Pryzwara, Erich — Theologe, 1889–1972

Hans-Urs von Balthasar bemerk­te gele­gentlich über Przy­wara: „Die Zeit hat den beque­meren Weg gewählt, sich nicht mit ihm auseinan­derzuset­zen.“ Dieses Urteil erscheint durch das Mißver­hält­nis zwis­chen dem sprach­lich und gedanklich höchst ambi­tion­ierten, die europäis­che Geis­tes­geschichte sou­verän deu­ten­den Werk von mehr als 800 Veröf­fentlichun­gen, darunter 50 Mono­gra­phien und der begren­zten Wirkungs­geschichte berechtigt.

1908 tritt Przy­wara, geboren am 12. Okto­ber 1889 in Kat­towitz (Ober­schle­sien), in den Jesuitenor­den ein; Noviziat und Studi­um absolviert er in Hol­land (Valken­burg und Exat­en). 1920 wird er zum Priester gewei­ht, kurze Zeit ist er als Musikpräfekt in Feld­kirch (Vorarl­berg) tätig und von 1922 bis zum Ver­bot 1941 als Redak­teur der Stim­men der Zeit in München. Przy­wara war in den zwanziger Jahren ein­er der führen­den katholis­chen Intellek­tuellen, der auch durch seine bril­lanten Vorträge wesentlich mit zum katholis­chen Neuauf­bruch beitrug. Gespräche und Briefwech­sel ver­ban­den ihn unter anderem mit Husserl, Schel­er, Edith Stein, aber auch mit jüdis­chen Denkern und Poli­tik­ern wie Leo Baeck und nicht zulet­zt mit der Dialek­tis­chen The­olo­gie von Karl Barth. Nach dem Krieg reduzierte sich seine äußer­liche Tätigkeit, mitbe­d­ingt durch eine schwere Krankheit. Er stellte einge­hende Luther-Stu­di­en an, war in der Altakademik­erseel­sorge tätig und führte in der Abgeschieden­heit von Hagen bei Mur­nau sein mon­u­men­tales Werk weit­er.

Im Zen­trum von Przy­waras Denken ste­ht die „analo­gia entis“, die Frage nach den Gemein­samkeit­en des Seins: er ent­fal­tet sie allerd­ings nicht als Prinzip natür­lich­er The­olo­gie, son­dern als Dynamik und Rhyth­mus zwis­chen Gott und Men­sch. Gott ist über dem Men­schen und zugle­ich in ihm. Die Dif­ferenz in der Analo­gie ist immer größer als die Ähn­lichkeit, wom­it Przy­wara der Lehre des IV. Lat­er­ankonzils (1215) fol­gt. Jene Dif­ferenz bleibt sowohl in der Gott-Eben­bildlichkeit, wie in dem Gle­ichgestal­tet­sein mit Chris­tus gewahrt. Durch den Grund­satz „Deus sem­per maior“ verbindet sich Przy­wara mit dem Barth­schen Gedanken, daß Gott der „Ganz andere“ bleibe. Barths Verdikt, wonach die „analo­gia entis“ eine die Dif­ferenz zwis­chen Gott und Welt ein­reißende Erfind­ung des Antichrist sei, wird auf diese Weise unter­laufen.  Riß und Abgrund prä­gen im Sinne von Przy­wara entschei­dend das Gott-Men­sch-Ver­hält­nis. Die Mod­erne ist auf­grund der von Przy­wara diag­nos­tizierten Zer­ris­senheit nicht nur Epoche der Gott-ferne, vielmehr kommt in ihr diese Dif­feren­z­er­fahrung beson­ders deut­lich zum Aus­druck und kann damit zu einem Zugang zu Gott via nega­tio­n­is wer­den.

Es dürfte über­trieben sein, wenn Karl Rah­n­er bemerkt, daß durch Przy­wara „die analo­gia entis aus ein­er kleinen scholastis­chen Spitzfind­igkeit zur Grund­struk­tur des Katholis­chen“ gewor­den sei. Tra­di­tionell näm­lich hat die Analo­gielehre bere­its seit Thomas ihre große ontol­o­gis­che Bedeu­tung. Przy­wara ist es aber gelun­gen, diesen mit­te­lal­ter­lichen Gedanken auf der Höhe der Philoso­phie des 20. Jahrhun­derts zu explizieren und zugle­ich als Instru­ment der Gegen­warts­deu­tung zu ver­wen­den.

