Der faschistische Stil — Armin Mohler, 1973

Den »Ver­such, sich aller the­o­retis­chen und moral­isieren­den Vor­ein­genom­men­heit zu entledi­gen und geschichtliche Phänomene als Phänomene wieder ernst zu nehmen, d. h. sie zu sehen«, hat Armin Mohler einige Male unter­nom­men. Geglückt war ihm 1950 bere­its sein erster Vorstoß, als er mit seinem Stan­dard­w­erk Die Kon­ser­v­a­tive Rev­o­lu­tion in Deutsch­land ein Phänomen zu  beschreiben und einen Begriff zu set­zen ver­mochte.

Keinen Erfolg hat­te er mit seinem 1974 für die Zeitschrift Crit­icón ver­faßten »Glaubens­beken­nt­nis« Die nom­i­nal­is­tis­che Wende – der Begriff set­zte sich nicht durch, die Unter­schei­dung zwis­chen (rechtem) Nom­i­nal­is­mus hier und (linkem) Uni­ver­sal­is­mus dort erschien selb­st vie­len Mohler-Schülern nicht plau­si­bel.

Eine Mit­tel­po­si­tion nimmt der ein Jahr zuvor erschienene Essay Der faschis­tis­che Stil ein. Auch hierin ging es Mohler um eine Begriff­sklärung (im Sinne ein­er Säu­berung) und um die Ret­tung eines zur Totschlag­vok­a­bel verkomme­nen Phänomens. Sein Vorhaben gelang inner­halb ein­er recht­en Leserge­meinde durch­schla­gend – sein Text gilt zu Recht als Hebam­men­di­enst zur »zweit­en Geburt« (wiederum Mohler), ein­er geisti­gen Neuaus­rich­tung auf­grund lebensverän­dern­der Lek­türe. Aber auch außer­halb eines intu­itiv überzeugten Milieus kam und kommt die Wis­senschaft nicht recht an Mohlers »phys­iog­nomis­chem Zugriff« auf den Faschis­mus vor­bei.

In seinem Essay erläutert Mohler, was er mit diesem Zugriff meint, indem er zunächst der Beschränkung des Begriffs auf den ital­ienis­chen Faschis­mus oder auf eine Epoche (Ernst Nolte) eine Absage erteilt und behauptet, daß »Faschis­ten sich offen­sichtlich leicht mit Unstim­migkeit­en der The­o­rie abfind­en, weil ihre Ver­ständi­gung sich in kürz­erem Bogen, eben über den Stil, vol­lzieht«. Was unter diesem Stil zu ver­ste­hen sei, zeigt Mohler anhand ein­er Rede, die Got­tfried Benn anläßlich des Besuchs des Futur­is­ten Tom­ma­so Marinet­ti in Berlin 1934 hielt. »Ein Faschist heißt einen Faschis­ten willkom­men«, schreibt Mohler und seziert aus Benns Worten den phys­iog­nomis­chen Anteil: »kalter Stil, rapid, funkel­nd, großar­tig« sei das, was Benn an Marinet­ti begrüßt habe. Es wäre, so Benn, Deutsch­lands und Ital­iens Auf­gabe, »an dem unthe­atralis­chen, an dem großar­ti­gen kalten Stil mitzuar­beit­en, in den Europa hinein­wächst«.

Auch Ernst Jünger wird als Zeuge aufgerufen, sein Aben­teuer­lich­es Herz in der ersten Fas­sung aus­führlich zitiert. »Was hier als Faschis­mus zu beschreiben ver­sucht wird, ist schon ein beson­der­er Ver­such, sich aus dem Debakel der All­ge­mein­heit­en und der Sys­teme auf die Exis­tenz zurück­zubeziehen«, faßt Mohler zusam­men und gibt das entschei­dende Stich­wort: An die Stelle der inhaltlichen Welt­deu­tung (deren Zertrüm­merung durch den Ersten Weltkrieg, die Mas­sen­ge­sellschaft, den philosophis­chen Nihilis­mus offenkundig gewor­den war) hat­te die Form zu treten (die nicht von Dauer ist, aber auf jeden Fall ein überzeu­gend durchge­bildetes Stück Wirk­lichkeit). Faschis­mus ist in diesem Sinne eine Ver­hal­tenslehre und als Stil ein for­mgeben­der,
poli­tis­ch­er Exis­ten­tial­is­mus. Es geht um die Verdich­tung ein­er Überzeu­gung in ein­er sym­bol­is­chen Geste, einem oft gewalt­täti­gen Akt, ein­er kon­se­quenten, unthe­atralis­chen Insze­nierung.

