Spaemann, Robert — Philosoph, 1927–2018

Der Sohn des katholis­chen Pub­lizis­ten Hein­rich Spae­mann und der Kün­st­lerin Ruth Krämer wurde am 5. Mai 1927 in Berlin geboren und studierte unter anderem Philoso­phie, Geschichte, The­olo­gie und Roman­is­tik an den Uni­ver­sitäten Mün­ster, München und Paris. Bei Joachim Rit­ter pro­movierte er 1952 mit ein­er Arbeit über de Bonald, 1962 schloß sich, nach Jahren als Lek­tor im Stuttgarter Kohlham­merver­lag, die Habil­i­ta­tion mit ein­er grundle­gen­den Studie über das Prob­lem der reinen Gottes­liebe (amour pur) bei Fran­cois Fénelon an.

Als Teil des Rit­ter-Kreis­es, den Spae­mann nicht als Schule ansah, son­dern als sym­philosophis­che Gemein­schaft mit gemein­samen sach­lichen Inter­essen und ein­er poli­tis­chen Dimen­sion, die stärk­er gewe­sen sei als in ver­wandten Schulen (etwa der Gadamer­schen Hermeneu­tik), war er auch an den Ebracher Sem­i­naren zusam­men mit Carl Schmitt beteiligt. Spae­mann wirk­te von 1962–1968 als Ordi­nar­ius an der Uni­ver­sität Stuttgart, kurzzeit­ig bis 1972 in Hei­del­berg und anschließend in München. 1992 wurde er emer­i­tiert, heute lehrt er im Hausstudi­um der Abtei Mari­awald.

Philosophisch ist Spae­mann von Aris­tote­les und der Tra­di­tion des Natur­rechts geprägt. Ein von Natur Recht­es, das nicht Kon­struk­tio­nen unter­liegt, schließt den Stre­it um Gerechtigkeit nicht aus, er gibt ihm aber Spae­mann zufolge erst seine Sin­nrich­tung. Das Ver­hält­nis von Glück und Wohlwollen, als Erbe der alteu­ropäis­chen Ethik hat Spae­mann in ein­er durch­drin­gen­den Mono­gra­phie (1989) eben­so the­ma­tisiert, wie er die ethis­chen Grund­be­griffe auf den Ordo amor­is und das Ver­hält­nis von Selb­st­bes­tim­mung und Selb­ster­hal­tung hin durch­sichtig gemacht hat. Ein weit­eres her­aus­ra­gen­des Werk gilt dem Per­son-Begriff und der Unter­schei­dung zwis­chen „Etwas“ und „Jemand“ (1996). Per­son ist im Sinn der klas­sis­chen Def­i­n­i­tion des Boethius «indi­vidu­elle Sub­stanz ein­er vernün­fti­gen Natur». Sie ist damit aber auf ihren Ursprung hin trans­par­ent (Got­teben­bildlichkeit) und sie ver­weist auf eine unhin­terge­hbare Selb­st­deu­tung, die sich in ethis­chen Grund­man­i­fes­ta­tio­nen wie Tran­szen­denz, Inten­tion­al­ität, Gewis­sen und Frei­heit man­i­festiert.

In Natur­philoso­phie, Ontolo­gie und Anthro­polo­gie hat Spae­mann, namentlich in dem mit Rein­hard Löw zusam­men ver­faßten Werk Die Frage Wozu? (1981), Genese, Zer­fall und bleibende Bedeu­tung tele­ol­o­gis­chen Denkens unter­sucht. Ein weit­er­er entschei­den­der fun­da­men­tal­philosophis­ch­er Schw­er­punkt Spae­manns liegt in der Anzeige von Gren­zen des Tun­lichen und in der Gottes­frage. Reli­gion ist ihm das «unsterbliche Gerücht». Im Zeital­ter des Nihilis­mus, mit dem die Aufk­lärung an ihr Ende komme, bleibe das Niet­zschesche Dik­tum: „Ich fürchte, wir wer­den Gott nicht los, weil wir noch an die Gram­matik glauben“. Von hier her hat Spae­mann einen «let­zten Gottes­be­weis» for­muliert, der aus der Struk­tur des futu­rum exac­tum (ich werde gewe­sen sein) schließt, daß mit jed­er sit­u­a­tion­sin­vari­anten Behaup­tung ihre Ver­bür­gung in einem absoluten Grund, der göt­tlichen Intel­li­bil­ität, unab­d­ing­bar ver­bun­den ist. Vorschnellen Ver­ab­schiedun­gen von Reli­gion im Namen intellek­tueller Redlichkeit (wie sie von Ernst Tugend­hat pro­longiert wur­den) aber auch der Vorstel­lung eines uni­ver­salen Wel­tethos (Hans Küng) set­zte Spae­mann damit dif­feren­zierte und überzeu­gende Gegengewichte ent­ge­gen.

