Mann, Golo, Historiker, 1909–1994

Golo Mann hat­te es schw­er, sich aus dem Schat­ten seines über­mächti­gen Vaters Thomas Mann zu lösen. Hinzu kam, daß seine bei­den älteren Geschwis­ter, Eri­ka und Klaus Mann, sich bere­its lit­er­arisch her­vor­ge­tan hat­ten, so daß für Golo die Lit­er­atur nicht in Frage kam.

Mann wurde am 27. März 1909 in München als Angelus Got­tfried Thomas Mann geboren. Nach­dem er die Inter­natss­chule auf Schloß Salem absolviert hat­te, studierte er zunächst Jura in München, anschließend Geschichte, Philoso­phie und Latein in Berlin und Hei­del­berg. Hier wurde Karl Jaspers zu seinem akademis­chen Lehrer, der ihm riet, Lehrer für Geschichte und Latein zu wer­den. 1932 wurde er mit ein­er Arbeit über Hegel pro­moviert. In der End­phase der Weimar­er Repub­lik war er, wie u.a. Willy Brandt und Ger­hard Nebel, Mit­glied der kleinen Sozial­is­tis­chen Arbeit­er­partei (SAP), die bei den Wahlen erfol­g­los blieb. Im Mai 1933 ver­ließ Mann Deutsch­land, lebte in Frankre­ich, der Schweiz und der dama­li­gen Tsche­choslowakei und arbeit­ete an ver­schiede­nen Exil-Zeitschriften mit. Durch die Stal­in­schen Schauprozeße dis­tanzierte er sich aus­drück­lich vom Marx­is­mus und spielte inner­halb der Emi­gra­tion mit seinem kon­ser­v­a­tiv­en Stand­punkt eine Son­der­rolle. Mann ori­en­tierte sich dabei an der Analyse Her­mann Raschn­ings, der im Nation­al­sozial­is­mus die Rev­o­lu­tion des Nihilis­mus sah.

Im Okto­ber 1940 erre­ichte er die Vere­inigten Staat­en und trat 1943 in die US Army ein, wo er vor allem für die Infor­ma­tion­s­gewin­nung und Pro­pa­gan­da einge­set­zt wurde. Sein Erstling wid­mete er Friedrich Gentz, dem Berater Met­ter­nichs, an dessen Per­son er die Verge­blichkeit poli­tis­ch­er Arbeit zeigte, die nicht in der Lage ist, ein endgültiges Ziel zu erre­ichen, weil der Men­sch ein unvol­lkommenes Wesen ist und immer bleiben wird. Er vergewis­serte sich aber mit dieser Arbeit auch seines eige­nen Kon­ser­vatismus und der Ablehnung des Marx­is­mus. Mann zog indi­rekt Par­al­le­len zwis­chen Gentz und sein­er eige­nen Sit­u­a­tion. Als Mann die Zer­störung Deutsch­lands durch den alli­ierten Borm­ben­ter­ror sah, ver­ließ er die Army aus Abscheu über die „Tat­en dieses Sieger­gesin­dels“ und kehrte zunächst nach Kar­li­fornien zurück, wo er bis 1958 Geschichte lehrte.

Im sel­ben Jahr erschien sein erster Best­seller, die Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhun­derts, mit dem er chro­nol­o­gisch an die Büch­er Ricar­da Huchs anknüpfte. Mann begin­nt mit der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und endet in der Gegen­wart. Seine an Per­sön­lichkeit­en und Ideen ori­en­tierte Darstel­lung ist ein Höhep­unkt erzäh­len­der Geschichtss­chrei­bung, mit dem Mann ein Mil­lio­nen­pub­likum erre­ichte. Dazu trug auch seine Überzeu­gung bei, daß es kein Geheimwis­sen über Geschichte gäbe, das ent­deckt wer­den könne, vielmehr liege alles offen zutage. Deshalb war Mann skep­tisch, als Fritz Fis­ch­ers The­sen über die deutsche Allein­schuld am Ersten Weltkrieg als Sen­sa­tion gefeiert wur­den. Mann sah das bekan­nte Mate­r­i­al mit unzuläs­siger Ein­seit­igkeit aus­gew­ertet. Die These vom deutschen Son­der­weg lehnte Mann als „anti­deutsche Geschichtss­chrei­bung“ ab. Sein Stand­punkt war dabei kein gekün­stelt objek­tiv­er, son­dern er ging „mit sit­tlichen Maßstäben an die Geschichte her­an” und schrieb als “aufrichtiger Moral­ist“ (Heinz Goll­witzer).

