Bismarckturm — 173 Exemplare stehen noch

Fürst Otto von Bis­mar­ck, der erste Kan­zler des Deutschen Reich­es, ist ver­mut­lich die his­torische Per­sön­lichkeit Deutsch­lands, der die meis­ten Denkmäler über­haupt gewid­met wur­den (weltweit dürfte er nur von Lenin übertrof­fen wer­den). Das Lexikon der Bis­mar­ck-Denkmäler verze­ich­net mehr als 800 gegen­ständliche Ehrun­gen ver­schieden­ster Art und Weise. Darunter befind­en sich Stand­bilder, Büsten, Gedenksteine, Brun­nen und Tafeln in ver­schieden­sten Aus­führun­gen. Als Nation­aldenkmal für Bis­mar­ck galt das von Rein­hold Begas geschaf­fene, eher kon­ven­tionelle
Stand­bild, das heute am Großen Stern in Berlin-Tier­garten zu sehen ist. Das mon­u­men­tal­ste Denkmal, von Hugo Led­er­er geschaf­fen, ste­ht seit 1906 am Ham­burg­er Hafen und zeigt Bis­mar­ck als Roland. Zu den beson­deren For­men der Bis­mar­ck­verehrung zählen allerd­ings die soge­nan­nten Bis­mar­ck­türme.

Darunter wird ein bes­timmter Denkmal­styp ver­standen, der auss­chließlich zu Ehren Fürst Bis­mar­cks errichtet wurde. Neben der Beze­ich­nung Bis­mar­ck­turm find­en die Begriffe Bis­mar­ck­säule und Bis­mar­ck­warte häu­fig Ver­wen­dung. Es gab ins­ge­samt 240 solch­er Denkmäler, die sich auf Deutsch­land und seine angren­zen­den Gebi­ete sowie die Kolonien verteil­ten. Heute existieren davon noch 173 Bauw­erke. Die meis­ten davon wur­den zwis­chen dem Rück­tritt Bis­mar­cks 1890 und dem Ersten Weltkrieg errichtet. Die Bauw­erke soll­ten zum einen Bis­mar­ck auf eine sicht­bare Weise ehren, dien­ten aber auch als Aus­sicht­sturm und waren Sam­melpunkt an nationalen Feierta­gen, an denen die oft­mals instal­lierte Feuer­schale zum Ein­satz kam.

Der erste Bis­mar­ck­turm wurde noch vor der Reich­seini­gung errichtet und zwar am 18. Okto­ber 1869, und damit dem Jahrestag der Völk­er­schlacht von 1813 (Leipzig), auf dem Johns­berg (253 m), an einem Feld­weg zwis­chen Peters­dorf (Piotrówek) und Johns­dorf (Janowek) in Nieder­schle­sien, ca. 40 Kilo­me­ter südlich von Bres­lau gele­gen. Auf zeit­genös­sis­chen Postkarten fir­miert der Turm sog­ar als erstes Bis­mar­ck­denkmal über­haupt.

Ver­an­laßt und bezahlt wurde der Turm­bau von dem Rit­terguts­be­sitzer und Major i. R. Friedrich Schröter aus dem eben­falls in Sicht­nähe liegen­den Wät­trisch (Sokol­ni­ki), dem der Johns­berg zum großen Teil gehörte. Schröter war bere­its damals ein langjähriger Bis­mar­ck­verehrer und überzeugter Preuße, so daß der Sieg über Öster­re­ich den Auss­chlag gab, den langge­hegten Turm­bau­plan in die Tat umzuset­zen. Die Bauzeit betrug ein halbes Jahr. Der Turm hat­te über eine Höhe von etwa 23 Metern sechs Stock­w­erke verteilt und wurde von ein­er zin­nen­be­wehrten Aus­sicht­splat­tform bekrönt. Unten gab es einen Pavil­lon, auf hal­ber Höhe eine Galerie, im Erdgeschoß zu Ehren Bis­mar­cks eine Halle und über dem Ein­gang eine Inschrift »Ehren Bis­mar­ck«.

Der Turm war aus Felsstein, Sand­stein und Gran­it mit ein­er Ziegel­hin­ter­mauerung errichtet wor­den. Im Zweit­en Weltkrieg wurde der Turm beschädigt, er ste­ht aber noch heute, not­dürftig gegen den Ver­fall gesichert. Es gibt keinen Ver­weis auf ihn, wer ihn find­en will, muß suchen. Aus der Ferne ist er kurzzeit­ig über den Baumwipfeln zu erken­nen; auf dem Johns­berg sucht man zunächst vergebens, bis der Turm dann, ver­wun­schen und irgend­wie ver­boten, vor einem ste­ht. Die größeren Beschädi­gun­gen sind zuge­mauert, alle Anbaut­en fehlen, der Rest ver­fällt, nicht nur der Natur, son­dern auch dem Van­dal­is­mus aus­ge­set­zt. Es mutet wie eine Ironie der Geschichte an, daß dieser Turm bis heute über­lebt hat, sein Prov­inzial­is­mus, fernab der Straßen, dürfte Segen und Fluch zugle­ich sein.

