Mosebach, Martin, Schriftsteller, geboren 1951

Mar­tin Mose­bach, geboren am 31. Juli 1951 in Frank­furt am Main, wurde 1980 anlässlich eines Wet­tbe­werbs von Golo Mann ent­deckt. Sei­ther hat er ein eben­so umfan­gre­ich­es wie vielfältiges Œuvre (Prosa, Lyrik, Stücke, Libret­ti, Drehbüch­er, kun­st­the­o­retis­che Reflex­io­nen etc.) vorgelegt. Von seinen Roma­nen ragen Die Türkin, Der Nebelfürst und Das Beben her­aus, die alle­samt die Fasz­i­na­tion von fer­nen und fik­tiv­en Wel­ten beschreiben. Weltan­schauliche Anspielun­gen find­en sich in diesen Werken kaum. Wie Botho Strauß gilt er im zumeist linken und linkslib­eralen Kul­turbe­trieb als Außen­seit­er.

Es wird häu­fig gerät­selt, ob Mose­bach als Vertreter der katholis­chen Lit­er­atur zu beze­ich­nen ist. Er selb­st verneint diese Zuschrei­bung. In den Roma­nen des Dichters kommt das Katholis­che höch­stens mar­gin­al vor. Die bürg­er­lichen Lebenswel­ten, die er oft darstellt, haben fast alle die „meta­ph­ysis­chen Anten­nen“ abmon­tiert, wie er meint. Es ist wahrschein­lich heute weniger denn je möglich, fromme Exis­ten­zen in lit­er­arischen Gestal­ten auf­scheinen zu lassen.

Es ist für Mose­bach unumgänglich, außer­halb seines bel­letris­tis­chen Werks zu weltan­schaulichen Fra­gen Stel­lung zu nehmen. Für großes Auf­se­hen sorgte seine zuerst 2002 erschienene, von Geg­n­ern als „anti­mod­ernistisch“ und „fun­da­men­tal­is­tisch“ stig­ma­tisierte Schrift Häre­sie der Form­losigkeit. Diese Abhand­lung kri­tisiert die fak­tis­che Abschaf­fung des klas­sis­chen Mess­ri­tus der katholis­chen Kirche als „autokratis­chen Akt“ Papst Pauls VI., der maßge­bliche Zer­störun­gen im kün­st­lerisch-kul­turellen Bere­ich fol­gen lässt, nicht zulet­zt die Beein­träch­ti­gung alter Kirchen­räume durch ästhetisch nicht sel­ten unpassende, soge­nan­nte Volk­saltäre. Let­ztere sollen der neuen Com­mu­nio-Lehre sin­n­fäl­li­gen Aus­druck ver­lei­hen. In sein­er Argu­men­ta­tion beruft sich der Ver­fass­er auf ein Wort des dama­li­gen Kurienkar­di­nals Joseph Ratzinger. Let­zter­er stellte die echte katholis­che Liturgie als „gewach­sene“ her­aus und ger­ade nicht als „gemachte“, als die der „Novus Ordo Mis­sae“ von seinen Geg­n­ern betra­chtet wird, der 1969 das über Jahrhun­derte tradierte Mess­buch (in der Fas­sung von 1962) erset­zte.

Schon in der Ein­führung sein­er Haere­sie provoziert Mose­bach, wenn er ein Zitat des franzö­sis­chen Schrift­stellers und Poli­tik­ers Charles Mau­r­ras („Ich bin Athe­ist, aber ich bin natür­lich Katho­lik“) zumin­d­est in ein­er Hin­sicht pos­i­tiv deutet: Dieser betont die Rel­e­vanz der Form für den Katholizis­mus, die den Inhalt des Glaubens maßge­blich bes­timme. Somit ste­ht der Grün­der der Bewe­gung Action française in ein­er län­geren Tra­di­tion­slin­ie, der sich in Deutsch­land Gelehrte wie Carl Schmitt und Hans Bar­i­on anschließen. Nach den Erk­lärun­gen des Zweit­en Vatikanums in den 1960er Jahren ist diese Rich­tung prak­tisch ver­schwun­den. Mose­bach beleuchtet in dieser Samm­lung von Vorträ­gen scharf­sin­nig Glaubensleben und litur­gis­che Prax­is nach den konzil­iaren Verän­derun­gen. Immer wieder hebt der Ver­fass­er die Bedeu­tung der Schön­heit für das Glaubensleben her­vor, des Weit­eren Gestik und Zer­e­mo­ni­ales.

Auf­schlussre­ich für Mose­bachs katholisch-kon­ser­v­a­tive Ein­stel­lung ist auch seine Danke­sansprache anlässlich der Ver­lei­hung des Georg-Büch­n­er-Preis­es 2007, in der er aus­führlich auf den Namensge­ber dieser Ehrung einge­ht. Der Red­ner weiß bess­er als seine Kri­tik­er, etwa der His­torik­er Hein­rich-August Win­kler, daß link­er Total­i­taris­mus, der sich in seinen früh­esten For­men im Jakobin­er-Ter­ror äußert, sich mit seinem recht­en Pen­dant im 20. Jahrhun­dert in einem wichti­gen Punkt trifft: in der Annahme sein­er Ver­fechter, sie seien im Besitz des „siegre­ichen Geset­zes der Geschichte“. Bekan­ntlich läßt dieser „His­tor­izis­mus“ (Karl Pop­per) wesentliche Wurzeln in der Aufk­lärung erken­nen, um dann primär über den Ein­fluss Hegels im Rah­men kom­mu­nis­tis­ch­er und nation­al­sozial­is­tis­ch­er Ide­olo­gie wirk­mächtig zu wer­den. Mose­bach par­al­lelisiert vor diesem Hin­ter­grund Saint-Just mit Hein­rich Himm­ler. Bei­de legit­imieren ihre Ver­brechen mit dem Hin­weis, Exeku­toren des Welt­geistes zu sein.

