Der Sohn des katholischen Publizisten Heinrich Spaemann und der Künstlerin Ruth Krämer wurde am 5. Mai 1927 in Berlin geboren und studierte unter anderem Philosophie, Geschichte, Theologie und Romanistik an den Universitäten Münster, München und Paris. Bei Joachim Ritter promovierte er 1952 mit einer Arbeit über de Bonald, 1962 schloß sich, nach Jahren als Lektor im Stuttgarter Kohlhammerverlag, die Habilitation mit einer grundlegenden Studie über das Problem der reinen Gottesliebe (amour pur) bei Francois Fénelon an.
Als Teil des Ritter-Kreises, den Spaemann nicht als Schule ansah, sondern als symphilosophische Gemeinschaft mit gemeinsamen sachlichen Interessen und einer politischen Dimension, die stärker gewesen sei als in verwandten Schulen (etwa der Gadamerschen Hermeneutik), war er auch an den Ebracher Seminaren zusammen mit Carl Schmitt beteiligt. Spaemann wirkte von 1962–1968 als Ordinarius an der Universität Stuttgart, kurzzeitig bis 1972 in Heidelberg und anschließend in München. 1992 wurde er emeritiert, heute lehrt er im Hausstudium der Abtei Mariawald.
Philosophisch ist Spaemann von Aristoteles und der Tradition des Naturrechts geprägt. Ein von Natur Rechtes, das nicht Konstruktionen unterliegt, schließt den Streit um Gerechtigkeit nicht aus, er gibt ihm aber Spaemann zufolge erst seine Sinnrichtung. Das Verhältnis von Glück und Wohlwollen, als Erbe der alteuropäischen Ethik hat Spaemann in einer durchdringenden Monographie (1989) ebenso thematisiert, wie er die ethischen Grundbegriffe auf den Ordo amoris und das Verhältnis von Selbstbestimmung und Selbsterhaltung hin durchsichtig gemacht hat. Ein weiteres herausragendes Werk gilt dem Person-Begriff und der Unterscheidung zwischen „Etwas“ und „Jemand“ (1996). Person ist im Sinn der klassischen Definition des Boethius «individuelle Substanz einer vernünftigen Natur». Sie ist damit aber auf ihren Ursprung hin transparent (Gottebenbildlichkeit) und sie verweist auf eine unhintergehbare Selbstdeutung, die sich in ethischen Grundmanifestationen wie Transzendenz, Intentionalität, Gewissen und Freiheit manifestiert.
In Naturphilosophie, Ontologie und Anthropologie hat Spaemann, namentlich in dem mit Reinhard Löw zusammen verfaßten Werk Die Frage Wozu? (1981), Genese, Zerfall und bleibende Bedeutung teleologischen Denkens untersucht. Ein weiterer entscheidender fundamentalphilosophischer Schwerpunkt Spaemanns liegt in der Anzeige von Grenzen des Tunlichen und in der Gottesfrage. Religion ist ihm das «unsterbliche Gerücht». Im Zeitalter des Nihilismus, mit dem die Aufklärung an ihr Ende komme, bleibe das Nietzschesche Diktum: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“. Von hier her hat Spaemann einen «letzten Gottesbeweis» formuliert, der aus der Struktur des futurum exactum (ich werde gewesen sein) schließt, daß mit jeder situationsinvarianten Behauptung ihre Verbürgung in einem absoluten Grund, der göttlichen Intellibilität, unabdingbar verbunden ist. Vorschnellen Verabschiedungen von Religion im Namen intellektueller Redlichkeit (wie sie von Ernst Tugendhat prolongiert wurden) aber auch der Vorstellung eines universalen Weltethos (Hans Küng) setzte Spaemann damit differenzierte und überzeugende Gegengewichte entgegen.
Charakteristisch für seine philosophischen Grundlegungsarbeiten ist, daß er die souveräne Kenntnis des abendländischen philosophischen Thesaurus mit der präzisen Anwendung des Werkzeugs moderner Philosophie, auch der modernen analytischen Philosophie, verbindet, ohne sich von ihr Fragestellungen und Weltbild vorgeben zu lassen. Spaemanns Sprache ist von schöner Lakonie, transparenter, fast aphoristischer Präzision, auf der Vordergrundansicht allgemein verstehbar, in der Tiefe aber höchst substantiell und anspielungsreich. Als charismatischer akademischer Lehrer hat er mehrere, sehr unterschiedliche Schüler geprägt, die sämtlich heute, vorwiegend im süddeutschen Raum, als Ordinarien das Fach vertreten: u.a. Walter Schweidler, Thomas Buchheim, Rolf Schönberger, Siegbert Peetz; zu nennen ist auch der früh verstorbene Reinhard Löw.
