Häresie der Formlosigkeit — Martin Mosebach, 2002

Mar­tin Mose­bach ist exam­iniert­er Jurist, Schrift­steller – und Katho­lik. In sein­er Vertei­di­gung der römis­chen Liturgie betont er, daß er seine Ein­wände gegen die »Häre­sie der Form­losigkeit«, die nach dem Zweit­en Vatikanis­chen Konzil (1962–65) in der katholis­chen Kirche Einzug gehal­ten hat, als »unmaßge­blich­er Laie« vor­bringe. Gle­ich­wohl ist seine Abwehr der erneuerten Liturgie keineswegs im Kern ästhetisch, wie ihm zulet­zt (2010) der eben­falls lange Zeit dem alten Meßri­tus anhän­gende, nun sich als homo­sex­uell beken­nende The­ologe David Berg­er vorhielt. Nicht prächti­gen Meßgewän­dern, bom­bastis­chen Prozes­sio­nen und Weihrauch­stim­mung trauert Mose­bach in sein­er Klage nach, son­dern ger­ade der ver­lore­nen »Rein­heit und Aus­geglühtheit, in der jede Spur des Sub­jek­tiv­en ver­nichtet ist«. Heute hänge, so Mose­bach, ein als gelun­gen emp­fun­den­er Gottes­di­enst von Geschick und Charis­ma des Priesters ab, und der Gläu­bige sieht sich nach dem Ver­lassen der Messe in der Rolle eines »The­aterkri­tik­ers«.

Die Liturgie galt einst eben­so als unan­tast­bare Offen­barung wie die Heilige Schrift. Organ­is­che Mod­i­fika­tio­nen und Über­for­mungen hat es über 1500 Jahre hin­weg gegeben, jedoch keinen absichtsvoll her­beige­führten Tra­di­tions­bruch wie unter dem fortschritts­gläu­bi­gen Paul VI., den Mose­bach unter Ver­wen­dung des antiken Wort­ge­brauchs einen »Tyran­nen der Kirche« nen­nt. Daß hinge­gen das ortho­doxe Chris­ten­tum seine For­men und seine The­olo­gie über die Jahrhun­derte unange­tastet hat erhal­ten kön­nen, stellt für Mose­bach ein »quälen­des Rät­sel« dar. Mose­bachs geschlif­f­ene Polemik gegen das mod­erne Kirchen­lied (das den gre­go­ri­an­is­chen Choral erset­zte), gegen jegliche Ausle­gungs­freude, gegen den architek­tonis­chen und kun­sthandw­erk­lichen Bilder­sturm speist sich aus der Ein­sicht, daß über­lieferte Riten der Ehrfurcht und Anbe­tung nicht ohne entsprechend würde­volle Form möglich sind. In kaltem, gele­gentlich spöt­tel­n­dem, sel­ten erbit­tertem Ton spießt der Autor die »vul­gären Rück­sicht­slosigkeit­en« auf, mit der die »zöli­batäre Bürokratie« (Carl Schmitt), also jene Hier­ar­chie, die zum Schutz des Rit­us geschaf­fen wurde, »einst Verehrtes … pro­faniert, aus­rang­iert, abschafft, weg­wirft, ein­schmilzt und ver­hök­ert«. Nicht zufäl­lig kreis­ten Meßre­form und andere Phänomene ein­er »Kirche von unten« um das auch in weltlich­er Hin­sicht bedeut­same Achsen­jahr 1968.

Mit dem kün­st­lerischen Schaf­fen des Romanciers Mose­bach ver­hielt es sich lange Zeit ähn­lich wie mit der römis­chen Liturgie: Ein über­schaubar­er, erlesen­er Kreis kan­nte und schätzte ihn. Mit der Ent­ge­gen­nahme der bedeu­tend­sten Ausze­ich­nung inner­halb des deutschsprachi­gen Lit­er­aturbe­triebs, des Georg-Büch­n­er-Preis­es, gelang Mose­bach 2007 der Durch­bruch hin zu einem größeren Pub­likum. Zeitlich par­al­lel dazu ist im Herb­st 2007 unter Papst Benedikt XVI. das Apos­tolis­che Schreiben (Motu Pro­prio) De usu extra­or­di­nario anti­quae for­mae Rit­us Romani in Kraft getreten, das die »außeror­dentliche Form« der Meßfeier nach der Liturgie von 1962 als gle­icher­maßen recht­gläu­bige Gestalt des Römis­chen Rit­us neben der konzil­iaren »Nor­mal­form« anerken­nt. Nach mehreren Aufla­gen im Karolinger Ver­lag hat 2007 der Hanser Ver­lag die Edi­tion der Häre­sie über­nom­men; hier erscheint das dem Philosophen und Pap­st­ber­ater Robert Spae­mann gewid­mete Buch um drei Essays ergänzt.

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Zitat:

Daß eine Frau, die den Rosenkranz beten will, und ein Priester, der ihr rät, statt dessen lieber etwas Vernün­ftiges zu tun, nicht mehr miteinan­der sprechen kön­nen, das ist nicht nur das Ergeb­nis men­schlich­er Schuld, es ist auch Aus­druck ein­er kul­turellen Entwick­lung des West­ens, die den mod­er­nen, irre­ligiösen, ratio­nal­is­tis­chen, meta­ph­ysisch blind­en Men­schen her­vorge­bracht hat.

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Aus­gabe:

  • Durchge­se­hene und erweit­erte Neuau­flage, München: Hanser 2007

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Lit­er­atur:

  • Carl Schmitt: Römis­ch­er Katholizis­mus und poli­tis­che Form, Heller­au 1923