Charak­ter­is­tisch für seine philosophis­chen Grundle­gungsar­beit­en ist, daß er die sou­veräne Ken­nt­nis des abendländis­chen philosophis­chen The­saurus mit der präzisen Anwen­dung des Werkzeugs mod­ern­er Philoso­phie, auch der mod­er­nen ana­lytis­chen Philoso­phie, verbindet, ohne sich von ihr Fragestel­lun­gen und Welt­bild vorgeben zu lassen. Spae­manns Sprache ist von schön­er Lakonie, trans­par­enter, fast apho­ris­tis­ch­er Präzi­sion, auf der Vorder­grun­dan­sicht all­ge­mein ver­ste­hbar, in der Tiefe aber höchst sub­stantiell und anspielungsre­ich. Als charis­ma­tis­ch­er akademis­ch­er Lehrer hat er mehrere, sehr unter­schiedliche Schüler geprägt, die sämtlich heute, vor­wiegend im süd­deutschen Raum, als Ordi­nar­ien das Fach vertreten: u.a. Wal­ter Schwei­dler, Thomas Buch­heim, Rolf Schön­berg­er, Sieg­bert Peetz; zu nen­nen ist auch der früh ver­stor­bene Rein­hard Löw.

Spae­manns philosophis­che Grundle­gung wird flankiert von Ein­las­sun­gen zu den Grund­fra­gen der Zeit. Bei­de Lin­ien sind, anders als etwa bei Gün­ter Rohrmoser, in Selb­ständigkeit und Unab­hängigkeit zueinan­der entwick­elt. Sie erhellen einan­der aber gegen­seit­ig. In den fün­fziger Jahren, nach ein­er nach eigen­em Beken­nt­nis extrem linken Phase, die erst durch die Ken­nt­nis des Ter­rors in der realen Sow­je­tu­nion unter­brochen wurde, übte Spae­mann bere­its scharfe Kri­tik an der atom­aren Rüs­tungsspi­rale, früh erkan­nte er die ökol­o­gis­che Grund­frage und die Gren­zen des Wach­s­tums als Pro­pri­um kon­ser­v­a­tiv­en Denkens. Utopis­men aller Art set­zen sich über diese Lim­i­ta­tio­nen hin­weg. Sie sug­gerieren ein Infini­tum an Zeit und Ressourcen und spren­gen damit das gegebene Maß.

In einem dezi­diert Pla­tonis­chen Sinn hat Spae­mann betont, daß die Erziehung am „Anfang aller Ethik“ ste­he. Schon Ende der siebziger Jahre wirk­te er daher bei dem Kon­greß «Mut zur Erziehung» mit, und spätestens seit diesem Zeit­punkt wider­sprach Spae­mann vehe­ment ein­er auf Emanzi­pa­torik reduzierten Päd­a­gogik. Nur ein in der Welt heimis­ch­er Men­sch könne den Gefährdun­gen der unheilen Welt gegenüber beste­hen.

