Diktatur

Dik­tatur beze­ich­nete in der Ver­fas­sung der römis­chen Repub­lik die Über­tra­gung der gesamten vol­lziehen­den Gewalt auf einen Amt­sträger für den Ern­st­fall der äußeren oder inneren Bedro­hung (vor allem Krieg oder Bürg­erkrieg). Die Dik­tatur war auf sechs Monate begren­zt, Ein­spruch gegen die Anord­nung des Dik­ta­tors unmöglich, in bezug auf seine Maß­nah­men galt eine rück­wirk­ende Immu­nität.

Die Mag­is­trate bestanden aber in der Dik­tatur fort und garantierten so die Aufrechter­hal­tung der Ver­fas­sung: Es han­delte sich in manch­er Hin­sicht nur um die »Wieder­auf­nahme des König­tums auf Zeit« (Theodor Momm­sen), ohne daß dadurch das Wesen der frei­heitlichen Insti­tu­tio­nen berührt wor­den wäre.
Man nen­nt diese Art von Dik­tatur mit Carl Schmitt »kom­mis­sarische Dik­tatur«. Fak­tisch gehört sie zum Instru­men­tar­i­um jed­er intak­ten Ver­fas­sung für die Aus­nahme­si­t­u­a­tion; eine ver­gle­ich­bare Dik­taturge­walt ken­nen deshalb auch heutige Staat­en.

Allerd­ings zeigte sich in der End­phase der römis­chen Repub­lik eine gewisse Unzulänglichkeit der »kom­mis­sarischen Dik­tatur«. Dem let­zten Dik­ta­tor alten Stils, Q. Fabius Max­imus, war die Nieder­w­er­fung Han­ni­bals nicht gelun­gen, da er in der ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zeit keine Möglichkeit hat­te, einen Feld­her­rn zu besiegen, der auf unbe­gren­zte Dauer über absolute Macht ver­fügte. Das erk­lärt, warum sich der Sen­at entschloß, Sul­la erst­mals mit dem Auf­trag zu ernen­nen, nicht nur eine vorüberge­hende Gefahren­lage zu bewälti­gen, son­dern die Ver­fas­sung neu zu ord­nen. Sul­las Kri­tik­er bemerk­ten dabei schon, daß es sich nicht um eine Dik­tatur im ursprünglichen Sinn han­delte, vielmehr um eine Gewaltherrschaft, die bess­er als »Tyran­nis« oder »Despotie« beze­ich­net würde. Fak­tisch arbeit­ete sie der Errich­tung ein­er Allein­herrschaft vor, die ansatzweise von Cäsar, der sich zum dic­ta­tor per­petu­us – »Dik­ta­tor auf Leben­szeit« ernen­nen ließ, endgültig von Augus­tus ver­wirk­licht wurde.

Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhun­derts ist reich an Beispie­len für die eine wie die andere Vari­ante der Dik­tatur; zur ersten kön­nte man die Dik­tatur Pri­mo de Riveras (Spanien), Salazars (Por­tu­gals), Hor­thys (Ungarn), Doll­fuß’€™ (Öster­re­ich) oder Kemal Paschas (Türkei) rech­nen, zur zweit­en die Fran­cos (Spanien) und zahllos­er Mil­itär­regime Lateinamerikas. Oft han­delte es sich um »Ersatz­monar­chien«, die nach dem Sturz des König­tums und angesichts der Schwäche ein­er Repub­lik als Aushil­fe errichtet wor­den waren, oft erk­lärte sich ihre Unange­focht­en­heit nur aus dem Frontver­lauf des Kalten Krieges. Allerd­ings unter­schieden sie sich alle deut­lich von jenen Sys­te­men, die – wieder mit Schmitt – als »sou­veräne Dik­taturen« zu beze­ich­nen wären.

Es han­delt sich dabei um die Mach­tausübung von einzel­nen, Grup­pen oder Insti­tu­tio­nen, die im Namen des Volkes oder eines Äquiv­a­lents – ein­er Klasse oder Rasse – die absolute Gewalt an sich reißen und auf Dauer ausüben. Entschei­dend für die Legit­i­ma­tion der »sou­verä­nen Dik­tatur« ist die Vorstel­lung eines pou­voir con­sti­tu­ant – ein­er »ver­fas­sunggeben­den Gewalt«, die ein unbe­d­ingtes Recht auf Durch­set­zung der von ihr gewün­scht­en Ord­nung im Staat hat. Das erk­lärt die Anziehungskraft der Idee ein­er »sou­verä­nen Dik­tatur« auf die radikale Linke vom Ter­ror­regime der Jakobin­er über das der Bolschewi­ki bis zur »Erziehungs­dik­tatur« Her­bert Mar­cus­es; auch das NS-Regime (sehr viel weniger das Mus­soli­n­is) entspricht in viel­er Hin­sicht dem Konzept der »sou­verä­nen Dik­tatur«, ist aber in bezug auf die rechte Nor­malvorstel­lung von Dik­tatur (die »kom­mis­sarische Dik­tatur«) ein Aus­nah­me­fall.

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Zitate:

Für alle jene, die den unzeit­gemäßen Ver­such wagen wollen, aus der Ver­gan­gen­heit zu ler­nen, würde es sich lohnen, am römis­chen Beispiel die Entwick­lung zum per­sön­lichen Reg­i­ment zu ver­fol­gen.
Thomas Chaimow­icz

Es han­delt sich darum, zwis­chen der Dik­tatur, die von unten kommt, und der Dik­tatur, die von oben kommt, zu wählen; ich erwäh­le mir die, welche von oben kommt, weil sie aus rein­licheren und aus­geglich­eneren Gegen­den stammt. Es han­delt sich schließlich, zu wählen zwis­chen der Dik­tatur des Dolchs und der Dik­tatur des Säbels; ich wäh­le mir die Dik­tatur des Säbels, denn sie ist die vornehmere.
Juan Donoso Cortés

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Lit­er­atur:

  • Otto Forst de Battaglia: Prozeß der Dik­tatur, Wien 1930
  • Juan Donoso Cortés: Über die Dik­tatur. Drei Reden aus den Jahren 1849/50 [1948], zulet­zt Wien 1996
  • Her­mann Heller: Rechtsstaat oder Dik­tatur, Tübin­gen 1930
  • Carl Schmitt: Die Dik­tatur [1921], zulet­zt Berlin 2006