Nebel, Gerhard — Schriftsteller, 1903–1974

Unmit­tel­bar nach dem Kriegsende 1945, in den Jahren bis zur Grün­dung der Bun­desre­pub­lik, gehörte Ger­hard Nebel zu den pro­duk­tivsten und inter­es­san­testen Autoren, die nicht aus der Emi­gra­tion zurück­kehrten oder durch ihr Engage­ment im Drit­ten Reich diskred­i­tiert waren, son­dern erst jet­zt an die Öffentlichkeit trat­en. Nebel hat­te bis dahin einen recht wech­selvollen Lebensweg hin­ter sich.

1903 als Sohn eines Volkss­chullehrers am 26. Sep­tem­ber 1903 in Dessau geboren, ver­lor er früh bei­de Eltern und lebte seit 1918 bei seinem älteren Brud­er in Koblenz, wo er auch das Abitur ablegte und sich kurzzeit­ig als Jour­nal­ist ver­suchte. Sein Studi­um der Philoso­phie und Alt­philolo­gie, u.a. bei Mar­tin Hei­deg­ger und Karl Jaspers, schloß er 1927 bei Ernst Hoff­mann in Hei­del­berg mit ein­er Dis­ser­ta­tion über Plotin ab. Anschließend war Nebel als Ref­er­en­dar an Gym­nasien in Köln und Düs­sel­dorf und legte die bei­den Staat­sex­am­i­na ab. Von ein­er Vertre­tungsstelle wurde er wegen sozial­is­tis­ch­er Agi­ta­tion ent­lassen und trat in die SPD ein, die er bald wieder ver­ließ, um sich an der Grün­dung der marx­is­tis­chen SAP zu beteili­gen, der auch Willy Brandt ange­hörte.

1933 ging er wieder in den Schul­dienst, wo er bis zu sein­er Ein­beru­fung 1941 blieb. Unter­brochen wurde sein Lehrerda­sein durch einige Aus­land­saufen­thalte (Nord- und Ostafri­ka). Durch die Jünger-Lek­türe angeregt, ent­standen seit 1936 erste schrift­stel­lerische Arbeit­en (Feuer und Wass­er, 1939). Als Sol­dat wurde er 1941 nach Paris ver­set­zt und traf dort mit Ernst Jünger zusam­men. Regimekri­tis­che Bemerkun­gen und sein Auf­satz Auf dem Fliegerhorst (1942) führten zu sein­er Straf­ver­set­zung auf die Kanalin­sel Alder­ney. Das Kriegsende erlebte er als Dol­metsch­er in Ital­ien.

Nach dem Krieg schloß Nebel Fre­und­schaft mit Carl Schmitt, Ernst Jünger, Armin Mohler und Erhart Käst­ner und pub­lizierte neben zeitkri­tis­chen Essays vor allem seine Kriegstage­büch­er (ins­ge­samt 3 Bde, 1948–1950), die ihm viel Anerken­nung ein­bracht­en. Ein weit­er­er Schw­er­punkt dieser Jahre lag auf der Beschäf­ti­gung mit dem Werk Ernst Jüngers, so daß Nebel vor allem als Jünger-Adept wahrgenom­men wurde. Das änderte sich erst als es 1951 zum Bruch mit Jünger kam und Nebel in seinen Büch­ern andere Akzente set­zte. Dabei spielte Nebels Hin­wen­dung zum Chris­ten­tum eine große Rolle, die zwar schon in der Kriegs­ge­fan­gen­schaft begonnen hat­te, sich aber erst jet­zt auf sein schrift­stel­lerisches Schaf­fen auswirk­te. Beson­ders deut­lich wurde das bei Nebels Ver­such, die griechis­che Tragödie vom christlichen Glauben her zu deuten (Weltangst und Göt­ter­zorn, 1951).

Dazu bedi­ente sich Nebel der Unter­schei­dung zwis­chen Real­ität und Wirk­lichkeit, der zwar etwas Gewalt­sames anhaftet, die aber ein wesentlich­es Prob­lem kon­ser­v­a­tiv­en Han­delns, das sich in der Gegen­wart bewähren muß, deut­lich macht. Während die Real­ität, die hand­grei­flichen Dinge, verän­der­bar ist und sein müssen, ist die Wirk­lichkeit, als Wirk­bere­ich Gottes, davon ausgenom­men. Ein Zeital­ter müsse sich immer daran messen lassen, welch­es Ver­hält­nis der bei­den Sphären in ihr gilt. Die Schwierigkeit beste­ht in der jew­eili­gen Zuord­nung, die auch Nebel nicht immer überzeu­gend gelun­gen ist.