Zwis­chen den Zeilen dieser Ansprache kann man Mose­bachs Sym­pa­thien für die Monar­chie erken­nen. Lud­wig XVI. ist nicht irgen­dein König, son­dern der let­zte sein­er Art in Europa, der die Sakral­ität seines Amtes dadurch zum Aus­druck bringt, daß er Skro­fulöse durch Han­dau­fle­gen heilen will. Mit der Hin­rich­tung dieses Herrsch­ers stirbt für Mose­bach die Monar­chie endgültig. Sie ist danach nur noch ein Schat­ten ihrer selb­st. Der franzö­sis­che Monarch fungiere als „let­zte … Bas­tion gegen den Nihilis­mus“. Luciles Ruf – gemeint ist die Gat­tin des Camilles Desmoulins – „Es lebe der König“ in Büch­n­ers Dra­ma Dan­tons Tod, deutet der Geehrte als „Zeug­nis ein­er Frei­heit, die nicht von der Gesellschaft gewährt wer­den kann und die mit Ausstoßung und Tod bezahlt wird“. Er rückt den Aus­ruf Luciles in die Nähe des absur­den Exerz­i­tiums Joseph de Maistres, einem der führen­den franzö­sis­chen Gegen­rev­o­lu­tionäre, der „sys­tem­a­tisch von allem das Gegen­teil“ von Voltaire denke. Mose­bach betont in sein­er Analyse Büch­n­ers sub­tile Erken­nt­nisse von den Ambivalen­zen der Rev­o­lu­tion (und nicht nur der Franzö­sis­chen von 1789). Den „großen Mann“ sehen der Frühkom­mu­nist und sein Held Dan­ton im rev­o­lu­tionären Geschehen, das von den Massen ges­teuert wird, als über­flüs­sig – und das freilich nicht ohne Erschreck­en. Denn hier zeigt sich beson­ders die „entset­zliche Gle­ich­heit“ der „Men­schen­natur“, so die Wahrnehmung von „Büch­n­er-Dan­ton“, auf die Mose­bach ver­weist. Sel­ten hat eine Inter­pre­ta­tion präg­nan­ter die schlim­men Kon­se­quen­zen ein­er the­o­retis­chen Grund­hal­tung, ein­er ide­ol­o­gis­chen Reißbrett-Kon­struk­tion, die mit dem umstürzen­den Anspruch „Siehe ich mache alles neu!“ ange­treten ist, aufgezeigt als die Mose­bachs. Die Jour­nal­istin Karin Fis­ch­er sieht in ein­er der­ar­ti­gen Sicht ein „sehr kon­ser­v­a­tives Geschichts­bild“ – ein Geschichts­bild, das bere­its von diversen kon­ser­v­a­tiv-katholis­chen His­torik­ern der unmit­tel­baren Zeit nach dem Zweit­en Weltkrieg, etwa von Christo­pher Daw­son, vertreten wird. Dem­nach set­zt der Abfall vom Glauben in der frühen Neuzeit (Renais­sance, Human­is­mus, Ref­or­ma­tion) ein, find­et einen vor­läu­fi­gen Höhep­unkt in Aufk­lärung und Rev­o­lu­tion und endet im Total­i­taris­mus des 20. Jahrhun­derts.

In seinen Essays Schöne Lit­er­atur geht Mose­bach auf seine lit­er­arischen Vor­bilder ein: an erster Stelle auf Heim­i­to von Doder­er; aber auch mit Rudolf Bor­chardt, Ger­hard Nebel, Nicolàs Gómez Dávi­la und Botho Strauß set­zt er sich auseinan­der. Auf diese Weise wer­den kul­turkon­ser­v­a­tive Tra­di­tion­slin­ien sicht­bar.

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Zitat:

Tat­säch­lich sind ja die Meßre­formier­er und die mod­er­nen Exegeten, die die Offen­barung der his­torisch-kri­tis­chen Meth­ode unterziehen, aus dem­sel­ben Holz geschnitzt. Selt­sam nur, dass bei soviel archäol­o­gisch-philol­o­gis­chem Sachver­stand dann ein Jesus her­auskommt, der Ehren­mit­glied der SPD hätte sein kön­nen, eben­so frauen­fre­undlich wie Willy Brandt und eben­sowenig aufer­standen.

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Schriften:

  • Die Türkin. Roman, Berlin 1999
  • Der Nebelfürst. Roman, Frank­furt a.M. 2001
  • Das Beben. Roman, München 2005
  • Schöne Lit­er­atur. Essays, München 2006
  • Häre­sie der Form­losigkeit. Die römis­che Liturgie und ihr Feind, erw. Neuaus­gabe, München 2007

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Lit­er­atur:

  • Stef­fen Köh­ler: Mar­tin Mose­bach. Die Schön­heit des Opfers, Det­tel­bach 2007