Danzig – Krantor

Das Kran­tor ist bei weit­em nicht das einzige mit­te­lal­ter­liche Gebäude Danzigs – wohl aber das bekan­nteste. Bis heute ist der gotis­che Back­stein­bau am Ende der Bre­it­en Gasse, am Rande der Alt­stadt und unmit­tel­bar am Ufer des Flüßchens Mot­t­lau gele­gen, eines der Wahrze­ichen der alten Hans­es­tadt.

Die erste urkundliche Erwäh­nung eines Hafen-Holzkrans an dieser Stelle fällt in das Jahr 1367. Dieser Kran wurde bei einem Großbrand in der Alt­stadt im Jahr 1442 voll­ständig zer­stört. Sofort machte man sich an den Wieder­auf­bau. Ein Jahr später hat­te der mächtige Kran seine endgültige Gestalt. Die Kon­struk­tion diente zur Mas­ter­rich­tung, zur Ver­ladung der Waren, als Stadt­tor sowie – zumin­d­est the­o­retisch – zur Vertei­di­gung. Eigens gön­nte sich die Stadt mit dem Kran-Meis­ter einen Ver­wal­ter. Denn als das Kran­tor erbaut wurde, war Danzig eine pulsierende Han­delsstadt.
Kau­fleute aus Bre­men und Lübeck hat­ten 1236 an der Weich­selmün­dung eine Han­del­snieder­las­sung gegrün­det, die sich bald zu ein­er größeren Stadt entwick­elte. 1309 kam Danzig unter die Herrschaft des Deutschen Rit­teror­dens und trat 1361 der Deutschen Hanse bei. Bis ins Jahr 1400 erlebte Danzig einen enor­men Zuzug, die Bevölkerungszahl stieg auf 10 000, haupt­säch­lich deutsche Ein­wohn­er an. Nach dem Zusam­men­bruch des Ordens um 1450 stand Danzig unter dem Schutz des pol­nis­chen Königs, genoß aber als fast unab­hängiger Freis­taat weit­ge­hende Priv­i­legien und auf­grund aus­gedehn­ter Han­dels­beziehun­gen erhe­blichen Wohl­stand, der in den Rat‑, Zun­ft- und stat­tlichen Bürg­er­häusern wie in den mon­u­men­tal­en Kirchen zum Aus­druck kam. Während der Refor­ma­tion­szeit wurde Danzig dauer­haft evan­ge­lisch, kam 1793 zu Preußen und nahm als Indus­trie- und Han­delsstadt sowie als wichtiges Kul­turzen­trum des deutschen Ostens einen neuen Auf­schwung.

Der Ver­sailler Ver­trag von 1919 sah eine Son­der­stel­lung vor. So set­zte die Errich­tung eines pol­nis­chen Staates mit freiem Zugang zum Meer die Aus­gliederung Danzigs aus dem Deutschen Reich voraus. Die »Danzigfrage« löste man einst­weilen, indem man Danzig zur »Freien Stadt« erk­lärte und unter den Schutz des Völker­bun­des stellte. Dieser entsandte einen Hohen Kom­mis­sar zur Schlich­tung von Stre­it­fällen mit Polen (von 1937–39 war das der Schweiz­er Diplo­mat Carl Jacob Bur­ck­hardt). Allerd­ings ver­loren die Bürg­er Danzigs die deutsche Staat­sange­hörigkeit. In Stadt und Umland lebten zu der Zeit rund 400 000 Men­schen, von denen 97 Prozent Deutsche waren. Als Freie Stadt ver­fügte Danzig über ein eigenes Par­la­ment (Volk­stag) und eine Regierung (Sen­at).

Danzig gehörte nun zum pol­nis­chen Zoll­ge­bi­et und wurde außen­poli­tisch von Warschau und nicht mehr von Berlin vertreten. Die »Insel­lage« hemmte die freie Entwick­lung des Stadt­staates merk­lich. Mehr oder weniger unver­hohlen unter­nahm der Staat Polen immer wieder Ver­suche, seinen Ein­fluß auf Danzig auszudehnen. Die Folge waren poli­tis­che Schar­mützel, bei denen es beispiel­sweise um das Aufen­thalt­srecht der pol­nis­chen Flotte im Danziger Hafen ging. Der­weil steigerte sich in der Danziger Bevölkerung angesichts der ver­schlechterten Wirtschaft­slage der Wun­sch nach ein­er Wiedervere­ini­gung mit dem Deutschen Reich. Doch alle Ini­tia­tiv­en für eine Volksab­stim­mung lehnte der Völker­bund ab. 1933 errang die NSDAP die Mehrheit im Volk­stag, im Reich forderte Hitler den Anschluß Danzigs und sichere Verkehr­swege durch den »Kor­ri­dor« ins abgeschnit­tene Ost­preußen. In Polen nah­men die Aver­sio­nen gegen die »illoyalen« Danziger Bürg­er zu. Ab Juni 1939 mehrten sich die gegen­seit­i­gen Beschuldigun­gen und Verdäch­ti­gun­gen. Polen nutzte zahlre­iche Gele­gen­heit­en zur Pro­voka­tion und ging auf Kon­fronta­tion­skurs. Eine Eskala­tion­sstufe bedeutete der »Zollinspek­toren­stre­it« im Juni 1939, als die pol­nis­chen Zoll­beamten ihre Kon­trollen im kleinen Gren­zverkehr der­art ver­schärften, daß sie von der zumeist deutschen Bevölkerung als Schikane emp­fun­den wur­den.