Przy­waras Denken ist ein­er­seits von Ignatius von Loy­ola und der Jesuit­is­chen Ein­sicht in die Maies­tas Div­ina geprägt, ander­er­seits zeigt er eine große Wertschätzung für Duns Sco­tus, den er der Hochscholastik vorzieht. Von hier her war es kein allzu weit­er Weg zur Lutherischen The­olo­gia cru­cis, die Przy­wara inten­siv­er als die meis­ten katholis­chen The­olo­gen rezip­iert hat. Die Sünde ver­ste­ht er als Zer­störung des Analo­giev­er­hält­niss­es. Wesen­szug der Sünde ist es, daß der Men­sch begehrt, wie Gott zu sein. In dieser Nei­gung sieht Przy­wara ein unhin­terge­hbares Anthro­po­log­icum. Mithin sind das Böse und die Skep­sis von entschei­den­der Bedeu­tung in Przy­waras Denken. Darauf antwortet aber der in Kreuz und Kenose sich entäußernde Gott, der selb­st das Men­sch­sein vor­be­halt­los annimmt. Com­mer­ci­um (bei Luther der „fröh­liche Tausch“) wird als Lösegeld und Süh­neopfer ver­standen (Römer 5, 10). Die Formel der Offen­barung ver­weist nach Przy­wara auf „Gott in Chris­tus in der Kirche“, wobei er seine Ekkle­si­olo­gie von Kreuz her entwick­elt. „Chris­tus ist nicht Chris­tus, wenn er nicht in eins gegeben wird mit sein­er Kirche“, bemerkt Przy­wara und verbindet eine The­olo­gie der Her­rlichkeit mit der The­olo­gie des wan­dern­den und immer unzulänglichen Volkes Gottes. Pryzwara beklagt zugle­ich, daß die Urzelle der Kirche, Israel, bis ans Ende der Zeit in ihr fehlt. Heils­geschichtlich ist die Kirche die Gemein­schaft der Heili­gen und zugle­ich der sündi­gen Men­schen, zwis­chen Schon und Noch-Nicht. Kün­ftige Heilser­wartung und die Kirche als kat­e­chon­tis­che Macht, die in kein­er Weise nach den Maßstäben weltlich­er Insti­tu­tio­nen ein­gerichtet wer­den kann, wer­den von hier her kom­ple­men­tär zueinan­der ent­fal­tet.

Przy­waras umfassendes und kom­plex­es Werk ist kein Beitrag zu einem unmit­tel­baren poli­tis­chen Kon­ser­vatismus. Es hat aber exem­plar­ische Bedeu­tung für eine abendländis­che Katholiz­ität, die mit Hen­ri de Lubac davon aus­ge­ht, daß das Chris­ten­tum nicht ein Ereigniszusam­men­hang in der Geschichte ist, son­dern die Welt­geschichte Teil der Zeit- und Endlichkeit tran­szendieren­den Geschichte Gottes. Von hier her hat Przy­wara auch dem Abend­lands-, und Europagedanken im Hor­i­zont des Reichs­gedankens Pro­fil gegeben.

Erich Przy­wara ver­starb am 28. Sep­tem­ber 1972 in Hagen bei Mur­nau (Ober­bay­ern). 

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Zitat:

So wird noch ein­mal jen­er Sinn von Katholiz­ität offen­bar: Katholiz­ität primär als „Katholiz­ität“ des „Gott alles in allem“, aber eben darum (weil alles Geschöpfliche aus Gott) als Katholiz­ität auch im Men­schheitssinn des „alles in allem zu Gott“: der pos­i­tive Wesenssinn des „außer der Kirche kein Heil“.

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Schriften:

  • Reli­gions­be­grün­dung. Max Schel­er — J.H. New­man, Freiburg/Br. 1923
  • Majes­tas Div­ina. Igna­tian­is­che Fröm­migkeit, Augs­burg 1925
  • Das Geheim­nis Kierkegaards, München, Berlin 1929
  • Rin­gen der Gegen­wart. Gesam­melte Auf­sätze 1922–1927, 2 Bde., Augs­burg 1929
  • Kant heute. Eine Sich­tung, München, Berlin 1930
  • Analo­gia Entis. Meta­physik, München 1932
  • Christliche Exis­tenz, Leipzig 1934
  • Deus sem­per maior. The­olo­gie der Exerz­i­ti­ien, 3 Bde., Freiburg/Br. 1938–1940
  • Was ist Gott? Sum­mu­la, Nürn­berg 1947
  • Human­i­tas. Der Men­sch gestern und mor­gen, Nürn­berg 1952
  • Idee Europa, Nürn­berg 1956
  • Kirche in Gegen­sätzen, Düs­sel­dorf 1962
  • Logos. Logos-Abend­land-Reich-Com­mer­ci­um, Düs­sel­dorf 1964
  • Katholis­che Krise, hrsg. von B. Gertz, Düs­sel­dorf 1967

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Lit­er­atur:

  • Siegfried Behn (Hrsg.): Der beständi­ge Auf­bruch. FS Erich Przy­wara. Nürn­berg 1959
  • Bern­hard Gertz: Glaubenswelt als Analo­gie. Die the­ol­o­gis­che Analo­gie-Lehre Erich Przy­waras und ihr Ort in der Auseinan­der­set­zung um die analo­gia fidei. Düs­sel­dorf 1969
  • Martha Zech­meis­ter: Gottes-Nacht. Erich Przy­waras Weg Neg­a­tiv­er The­olo­gie, Mün­ster 1997