Hans-Urs von Balthasar bemerkte gelegentlich über Przywara: „Die Zeit hat den bequemeren Weg gewählt, sich nicht mit ihm auseinanderzusetzen.“ Dieses Urteil erscheint durch das Mißverhältnis zwischen dem sprachlich und gedanklich höchst ambitionierten, die europäische Geistesgeschichte souverän deutenden Werk von mehr als 800 Veröffentlichungen, darunter 50 Monographien und der begrenzten Wirkungsgeschichte berechtigt.
1908 tritt Przywara, geboren am 12. Oktober 1889 in Kattowitz (Oberschlesien), in den Jesuitenorden ein; Noviziat und Studium absolviert er in Holland (Valkenburg und Exaten). 1920 wird er zum Priester geweiht, kurze Zeit ist er als Musikpräfekt in Feldkirch (Vorarlberg) tätig und von 1922 bis zum Verbot 1941 als Redakteur der Stimmen der Zeit in München. Przywara war in den zwanziger Jahren einer der führenden katholischen Intellektuellen, der auch durch seine brillanten Vorträge wesentlich mit zum katholischen Neuaufbruch beitrug. Gespräche und Briefwechsel verbanden ihn unter anderem mit Husserl, Scheler, Edith Stein, aber auch mit jüdischen Denkern und Politikern wie Leo Baeck und nicht zuletzt mit der Dialektischen Theologie von Karl Barth. Nach dem Krieg reduzierte sich seine äußerliche Tätigkeit, mitbedingt durch eine schwere Krankheit. Er stellte eingehende Luther-Studien an, war in der Altakademikerseelsorge tätig und führte in der Abgeschiedenheit von Hagen bei Murnau sein monumentales Werk weiter.
Im Zentrum von Przywaras Denken steht die „analogia entis“, die Frage nach den Gemeinsamkeiten des Seins: er entfaltet sie allerdings nicht als Prinzip natürlicher Theologie, sondern als Dynamik und Rhythmus zwischen Gott und Mensch. Gott ist über dem Menschen und zugleich in ihm. Die Differenz in der Analogie ist immer größer als die Ähnlichkeit, womit Przywara der Lehre des IV. Laterankonzils (1215) folgt. Jene Differenz bleibt sowohl in der Gott-Ebenbildlichkeit, wie in dem Gleichgestaltetsein mit Christus gewahrt. Durch den Grundsatz „Deus semper maior“ verbindet sich Przywara mit dem Barthschen Gedanken, daß Gott der „Ganz andere“ bleibe. Barths Verdikt, wonach die „analogia entis“ eine die Differenz zwischen Gott und Welt einreißende Erfindung des Antichrist sei, wird auf diese Weise unterlaufen. Riß und Abgrund prägen im Sinne von Przywara entscheidend das Gott-Mensch-Verhältnis. Die Moderne ist aufgrund der von Przywara diagnostizierten Zerrissenheit nicht nur Epoche der Gott-ferne, vielmehr kommt in ihr diese Differenzerfahrung besonders deutlich zum Ausdruck und kann damit zu einem Zugang zu Gott via negationis werden.
Es dürfte übertrieben sein, wenn Karl Rahner bemerkt, daß durch Przywara „die analogia entis aus einer kleinen scholastischen Spitzfindigkeit zur Grundstruktur des Katholischen“ geworden sei. Traditionell nämlich hat die Analogielehre bereits seit Thomas ihre große ontologische Bedeutung. Przywara ist es aber gelungen, diesen mittelalterlichen Gedanken auf der Höhe der Philosophie des 20. Jahrhunderts zu explizieren und zugleich als Instrument der Gegenwartsdeutung zu verwenden.