Daß dies mit dem nation­al­sozial­is­tis­chen Blut-und-Boden-Ras­sis­mus nichts zu tun habe, ist für Mohler evi­dent. Er betont dies an eini­gen Stellen seines Essays und konzen­tri­ert sich darauf, Fund­stücke zu präsen­tieren, die seine Umschrei­bung eines faschis­tis­chen Stils anschaulich, plas­tisch machen. Erwäh­nt sei das berühmte Tele­fonge­spräch aus dem Spanis­chen Bürg­erkrieg
zwis­chen dem falangis­tis­chen Kom­man­deur des von Roten belagerten Alcázar von Tole­do und dessen gefan­genem Sohn, bei dem für bei­de selb­stver­ständlich ist, daß der Vater die Fes­tung hal­ten und der Sohn sich unpa­thetisch als Geisel opfern würde. Mohler präzisiert seine phys­iog­nomis­che Begriffs­bes­tim­mung zulet­zt noch dadurch, daß er den Faschis­ten vom Nation­al­sozial­is­ten und vom Etatis­ten unter­schei­det und gle­ichzeit­ig deren Ver­wandtschaft und Durchkreuzung andeutet.

Was Mohlers Essay zu einem Schlüs­sel­text, ein­er Pflichtlek­türe macht, ist zum einen die Sicher­heit des gedanklichen Vorstoßes: Mohler hat einen ganzen Büch­er­stapel zu seinem The­ma durchgear­beit­et, aber er stock­te ihn nicht um ein weit­eres, aus­bal­anciertes Buch auf, son­dern erset­zte  ihn durch einen völ­lig neuen Entwurf. Diese Unbeküm­mertheit befre­ite das Phänomen
»Faschis­mus« von dem Wust an Fußnoten und sys­tem­a­tis­chen Zwän­gen, in dem es gefan­gen war. Daß dies in hohem Maße mutig und nonkon­form war, macht Mohler bis heute zu einem inspiri­eren­den Lehrer, und man kann mit Gün­ter Maschke von ein­er Bewaffnung der Sprache sprechen: Begriffe wer­den ver­wend­bar, das Wort ist nicht mehr nur die Waffe der anderen.

Anzuführen ist des weit­eren Mohlers kon­se­quente Hochschätzung der Form: Wenn er den faschis­tis­chen Stil ger­ade damit markierte, so war und ist das auch deshalb überzeu­gend, weil sein Essay selb­st in diesem Stil ver­faßt ist. Daß er sich mit seinem Text let­ztlich sein­er eige­nen Posi­tion vergewis­serte, hat manch­er Beobachter der Szener­ie ver­mutet, die pro­faschis­tis­che Bemäch­ti­gung des The­mas durch Mohler ist tat­säch­lich unverkennbar. Bestätigt hat Mohler diese Ver­mu­tung in einem Inter­view, in dem er 1995 bekan­nte, daß er in diesem Sinne ein Faschist sei.

– — –

Zitat:

Es ist ein Stil, der aus der Span­nung von futur­is­tis­ch­er Jugend und schwarzem Tod lebt. Ein Stil, der notwendig den antibürg­er­lichen Affekt in sich schließt – der Energie und Instinkt betont.

– — –

Aus­gabe:

  • Erweit­erte Fas­sung, in: Armin Mohler: Das Gespräch. Über Linke, Rechte und Lang­weil­er, Dres­den: Edi­tion Antaios 2001, S. 119–178.

– — –

Lit­er­atur:

  • Götz Kubitschek: Got­tfried Benn – Ver­such über einen Faschis­ten, in: Sezes­sion (2006), Heft 14
  • Karl­heinz Weiß­mann: Armin Mohler. Eine poli­tis­che Biogra­phie, Schnell­ro­da 2011