Golo Mann hatte es schwer, sich aus dem Schatten seines übermächtigen Vaters Thomas Mann zu lösen. Hinzu kam, daß seine beiden älteren Geschwister, Erika und Klaus Mann, sich bereits literarisch hervorgetan hatten, so daß für Golo die Literatur nicht in Frage kam.
Mann wurde am 27. März 1909 in München als Angelus Gottfried Thomas Mann geboren. Nachdem er die Internatsschule auf Schloß Salem absolviert hatte, studierte er zunächst Jura in München, anschließend Geschichte, Philosophie und Latein in Berlin und Heidelberg. Hier wurde Karl Jaspers zu seinem akademischen Lehrer, der ihm riet, Lehrer für Geschichte und Latein zu werden. 1932 wurde er mit einer Arbeit über Hegel promoviert. In der Endphase der Weimarer Republik war er, wie u.a. Willy Brandt und Gerhard Nebel, Mitglied der kleinen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), die bei den Wahlen erfolglos blieb. Im Mai 1933 verließ Mann Deutschland, lebte in Frankreich, der Schweiz und der damaligen Tschechoslowakei und arbeitete an verschiedenen Exil-Zeitschriften mit. Durch die Stalinschen Schauprozeße distanzierte er sich ausdrücklich vom Marxismus und spielte innerhalb der Emigration mit seinem konservativen Standpunkt eine Sonderrolle. Mann orientierte sich dabei an der Analyse Hermann Raschnings, der im Nationalsozialismus die Revolution des Nihilismus sah.
Im Oktober 1940 erreichte er die Vereinigten Staaten und trat 1943 in die US Army ein, wo er vor allem für die Informationsgewinnung und Propaganda eingesetzt wurde. Sein Erstling widmete er Friedrich Gentz, dem Berater Metternichs, an dessen Person er die Vergeblichkeit politischer Arbeit zeigte, die nicht in der Lage ist, ein endgültiges Ziel zu erreichen, weil der Mensch ein unvollkommenes Wesen ist und immer bleiben wird. Er vergewisserte sich aber mit dieser Arbeit auch seines eigenen Konservatismus und der Ablehnung des Marxismus. Mann zog indirekt Parallelen zwischen Gentz und seiner eigenen Situation. Als Mann die Zerstörung Deutschlands durch den alliierten Bormbenterror sah, verließ er die Army aus Abscheu über die „Taten dieses Siegergesindels“ und kehrte zunächst nach Karlifornien zurück, wo er bis 1958 Geschichte lehrte.
Im selben Jahr erschien sein erster Bestseller, die Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, mit dem er chronologisch an die Bücher Ricarda Huchs anknüpfte. Mann beginnt mit der Französischen Revolution und endet in der Gegenwart. Seine an Persönlichkeiten und Ideen orientierte Darstellung ist ein Höhepunkt erzählender Geschichtsschreibung, mit dem Mann ein Millionenpublikum erreichte. Dazu trug auch seine Überzeugung bei, daß es kein Geheimwissen über Geschichte gäbe, das entdeckt werden könne, vielmehr liege alles offen zutage. Deshalb war Mann skeptisch, als Fritz Fischers Thesen über die deutsche Alleinschuld am Ersten Weltkrieg als Sensation gefeiert wurden. Mann sah das bekannte Material mit unzulässiger Einseitigkeit ausgewertet. Die These vom deutschen Sonderweg lehnte Mann als „antideutsche Geschichtsschreibung“ ab. Sein Standpunkt war dabei kein gekünstelt objektiver, sondern er ging „mit sittlichen Maßstäben an die Geschichte heran” und schrieb als “aufrichtiger Moralist“ (Heinz Gollwitzer).