Die Krise set­zte sich auf poli­tis­ch­er Ebene fort und gipfelte in einem pol­nis­chen Ulti­ma­tum unter Andro­hung mil­itärisch­er Gewalt, dem von deutsch­er Seite zunächst mit dem Ver­such begeg­net wurde, den Kon­flikt nicht weit­er anzuheizen. Wie sehr die Auseinan­der­set­zung um Danzig jedoch das Zeug zum Pul­ver­faß hat­te, zeigte sich kurz darauf. Auf eine Miß­bil­li­gung der Reich­sregierung
als Reak­tion auf die pol­nis­chen Dro­hun­gen gegenüber der Danziger Bevölkerung ließ der pol­nis­che Vertreter in Berlin den Staatssekretär im Auswär­ti­gen Amt, Ernst von Weizsäck­er, wis­sen, daß Polen jede Ein­mis­chung der Reich­sregierung in die Danziger Angele­gen­heit­en zu Las­ten Polens als »Angriff­shand­lung« betra­cht­en werde. Vor dem Hin­ter­grund, daß Eng­land und Frankre­ich bere­its zugesichert hat­ten, Polen in jedem von Deutsch­land aus­gelösten Krieg zu unter­stützen, kon­nte dies dur­chaus als unver­hoh­lene Dro­hung gew­ertet wer­den.

Der His­torik­er Ste­fan Scheil hat die Hal­tung Polens unter dem Begriff des »Kriegskalküls« sub­sum­iert. Allen Ver­mit­tlungsver­suchen zum Trotz, etwa durch Eng­lands Botschafter Hen­der­son, eskalierte im August 1939 die Auseinan­der­set­zung endgültig. Nach bei­der­seit­i­gen Repres­sio­nen und Ausweisun­gen von Bürg­ern ver­sucht­en pol­nis­che Flak­bat­te­rien in der let­zten Woche vor dem Kriegsaus­bruch mehrfach, Pas­sagier­maschi­nen der Lufthansa auf ihrem Flug von Berlin nach Königs­berg über der Ost­see abzuschießen. Es kam zu aller­lei Schießereien an den Gren­zübergän­gen zwis­chen pol­nis­chen und deutschen Zoll­beamten und Sol­dat­en, wobei es zahlre­iche Tote gab. Auch ging eine Rei­he deutsch­er Bauern­höfe im pol­nis­chen Gren­z­land in Flam­men auf. Schließlich erfol­gte am 1. Sep­tem­ber 1939 der deutsche Angriff auf Polen, in dessen Folge Danzig dem Deutschen Reich angegliedert wurde.

Im Zuge der Schlacht um Ost­pom­mern fiel Danzig am 30. März 1945 in die Hände der Roten Armee. Bei den Kampfhand­lun­gen sowie durch Luftan­griffe und Artilleriebeschuß wur­den die noch erhal­te­nen Häuser der Innen­stadt geplün­dert und in Brand gesteckt. Auch das Kran­tor ver­bran­nte voll­ständig, von den Mauern blieben lediglich 60 Prozent ste­hen. Seit 1945 unter pol­nis­ch­er Ver­wal­tung, wuchs Danzig zunehmend mit Gdin­gen und Zop­pot zusam­men und wurde wieder eine bedeu­tende Indus­trie- und Hafen­stadt. Im Gegen­satz zu den meis­ten anderen Gegen­den des deutschen Ostens leis­teten die pol­nis­chen Denkmalpfleger und Restau­ra­toren beim orig­i­nal­ge­treuen Wieder­auf­bau der Bau­denkmäler Danzigs ganze Arbeit. Zur Zeit des Kalten Krieges indes wur­den sie ahnungslosen Besuch­ern gegenüber gern als Zeug­nisse der jahrhun­derteal­ten pol­nis­chen Kul­tur aus­gegeben. Inzwis­chen wach­sen die Besuch­er­ströme aus Deutsch­land in den Danziger Straßen und Gassen Jahr für Jahr. Die Stadt präsen­tiert sich ihren Besuch­ern gern als europäis­che Metro­pole, das Kran­tor kann besichtigt wer­den und ist das beliebteste Foto­mo­tiv.

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Lit­er­atur:

  • Bodo W. Jax­theimer: Polen und der deutsche Osten, München 1986
  • Detlef Krannhals: Das Kran­tor zu Danzig, Danzig 1941
  • Peter Oliv­er Loew: Danzig. Biogra­phie ein­er Stadt, München 2011
  • Ste­fan Scheil: Polen 1939. Kriegskalkül, Vor­bere­itung, Vol­lzug, Schnell­ro­da 2013