Familie

Fam­i­lie ist ein Kern­be­griff kon­ser­v­a­tiv­er Weltan­schau­ung. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum ersten wird die Fam­i­lie als kle­in­ste, im Vollsinn organ­is­che (Ganzheit) soziale Ein­heit betra­chtet, die anders als die Ehe notwendig sta­bil sein muß, um die Aufzucht der Kinder, aber auch die Pflege der Alten und Kranken zu gewährleis­ten. Zum zweit­en erscheint die Fam­i­lie als Kern der religiösen wie der poli­tis­chen Ord­nung.

Viele Ursprungsmythen nah­men tat­säch­liche oder fik­tive Ver­wandtschafts­beziehun­gen ein­er Fam­i­lie als Anfang eines Stammes oder Volkes an, die wie die Fam­i­lie selb­st als Kult­ge­meinde betra­chtet wur­den. Noch die Idee von der Nation als Abstam­mungs­ge­mein­schaft ist geprägt durch das Konzept des größeren poli­tis­chen Ganzen als eines erweit­erten Fam­i­lien­ver­ban­des. Zuerst gin­gen aber die poli­tis­che Deu­tung des »Haushalts« – griechisch oikos – und der Analo­gie von »väter­lich­er Gewalt« – lateinisch patria potes­tas – und exeku­tiv­er Gewalt von diesem Mod­ell aus. Im Abend­land wurde schließlich – ver­mit­telt durch die Idee des bib­lis­chen Gottes­bildes – der Herrsch­er als eine Art Vater, die Unter­ta­nen als Fam­i­lie vorgestellt und eine wech­sel­seit­ige Verpflich­tung aus der Über­tra­gung dieses Konzepts auf die Kirche und den Staat abgeleit­et.

Die aus der Tra­di­tion resul­tierende Hochschätzung hat dazu beige­tra­gen, daß Kon­ser­v­a­tive der Auflö­sung der Fam­i­lie hart­näck­i­gen Wider­stand ent­ge­genset­zen. Zer­set­zend wirken im all­ge­meinen der Mod­ernisierung­sprozeß (Dys­funk­tion der Groß­fam­i­lie, Reduk­tion auf die Kern­fam­i­lie) und im beson­deren die linken und lib­eralen Vorstöße zur Beschnei­dung der väter­lichen Stel­lung und Emanzi­pa­tion der Frau (Geschlecht), Erle­ichterung der Eheschei­dung, Ver­rechtlichung der inner­famil­iären Beziehun­gen und Umdeu­tung des Fam­i­lien­be­griffs (im Sinn ein­er homo- oder het­ero­sex­uellen Verbindung zweier Erwach­sen­er mit Kindern).

Die Erfolge der Kon­ser­v­a­tiv­en waren äußerst begren­zte, obwohl sich je länger je mehr gezeigt hat, daß Vere­inzelung, soziale Dev­as­ta­tion und Ver­wahrlosung der Jugend ganz wesentlich auf die Beschädi­gung der Fam­i­lie zurück­zuführen sind.

Der Zusam­men­hang ist im let­zten dadurch zu erk­lären, daß Men­schen von Natur aus auf inten­sive Kle­in­grup­pen­bindung angelegt sind und die lange Rei­fungszeit der Kinder wie die Schutzbedürftigkeit der Frau in der Schwanger­schaft für die Notwendigkeit der Fam­i­lie sprechen. Ver­gle­ichende Unter­suchun­gen der Völk­erkunde kom­men zu dem Ergeb­nis, daß es zwar einen rel­a­tiv großen Vari­anten­re­ich­tum gibt, aber keine Kul­tur ohne eine Sozial­form Fam­i­lie auskom­men kann.

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Zitate:

Außer dem Hause aber, in näch­ster Nähe, auf dem benach­barten Felde, ist ein Grab. Dies ist die zweite Behausung der Fam­i­lie. Hier ruhen gemein­sam mehrere Gen­er­a­tio­nen ihrer Vor­fahren, der Tod hat sie nicht getren­nt. Sie bleiben in diesem zweit­en Leben vere­inigt und bilden weit­er eine unlös­bare Fam­i­lie. Zwis­chen den Leben­den und den Ver­stor­be­nen der Fam­i­lie beste­ht nur diese Ent­fer­nung von eini­gen Schrit­ten, die das Haus vom Grabe tren­nt.
Fus­tel de Coulanges

Fam­i­lien sind keine star­ren, unflex­i­blen und von ihrem his­torischen Hin­ter­grund ablös­baren Gebilde, son­dern an die Zei­tum­stände anpas­sungs­fähige Gemein­we­sen. Den­noch wäre es ver­fehlt, ihnen beliebige Form­barkeit zu attestieren und sie als ver­nach­läs­sig­bare oder gar zu über­windende Sym­biose­for­men zu begreifen.
Thomas Bar­gatzky

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Lit­er­atur:

  • Fus­tel de Coulanges: Der antike Staat [1907], zulet­zt Essen 1996.
  • Wolf­gang Hin­richs, Lutz Simon und Hans-Joachim Hahn (Hrsg.): Fam­i­lie wohin? Ein Mod­ell auf dem Prüf­s­tand, Holzger­lin­gen 2008.