Entschei­dend ist für Spae­mann die Uni­ver­sal­ität von Men­schen­recht­en und Men­schen­würde, die nur unter der Voraus­set­zung gel­ten wür­den, „daß nie­mand befugt ist darüber zu urteilen, wer Sub­jekt solch­er Rechte ist“. Damit wider­spricht Spae­mann ein­er – in util­i­taris­tis­chen Kon­tex­ten (heute Peter Singer, Nor­bert Hoer­ster) gängi­gen Kri­te­ri­olo­gie des Per­son­seins. Spae­manns dezi­dierte Posi­tio­nen zu Abtrei­bung, Ster­be­hil­fe, Euthanasie beruhen auf dieser Grun­dein­sicht. Spae­mann ver­trat ger­ade in den let­zten Jahren die dezi­dierte Posi­tion, daß sich staatlich­es Han­deln auf das Rechts­ge­setz zu begren­zen habe. Der Äch­tung ver­fas­sungskon­former Posi­tio­nen trat er deshalb (auch im Blick auf die Junge Frei­heit) entsch­ieden ent­ge­gen; Homo­sex­u­al­ität begreift er – in ein­er phänom­e­nol­o­gis­chen Begrün­dung – als „anthro­pol­o­gis­ches Manko“. Auch Homo­sex­uelle wür­den eingeste­hen, daß die „Abwe­sen­heit der Anziehungskraft des anderen Geschlechts“ ein solch­er Makel sei.

Bei aller Dezi­diertheit sein­er Urteile wahrt Spae­mann strik­te Unab­hängigkeit. Papst Benedikt XVI. schätzt ihn als philosophis­chen Berater, zugle­ich trat er vor der Bun­destags­frak­tion der GRÜNEN im Zusam­men­hang der Debat­te über die Stam­mzel­len­forschung auf. Spae­mann ist gle­icher­maßen überzeugter beken­nen­der Katho­lik und Anhänger eines eso­ter­ischen, sich mit der Anthro­poso­phie verbinden­den Chris­ten­tums. So fungiert er auch als Mither­aus­ge­ber von Valentin Tombergs anony­men Werken (v.a. Die großen Arcana des Tarot, 2 Bde, 1993).

Robert Spae­mann ver­starb am 10. Dezem­ber 2018 in Stuttgart.

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Zitat:

Wo es um Fra­gen des richti­gen Lebens geht, kön­nte nur Falsches wirk­lich neu sein. Und doch muss das, was Men­schen immer schon wis­sen, von Zeit zu Zeit neu gedacht wer­den, weil die realen Bedin­gun­gen des Lebens und die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Begriffe für unsere Selb­stver­ständi­gung sich wan­deln.

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Schriften:

  • Der Ursprung der Sozi­olo­gie aus dem Geist der Restau­ra­tion. Stu­di­en über L.G.A. de Bonald, München 1959
  • Reflex­ion und Spon­taneität. Stu­di­en über Fénelon, Stuttgart 1963
  • Zur Kri­tik der poli­tis­chen Utopie. Zehn Kapi­tel poli­tis­ch­er Philoso­phie, Stuttgart 1977
  • Rousseau – Bürg­er ohne Vater­land. Von der Polis zur Natur, München 1980
  • (mit Rein­hard Löw) Die Frage Wozu? Geschichte und Wieder­ent­deck­ung des tele­ol­o­gis­chen Denkens, München 1981
  • Moralis­che Grund­be­griffe, München 1982
  • Glück und Wohlwollen. Ver­such über Ethik, Stuttgart 1989
  • Per­so­n­en. Ver­suche über den Unter­schied zwis­chen ‚etwas’ und ‚jemand’, Stuttgart 1996
  • Gren­zen. Zur ethis­chen Dimen­sion des Han­delns, Stuttgart 2001
  • (mit Rolf Schön­berg­er) Der let­zte Gottes­be­weis, Düs­sel­dorf 2007
  • Nach uns die Kern­schmelze. Hybris im atom­aren Zeital­ter, Stuttgart 2011
  • Schritte über uns hin­aus. Gesam­melte Reden und Auf­sätze, 2 Bde, Stuttgart 2010/11

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Lit­er­atur:

  • Thomas Buchheim/ Rolf Schönberger/ Wal­ter Schwei­dler (Hrsg.): Die Nor­ma­tiv­ität des Wirk­lichen. Über die Gren­ze zwis­chen Sein und Sollen. FS zum 75. Geburt­stag, Stuttgart 2002
  • Rein­hard Löw (Hrsg.): Oikeio­sis. Festschrift für Robert Spae­mann, Wein­heim 1987
  • Hanns-Georg Niss­ing (Hrsg.): Grund­vol­lzüge der Per­son. Dimen­sio­nen des Men­sch­seins bei Robert Spae­mann, München 2008