dann, wenn mit ihrer Hil­fe
gravierende Fehlen­twick­lun­gen kor­rigiert wer­den müssen (Beispiel ist für ihn die »Glo­ri­ous Rev­o­lu­tion« von 1688/89, durch welche die von den Stu­art-Köni­gen ver­let­zte, frei­heitliche und recht­mäßige »alte Regierungs­form« Eng­lands wieder­hergestellt wurde). Und viertens wan­delt Burke die zeit­genös­sis­che, für das 18. Jahrhun­dert charak­ter­is­tis­che Ver­trags­the­o­rie dahinge­hend ab, daß er sie als Grund­lage und Garant his­torisch­er Kon­ti­nu­ität inter­pretiert: Da die Zwecke eines staatlichen Zusam­men­schlusses der Men­schen »nicht in ein­er Gen­er­a­tion zu erre­ichen sind, so wird daraus eine Gemein­schaft zwis­chen denen, welche leben, denen, welche gelebt haben, und denen, welche noch leben sollen«. His­torische Wand­lun­gen vol­lziehen sich mit Notwendigkeit,
aber der Men­sch sollte nur dann selb­st ein­greifen, wenn es unumgänglich erscheint: »Ich erk­läre mich«, sagt Burke, »nicht gegen alle Verän­derun­gen! Aber ich wün­schte zu erhal­ten, selb­st da
noch, wo ich zu ändern genötigt wäre… Ich möchte die Aus­besserun­gen so genau, als es nur möglich wäre, im Stil des alten Gebäudes vornehmen.«

Mit sein­er Ablehnung der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion ver­trat Burke im dama­li­gen Eng­land die Hal­tung ein­er Min­der­heit und löste eine umfan­gre­iche Debat­te mit zahlre­ichen Gegen­schriften aus. Der Ein­fluß von Burkes Betra­ch­tun­gen auf den Kon­ser­v­a­tivis­mus kann gar nicht hoch genug eingeschätzt wer­den.

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Zitat:

Ein Staat, dem es an allen Mit­teln zu ein­er Verän­derung fehlt, ent­behrt die Mit­tel zu sein­er Erhal­tung.

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Aus­gabe:

  • Über­set­zung v. Friedrich von Gentz, hrsg. v. Ulrich Frank-Planitz, Zürich: Manesse 1987

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Lit­er­atur:

  • Karl Graf Ballestrem: Burke (1729–1797), in: Hans Maier/Heinz Rausch/Horst Den­z­er (Hrsg.): Klas­sik­er des poli­tis­chen Denkens, Bd. 2, München 1987
  • Wal­ter von Wyss: Edmund Burke – Denker, Red­ner und Warn­er, München 1966