Eben­so wichtig ist der Begriff des Ereigniss­es für Nebel. Das Ereig­nis reiße den Men­schen aus der Gegen­wart und sei die einzige Möglichkeit, den Men­schen aus sein­er Gegen­wartsver­haf­tung zu befreien. Dafür sei eine Offen­heit von­nöten, der Men­sch müsse bere­it sein, sich ergreifen zu lassen. Nebel stellte hier den Zusam­men­hang zwis­chen Gott und dem Schö­nen her und deutete die griechis­che Tragödie als Vorof­fen­barung des christlichen Gottes. Im Zuge dieser Annahme hat er fast die ganze griechis­che Geis­tes­geschichte durch­mustert, von Homer und Pin­dar über die Tragödie bis zu Sokrates und Pla­ton.

Nebels Anliegen war dabei kein anti­quar­isches, son­dern immer an der Frage ori­en­tiert, wie eine Über­win­dung der Real­ität in der Gegen­wart möglich sei. Diesem Ziel dien­ten nicht zulet­zt seine zahlre­ichen Reisen inner­halb Europas und Nordafrikas. Seine zahlre­ichen Reise­berichte, die in Buch­form oder als Auf­satz (Nebel war regelmäßiger Autor der Zeitschrift Mer­ian) erschienen und recht pop­ulär waren, zeu­gen davon.

Nebel war ein kon­ser­v­a­tiv­er Denker, der wed­er einem Ver­lust nach­trauerte, noch eine gute alte Zeit her­auf­beschwor. Seine Kri­tik am Zeit­geist ist Aus­druck sein­er Sorge um den Men­schen. Da er um dessen Bedürftigkeit wußte, machte Nebel der tech­nis­chen Zivil­i­sa­tion den Anspruch auf Erlö­sung durch Fortschritt stre­it­ig. Er ver­wies darauf, daß der Men­sch die Ele­mente, die Natur und die Land­schaft braucht, um er selb­st zu sein. Aber auch darauf, daß der Men­sch zwis­chen Gott und Welt ste­ht und sich diesem tragis­chen Ver­hält­nis nicht entziehen kann. Nebels bleibende Bedeu­tung liegt in der wort­mächti­gen Deut­lichkeit, mit der er auf die antin­o­mis­che Sit­u­a­tion des Men­schen hin­wies.

Daß Nebel spätestens seit den 60er Jahren kaum noch öffentlich wahrgenom­men wurde, liegt im sich immer extremer gebär­den­den Zeit­geist begrün­det, der Nebel nur im Glauben Hoff­nung schöpfen ließ. Es gibt aber bis heute eine treue Leserge­meinde Nebels, zu der u.a. Kurt Hüb­n­er und Botho Strauß gehören.

Ger­hard Nebel ver­starb 23. Sep­tem­ber 1974 in Stuttgart.

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Zitat:

Die Poli­tisierung, also das welt­geschichtliche Bewußt­sein, ist ein destruk­tiv­er Prozeß – er zer­stört das Volkhafte des Volkes, erzeugt die Masse, nimmt die mythis­che Naiv­ität, zer­fet­zt mythis­che Wirk­lichkeit­en wie Fam­i­lie, Heimat, Eigen­tum, Monar­chie und ver­nichtet auch die let­zten mythis­chen Hüllen Christi, wie das Bünd­nis von Thron und Altar.

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Schriften:

  • Feuer und Wass­er, Ham­burg 1939
  • Ernst Jünger. Aben­teuer des Geistes, Wup­per­tal 1949
  • Unter Par­ti­sa­nen und Kreuz­fahrern, Stuttgart 1950
  • Weltangst und Göt­ter­zorn. Eine Deu­tung der griechis­chen Tragödie, Stuttgart 1951
  • Das Ereig­nis des Schö­nen, Stuttgart 1953
  • An den Säulen des Her­ak­les. Andalu­sis­che und marokkanis­che Begeg­nun­gen, Ham­burg 1957
  • Pin­dar und die Del­phik, Stuttgart 1961
  • Hin­ter dem Walde. 16 Lek­tio­nen für Zeitgenossen, Ham­burg 1964
  • Sprung von des Tigers Rück­en, Stuttgart 1970
  • Hamann, Stuttgart 1973
  • „Alles Gefühl ist leib­lich“. Ein Stück Auto­bi­ogra­phie, hrsg. von Nico­lai Riedel, Mar­bach am Neckar 2003

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Lit­er­atur:

  • Erik Lehn­ert: Ger­hard Nebel. Wächter des Nor­ma­tiv­en, Schnell­ro­da 2004