Przywaras Denken ist einerseits von Ignatius von Loyola und der Jesuitischen Einsicht in die Maiestas Divina geprägt, andererseits zeigt er eine große Wertschätzung für Duns Scotus, den er der Hochscholastik vorzieht. Von hier her war es kein allzu weiter Weg zur Lutherischen Theologia crucis, die Przywara intensiver als die meisten katholischen Theologen rezipiert hat. Die Sünde versteht er als Zerstörung des Analogieverhältnisses. Wesenszug der Sünde ist es, daß der Mensch begehrt, wie Gott zu sein. In dieser Neigung sieht Przywara ein unhintergehbares Anthropologicum. Mithin sind das Böse und die Skepsis von entscheidender Bedeutung in Przywaras Denken. Darauf antwortet aber der in Kreuz und Kenose sich entäußernde Gott, der selbst das Menschsein vorbehaltlos annimmt. Commercium (bei Luther der „fröhliche Tausch“) wird als Lösegeld und Sühneopfer verstanden (Römer 5, 10). Die Formel der Offenbarung verweist nach Przywara auf „Gott in Christus in der Kirche“, wobei er seine Ekklesiologie von Kreuz her entwickelt. „Christus ist nicht Christus, wenn er nicht in eins gegeben wird mit seiner Kirche“, bemerkt Przywara und verbindet eine Theologie der Herrlichkeit mit der Theologie des wandernden und immer unzulänglichen Volkes Gottes. Pryzwara beklagt zugleich, daß die Urzelle der Kirche, Israel, bis ans Ende der Zeit in ihr fehlt. Heilsgeschichtlich ist die Kirche die Gemeinschaft der Heiligen und zugleich der sündigen Menschen, zwischen Schon und Noch-Nicht. Künftige Heilserwartung und die Kirche als katechontische Macht, die in keiner Weise nach den Maßstäben weltlicher Institutionen eingerichtet werden kann, werden von hier her komplementär zueinander entfaltet.
Przywaras umfassendes und komplexes Werk ist kein Beitrag zu einem unmittelbaren politischen Konservatismus. Es hat aber exemplarische Bedeutung für eine abendländische Katholizität, die mit Henri de Lubac davon ausgeht, daß das Christentum nicht ein Ereigniszusammenhang in der Geschichte ist, sondern die Weltgeschichte Teil der Zeit- und Endlichkeit transzendierenden Geschichte Gottes. Von hier her hat Przywara auch dem Abendlands-, und Europagedanken im Horizont des Reichsgedankens Profil gegeben.
Erich Przywara verstarb am 28. September 1972 in Hagen bei Murnau (Oberbayern).
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Zitat:
So wird noch einmal jener Sinn von Katholizität offenbar: Katholizität primär als „Katholizität“ des „Gott alles in allem“, aber eben darum (weil alles Geschöpfliche aus Gott) als Katholizität auch im Menschheitssinn des „alles in allem zu Gott“: der positive Wesenssinn des „außer der Kirche kein Heil“.
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Schriften:
- Religionsbegründung. Max Scheler — J.H. Newman, Freiburg/Br. 1923
- Majestas Divina. Ignatianische Frömmigkeit, Augsburg 1925
- Das Geheimnis Kierkegaards, München, Berlin 1929
- Ringen der Gegenwart. Gesammelte Aufsätze 1922–1927, 2 Bde., Augsburg 1929
- Kant heute. Eine Sichtung, München, Berlin 1930
- Analogia Entis. Metaphysik, München 1932
- Christliche Existenz, Leipzig 1934
- Deus semper maior. Theologie der Exerzitiien, 3 Bde., Freiburg/Br. 1938–1940
- Was ist Gott? Summula, Nürnberg 1947
- Humanitas. Der Mensch gestern und morgen, Nürnberg 1952
- Idee Europa, Nürnberg 1956
- Kirche in Gegensätzen, Düsseldorf 1962
- Logos. Logos-Abendland-Reich-Commercium, Düsseldorf 1964
- Katholische Krise, hrsg. von B. Gertz, Düsseldorf 1967
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Literatur:
- Siegfried Behn (Hrsg.): Der beständige Aufbruch. FS Erich Przywara. Nürnberg 1959
- Bernhard Gertz: Glaubenswelt als Analogie. Die theologische Analogie-Lehre Erich Przywaras und ihr Ort in der Auseinandersetzung um die analogia fidei. Düsseldorf 1969
- Martha Zechmeister: Gottes-Nacht. Erich Przywaras Weg Negativer Theologie, Münster 1997