Der häu­fig­ste Typ ein­er Bis­mar­ck­warte geht auf einen Entwurf des Architek­ten Wil­helm Kreis zurück. Ende des 19. Jahrhun­derts hat­te die Deutsche Stu­den­ten­schaft einen Wet­tbe­werb für Bis­mar­ck­säulen aus­geschrieben. Dazu hat­te Kreis drei Entwürfe ein­gere­icht, die auf die ersten drei Plätze gewählt wur­den. Nach seinem Entwurf »Göt­ter­däm­merung« wur­den zwis­chen 1900 und 1911 47 Bis­mar­ck­türme in ganz Deutsch­land errichtet, von denen noch 36 existieren. Der erste wurde am 23. Juni 1900 in Greif­swald eingewei­ht, der let­zte am 24. Sep­tem­ber 1911 in Bad Berleburg. Der Entwurf wurde in unter­schiedlich­er Höhe und Bre­ite aus­ge­führt, so daß es zahlre­iche Vari­anten gibt. Gemein­sames Merk­mal ist ein viereck­iger von Dreivier­tel­säulen begren­zter Grun­driß auf einem Podest. Über den Säulen wölbt sich ein Auf­bau, der mit ein­er Aus­sicht­splat­tform und ein­er Feuer­schale bekrönt wurde.

Ein Exem­plar dieser Bis­mar­ck­säulen ste­ht ca. zehn Kilo­me­ter Luftlin­ie vom ersten Bis­mar­ck­turm ent­fer­nt auf dem Mit­tel­berg (Wieży­ca, 415 m) des kleinen Zobtenge­birges. Seit 1899 gab es entsprechende Pla­nun­gen aus dem Umkreis der Bres­lauer Uni­ver­sität. Da deren Stu­den­ten­schaft jährlich am 15. März zum Zobten­berg (Ślȩża, 718 m) pil­gerte, um an den Aufruf König Friedrich
Wil­helms III. von 1813 zu gedenken, plante man ursprünglich, die Bis­mar­ck­säule auf dem Zobten­berg selb­st zu erricht­en. Dieser Berg ist die höch­ste Erhe­bung in der mit­telschle­sis­chen Ebene, er wurde zum Wahrze­ichen von Schle­sien und gab dem Land seinen Namen (Gau der Slen­sane). Am 21. Juni 1907 kon­nte der Turm schließlich auf dem Mit­tel­berg eröffnet wer­den, nach­dem sich 37 Kor­po­ra­tio­nen an der Ver­wirk­lichung beteiligt hat­ten. Auch dieser Turm existiert noch heute.

Nach 1945 wur­den von den meis­ten östlich der Elbe gele­ge­nen Bis­mar­ck­tür­men die Hin­weise auf Bis­mar­ck getil­gt. Wo diese Türme nicht dem Abriß zum Opfer fie­len, nutzte man sie weit­er­hin als Aus­sicht­stürme oder ließ sie ver­fall­en. Die Berlin­er Bis­mar­ck­warte, 1904 in den damals noch nicht einge­mein­de­ten Müggel­ber­gen errichtet und mit 40 Metern Höhe eines der mächtig­sten Exem­plare, wurde im April 1945 von der Wehrma­cht gesprengt. Da man, bei gutem Wet­ter, von der Aus­sicht­splat­tform bis ins Zen­trum Berlin schauen kon­nte, wollte man eine Nutzung durch
die Rote Armee ver­hin­dern.

Bis­mar­ck­türme gab es nicht nur auf deutschem Staats­ge­bi­et, son­dern auch in den deutschen Kolonien, in Öster­re­ich und sog­ar in Chile, von denen einige noch als Aus­sicht­stürme in Betrieb sind. In den deutschen Ost­ge­bi­eten sind 19 von 44 Tür­men erhal­ten, auf dem Gebi­et der Bun­desre­pub­lik 146 von 184. Der höch­ste noch existierende Bis­mar­ck­turm ste­ht in Glauchau (Sach­sen) und hat eine Höhe von 45 Metern. Infor­ma­tio­nen zu allen Bis­mar­ck­tür­men, ‑säulen und ‑warten sind auf der Seite www.bismarcktuerme.de ver­füg­bar.

Neben den gegen­ständlichen Ehrun­gen gab es noch zahlre­iche andere für Bis­mar­ck. So wurde ihm 1895, zu seinem 80. Geburt­stag, von 394 Städten die Ehren­bürg­er­schaft ver­liehen. Es wur­den Straßen, Berge, Gebäude, Schiffe, Plätze und Obst nach ihm benan­nt (nicht zu vergessen der Bis­mar­ck­her­ing); und auch wirk­liche Orte tru­gen oder tra­gen seinen Namen, ein Stadt­teil von Königshütte in Ober­schle­sien, ein Stadt­teil von Gelsenkirchen, ein Archipel in Papua-Neuguinea und mehr als ein Dutzend Ortschaften in den Vere­inigten Staat­en. Die Zahl und die einzel­nen Orte der ver­schieden­sten Ehrun­gen für Bis­mar­ck sind nicht zu ermit­teln. Diese Unzahl und Weitläu­figkeit waren Aus­druck der Dankbarkeit für die durch ihn her­beige­führte Ein­heit. Die Ini­tia­tive zu diesen Denkmälern kam in den sel­tensten Fällen von »oben«, son­dern aus dem Volk selb­st, das entsprechende Vere­ine grün­dete und Geld­samm­lun­gen durch­führte. In dieser Hin­sicht kann daher
ganz Deutsch­land als sein Ort gel­ten.

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Lit­er­atur:

  • Arthur Menell/Bruno Gar­lepp: Bis­mar­ck-Denkmal für das deutsche Volk. Chicago/Berlin 1895
  • Sieglinde Seele: Lexikon der Bis­mar­ck-Denkmäler. Türme, Stand­bilder, Büsten, Gedenk­tafeln und andere Ehrun­gen, Peters­berg 2005