Mann trat eine Gastprofessur in Münster an und kehrte damit endgültig nach Europa zurück. 1960 erhielt er eine ordentliche Professur in Stuttgart, seine Berufung nach Frankfurt am Main wurde 1963 von Horkheimer und Adorno hintertrieben, indem sie vor Mann als Antisemiten warnten. Der eigentliche Grund dürfte in Manns antimarxistischer Grundhaltung und seinem pessimistischen Menschenbild gelegen haben. Diese kam insbesondere in seiner Herausgeberschaft der Propyläen Weltgeschichte (zusammen mit August Nitschke und Alfred Heuß) zum Ausdruck, die große Verbreitung fand.
Seit 1965 lebte Mann als freier Schriftsteller in der Schweiz, im Haus seines Vaters in Kilchberg. An den Debatten des Nachkriegsdeutschlands beteiligte er sich auf unterschiedlicher Seite. Er polemisierte gegen Hannah Arendts These von der „Banalität des Bösen“, warf Adenauer vor, zu wenig für die deutsche Einheit getan zu haben und damit das eigene Volk verraten zu haben. Deshalb unterstützte er Brandt und dessen Neue Ostpolitik bis ihm dieser zu sehr auf die Linie der 68er Studenten einschwenkte, was Mann als kommunistische Infiltration bewertete. Er forderte im „Deutschen Herbst“ 1977 schärfere Antiterrormaßnahmen bis hin zur Hinrichtung von Terroristen. Soziologischen Erklärungen des Terrors konnte er nicht folgen. Seit dieser Zeit gab es eine Annäherung von Mann an die konservative Seite des Parteienspektrums, insbesondere unterstützte er Franz-Josef Strauß.
1971 war mit der monumentalen Wallenstein-Biographie sein wichtigstes Buch erschienen. Wallenstein hatte Mann bereits seine Staatsexemanesarbeit gewidmet, die Mann noch 1933 eingereicht hatte, ohne die entsprechende Prüfung ablegen zu können. Das Buch wurde als Meilenstein der Geschichtsschreibung gelobt und war eines der erfolgreichsten Bücher der siebziger Jahre und damit ein Schlag gegen die von der Sozialwissenschaft dominierte Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik. Mann, der Geschichte nicht für theoriebedürftig hielt, hatte die Person, den Helden, Wallenstein dort gelassen, wo er hingehört, im Mittelpunkt seines Buches, als die eigentliche Tatsache geschichtlicher Existenz.
Golo Mann verstarb am 7. April 1994 in Leverkusen.
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Zitat:
Man muß seine nationale Geschichte akzeptieren, wie sie nun einmal war, mit ihrem Großartigen, das es gab, und mit ihrem Bösen, das gab es auch. Das ist eine Aufgabe für den, der sich im Ernst für seine Nation interessiert. Was die dunkle Vergangenheit des Dritten Reiches betrifft, so liegt die meinem Gefühl nach inzwischen weit zurück. Ich glaube, daß man da des Guten genug getan hat, vielleicht gar schon zu viel.
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Schriften:
- Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes, Zürich/Wien 1947
- Vom Geist Amerikas. Eine Einführung in amerikanisches Denken und Handeln im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1954
- (mit Harry Pross) Außenpolitik, Frankfurt a.M. 1957
- Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1958
- (als Hrsg. Mit Alfred Heuß und August Nitschke) Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte von den Anfängen bis zur Nachkriegszeit, 10 Bde, Darmstadt 1960–64
- Wallenstein. Sein Leben, Frankfurt a.M. 1971
- Radikalisierung und Mitte. 2 Vorträge, Stuttgart 1971
- Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland, Frankfurt a.M. 1986
- Briefe. 1932–1992, Hrsg. von Tilmann Lahme und Kathrin Lüssi, Göttingen 2006
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Literatur:
- Urs Bitterli: Golo Mann – Instanz und Außenseiter. Eine Biographie, Berlin 2004
- Jeroen Koch: Golo Mann und die deutsche Geschichte. Eine intellektuelle Biographie, Paderborn 1998
- Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie, Frankfurt a.M. 2009