Mann trat eine Gast­pro­fes­sur in Mün­ster an und kehrte damit endgültig nach Europa zurück. 1960 erhielt er eine ordentliche Pro­fes­sur in Stuttgart, seine Beru­fung nach Frank­furt am Main wurde 1963 von Horkheimer und Adorno hin­ter­trieben, indem sie vor Mann als Anti­semiten warn­ten. Der eigentliche Grund dürfte in Manns anti­marx­is­tis­ch­er Grund­hal­tung und seinem pes­simistis­chen Men­schen­bild gele­gen haben. Diese kam ins­beson­dere in sein­er Her­aus­ge­ber­schaft der Propy­läen Welt­geschichte (zusam­men mit August Nitschke und Alfred Heuß) zum Aus­druck, die große Ver­bre­itung fand.

Seit 1965 lebte Mann als freier Schrift­steller in der Schweiz, im Haus seines Vaters in Kilch­berg. An den Debat­ten des Nachkriegs­deutsch­lands beteiligte er sich auf unter­schiedlich­er Seite. Er polemisierte gegen Han­nah Arendts These von der „Banal­ität des Bösen“, warf Ade­nauer vor, zu wenig für die deutsche Ein­heit getan zu haben und damit das eigene Volk ver­rat­en zu haben. Deshalb unter­stützte er Brandt und dessen Neue Ost­poli­tik bis ihm dieser zu sehr auf die Lin­ie der 68er Stu­den­ten ein­schwenk­te, was Mann als kom­mu­nis­tis­che Infil­tra­tion bew­ertete. Er forderte im „Deutschen Herb­st“ 1977 schär­fere Antiter­ror­maß­nah­men bis hin zur Hin­rich­tung von Ter­ror­is­ten. Sozi­ol­o­gis­chen Erk­lärun­gen des Ter­rors kon­nte er nicht fol­gen. Seit dieser Zeit gab es eine Annäherung von Mann an die kon­ser­v­a­tive Seite des Parteien­spek­trums, ins­beson­dere unter­stützte er Franz-Josef Strauß.

1971 war mit der mon­u­men­tal­en Wal­len­stein-Biogra­phie sein wichtig­stes Buch erschienen. Wal­len­stein hat­te Mann bere­its seine Staat­sex­e­mane­sar­beit gewid­met, die Mann noch 1933 ein­gere­icht hat­te, ohne die entsprechende Prü­fung able­gen zu kön­nen. Das Buch wurde als Meilen­stein der Geschichtss­chrei­bung gelobt und war eines der erfol­gre­ich­sten Büch­er der siebziger Jahre und damit ein Schlag gegen die von der Sozial­wis­senschaft dominierte Geschichtswis­senschaft der Bun­desre­pub­lik. Mann, der Geschichte nicht für the­o­riebedürftig hielt, hat­te die Per­son, den Helden, Wal­len­stein dort gelassen, wo er hinge­hört, im Mit­telpunkt seines Buch­es, als die eigentliche Tat­sache geschichtlich­er Exis­tenz.

Golo Mann ver­starb am 7. April 1994 in Lev­erkusen.

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Zitat:

Man muß seine nationale Geschichte akzep­tieren, wie sie nun ein­mal war, mit ihrem Großar­ti­gen, das es gab, und mit ihrem Bösen, das gab es auch. Das ist eine Auf­gabe für den, der sich im Ernst für seine Nation inter­essiert. Was die dun­kle Ver­gan­gen­heit des Drit­ten Reich­es bet­rifft, so liegt die meinem Gefühl nach inzwis­chen weit zurück. Ich glaube, daß man da des Guten genug getan hat, vielle­icht gar schon zu viel.

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Schriften:

  • Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäis­chen Staats­man­nes, Zürich/Wien 1947
  • Vom Geist Amerikas. Eine Ein­führung in amerikanis­ches Denken und Han­deln im 20. Jahrhun­dert, Stuttgart 1954
  • (mit Har­ry Pross) Außen­poli­tik, Frank­furt a.M. 1957
  • Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhun­derts, Frank­furt a.M. 1958
  • (als Hrsg. Mit Alfred Heuß und August Nitschke) Propy­läen Welt­geschichte. Eine Uni­ver­salgeschichte von den Anfän­gen bis zur Nachkriegszeit, 10 Bde, Darm­stadt 1960–64
  • Wal­len­stein. Sein Leben, Frank­furt a.M. 1971
  • Radikalisierung und Mitte. 2 Vorträge, Stuttgart 1971
  • Erin­nerun­gen und Gedanken. Eine Jugend in Deutsch­land, Frank­furt a.M. 1986
  • Briefe. 1932–1992, Hrsg. von Tilmann Lahme und Kathrin Lüs­si, Göt­tin­gen 2006

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Lit­er­atur:

  • Urs Bit­ter­li: Golo Mann – Instanz und Außen­seit­er. Eine Biogra­phie, Berlin 2004
  • Jeroen Koch: Golo Mann und die deutsche Geschichte. Eine intellek­tuelle Biogra­phie, Pader­born 1998
  • Tilmann Lahme: Golo Mann. Biogra­phie, Frank­furt a.M. 2009