Spaemanns philosophische Grundlegung wird flankiert von Einlassungen zu den Grundfragen der Zeit. Beide Linien sind, anders als etwa bei Günter Rohrmoser, in Selbständigkeit und Unabhängigkeit zueinander entwickelt. Sie erhellen einander aber gegenseitig. In den fünfziger Jahren, nach einer nach eigenem Bekenntnis extrem linken Phase, die erst durch die Kenntnis des Terrors in der realen Sowjetunion unterbrochen wurde, übte Spaemann bereits scharfe Kritik an der atomaren Rüstungsspirale, früh erkannte er die ökologische Grundfrage und die Grenzen des Wachstums als Proprium konservativen Denkens. Utopismen aller Art setzen sich über diese Limitationen hinweg. Sie suggerieren ein Infinitum an Zeit und Ressourcen und sprengen damit das gegebene Maß.
In einem dezidiert Platonischen Sinn hat Spaemann betont, daß die Erziehung am „Anfang aller Ethik“ stehe. Schon Ende der siebziger Jahre wirkte er daher bei dem Kongreß «Mut zur Erziehung» mit, und spätestens seit diesem Zeitpunkt widersprach Spaemann vehement einer auf Emanzipatorik reduzierten Pädagogik. Nur ein in der Welt heimischer Mensch könne den Gefährdungen der unheilen Welt gegenüber bestehen.
Entscheidend ist für Spaemann die Universalität von Menschenrechten und Menschenwürde, die nur unter der Voraussetzung gelten würden, „daß niemand befugt ist darüber zu urteilen, wer Subjekt solcher Rechte ist“. Damit widerspricht Spaemann einer – in utilitaristischen Kontexten (heute Peter Singer, Norbert Hoerster) gängigen Kriteriologie des Personseins. Spaemanns dezidierte Positionen zu Abtreibung, Sterbehilfe, Euthanasie beruhen auf dieser Grundeinsicht. Spaemann vertrat gerade in den letzten Jahren die dezidierte Position, daß sich staatliches Handeln auf das Rechtsgesetz zu begrenzen habe. Der Ächtung verfassungskonformer Positionen trat er deshalb (auch im Blick auf die Junge Freiheit) entschieden entgegen; Homosexualität begreift er – in einer phänomenologischen Begründung – als „anthropologisches Manko“. Auch Homosexuelle würden eingestehen, daß die „Abwesenheit der Anziehungskraft des anderen Geschlechts“ ein solcher Makel sei.
Bei aller Dezidiertheit seiner Urteile wahrt Spaemann strikte Unabhängigkeit. Papst Benedikt XVI. schätzt ihn als philosophischen Berater, zugleich trat er vor der Bundestagsfraktion der GRÜNEN im Zusammenhang der Debatte über die Stammzellenforschung auf. Spaemann ist gleichermaßen überzeugter bekennender Katholik und Anhänger eines esoterischen, sich mit der Anthroposophie verbindenden Christentums. So fungiert er auch als Mitherausgeber von Valentin Tombergs anonymen Werken (v.a. Die großen Arcana des Tarot, 2 Bde, 1993).
Robert Spaemann verstarb am 10. Dezember 2018 in Stuttgart.
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Zitat:
Wo es um Fragen des richtigen Lebens geht, könnte nur Falsches wirklich neu sein. Und doch muss das, was Menschen immer schon wissen, von Zeit zu Zeit neu gedacht werden, weil die realen Bedingungen des Lebens und die zur Verfügung stehenden Begriffe für unsere Selbstverständigung sich wandeln.
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Schriften:
- Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration. Studien über L.G.A. de Bonald, München 1959
- Reflexion und Spontaneität. Studien über Fénelon, Stuttgart 1963
- Zur Kritik der politischen Utopie. Zehn Kapitel politischer Philosophie, Stuttgart 1977
- Rousseau – Bürger ohne Vaterland. Von der Polis zur Natur, München 1980
- (mit Reinhard Löw) Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens, München 1981
- Moralische Grundbegriffe, München 1982
- Glück und Wohlwollen. Versuch über Ethik, Stuttgart 1989
- Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ‚etwas’ und ‚jemand’, Stuttgart 1996
- Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, Stuttgart 2001
- (mit Rolf Schönberger) Der letzte Gottesbeweis, Düsseldorf 2007
- Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter, Stuttgart 2011
- Schritte über uns hinaus. Gesammelte Reden und Aufsätze, 2 Bde, Stuttgart 2010/11
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Literatur:
- Thomas Buchheim/ Rolf Schönberger/ Walter Schweidler (Hrsg.): Die Normativität des Wirklichen. Über die Grenze zwischen Sein und Sollen. FS zum 75. Geburtstag, Stuttgart 2002
- Reinhard Löw (Hrsg.): Oikeiosis. Festschrift für Robert Spaemann, Weinheim 1987
- Hanns-Georg Nissing (Hrsg.): Grundvollzüge der Person. Dimensionen des Menschseins bei Robert Spaemann, München 2008