Sander, Hans-Dietrich — Publizist, 1928–2017

„Kon­se­quent, hochmütig und rück­sicht­s­los“, sei der Ton­fall, den der „nationale Dis­si­dent“ Hans-Diet­rich Sander in seinen Schriften anstimme, voller Ver­ach­tung für die „feigen fet­ten Fritzen der Wohl­stands­ge­sellschaft“, was ihn „Gott sei Dank in einen unver­söhn­lichen Gegen­satz zur großen Mehrheit der Bürg­er der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land“ bringe. Den­noch müsse ver­hütet wer­den, daß „diese stil­isierte Ein­samkeit, diese ‘Kleistsche Radikalität’ wieder Anhänger find­et“. Denn: „Schon ein paar Tausend wären zu viel für die zivile, par­la­men­tarische Bun­desre­pub­lik.“ So furcht- wie respek­tvoll urteilte 1989 der Sozialdemokrat Peter Glotz über den Mann, den Armin Mohler „den unbe­quem­sten Vertreter der Neuen Recht­en“ nan­nte, und der sich selb­st stets jed­er Kat­e­gorisierung dieser Art ent­zog.

Sander, geboren am 17. Juni 1928, wuchs in einem kleinen meck­len­bur­gis­chen Dorf auf und besuchte ab 1939 das Gym­na­si­um in Parchim. In Kiel erlebte er als junger Marine­helfer den Krieg in Form von mas­siv­en Luftan­grif­f­en. Er betonte später, daß diese Erfahrung keinen Platz für „Schuldge­füh­le“ ließ, und er den gegen Deutsch­land erhobe­nen Anschuldigun­gen von Anfang an skep­tisch gegenüber­stand. Er sah sich schon früh als „Reichs­deutsch­er, der in der Stunde Null nur anger­itzt wurde“. Ab 1949 studierte er The­ater­wis­senschaften und Ger­man­is­tik in West­ber­lin. Her­bert Iher­ing ver­mit­telte ihm eine Hos­pi­tanz bei den Proben des Berlin­er Ensem­bles. Die Fasz­i­na­tion durch Bertold Brecht infizierte Sander mit dem Kom­mu­nis­mus. Er brach mit dem poli­tis­chen und wirtschaftlichen Sys­tem West­deutsch­lands und zog 1952 nach Ost-Berlin, wo er als Dra­maturg und The­aterkri­tik­er tätig war. Sein kom­mu­nis­tis­ches Engage­ment erlosch am 17. Juni 1953, und im Dezem­ber 1957 ging er wieder zurück in den West­en, dem er allerd­ings weit­er­hin kri­tisch gegenüber­stand. 1958 bis 1962 arbeit­ete Sander unter der Schirmherrschaft Hans Zehrers als Redak­teur für die Welt. Seine Arbeit dieser Jahre konzen­tri­erte sich auf das Feuil­leton und war nur indi­rekt poli­tisch geprägt. 1963/64 ging er für ein Forschung­spro­jekt über rev­o­lu­tion­s­the­o­retis­che Schriften nach Zürich. Im Rah­men dieses Pro­jek­ts nahm er Kon­takt zu bedeu­ten­den Sozial­is­ten, Kom­mu­nis­ten und Ex-Kom­mu­nis­ten wie Boris Sou­varine, Gian­gia­co­mo Fel­trinel­li oder Oskar Lange auf. 1965 holte Hans Zehrer Sander zur Welt zurück. Zehrer starb 1966, Ende 1967 wurde Sander ent­lassen.

Die raschen Siege der Stu­den­ten­re­volte ent­larvten in seinen Augen die Brüchigkeit des poli­tis­chen Sys­tems. Zwis­chen „lib­eraler Restau­ra­tion wie ihrer linken Unter­wan­derung“ führte der Weg zu dezi­diert nationalen Posi­tio­nen, die sich im Laufe der Jahre radikal zus­pitzen soll­ten. 1969 pro­movierte Sander bei Hans-Joachim Schoeps mit der dog­mengeschichtlichen Studie Marx­is­tis­che Ide­olo­gie und all­ge­meine Kun­st­the­o­rie. Eine Fußnote der 1970 in Buch­form erschiene­nen Dis­ser­ta­tion repro­duzierte erst­ma­lig den inzwis­chen berühmten Brief Wal­ter Ben­jamins an Carl Schmitt, den Theodor W. Adorno in sein­er Ben­jamin-Edi­tion unter­schla­gen hat­te. Mit Schmitt pflegte Sander seit 1967 einen inten­siv­en Briefwech­sel, der bis 1981 anhielt.

Sanders Geschichte der Schö­nen Lit­er­atur in der DDR (1972), zum Teil aus der Warte eines Augen­zeu­gen geschrieben, löste eine heftige Kam­pagne aus, in deren Folge der Ver­lag das Buch aus dem Ver­trieb zog. Sander ver­lor nun zunehmend an pub­lizis­tis­chem Spiel­raum. Asyl fand er in Cas­par von Schrenck-Notz­ings Crit­icón und in William S. Schlamms Zeit­bühne. 1975/76 war er kurzzeit­ig Lehrbeauf­tragter an der TU Han­nover und auf Ein­ladung Jacob Taubes 1978/79 Gast­dozent an der Freien Uni­ver­sität Berlin. Der Nationale Imper­a­tiv (1980), sein erstes dezi­diert poli­tis­ches Buch, ver­sam­melte „Ideengänge und Werk­stücke zur Wieder­her­stel­lung Deutsch­lands“ und stellte dabei gar „propädeutis­che Über­legun­gen zum Vierten Reich“ an. 1983–86 über­nahm er die Chefredak­tion der Deutschen Monat­shefte. Die Auflö­sung aller Dinge (1988), eine meis­ter­hafte polemis­che Studie „zur geschichtlichen Lage des Juden­tums in den Meta­mor­pho­sen der Mod­erne“, über­schritt als erstes Buch nach 1945 den „Rubikon“ (Haber­mas) ein­er kri­tis­chen Neu­sich­tung der „deutsch-jüdis­chen Frage“, „unter dem Gesicht­spunkt der poli­tis­chen Escha­tolo­gie“. Den Hin­ter­grund bildete der Begriff der „Entor­tung“ als zen­trales Kennze­ichen der Auflö­sung­sprozesse der Mod­erne. Von Bedeu­tung sind auch die darin enthal­te­nen „The­sen zum Drit­ten Reich“.

Pünk­tlich zur Wende ver­wirk­lichte Sander 1990 das langge­hegte Pro­jekt ein­er eige­nen Zeitschrift, der Staats­briefe, die er als „Freis­tatt für das offene Wort“ im Dien­ste der „Renais­sance des nationalen Denkens“ konzip­ierte. Als Emblem diente der Grun­driß des Cas­tel del Monte, entsprechend dem küh­nen Pro­gramm ein­er Wieder­bele­bung ein­er ghi­bellinis­chen Reich­sidee, an der Sander mit provozieren­der Unbeir­rtheit fes­thielt. Zu den Mitar­beit­ern der ersten Stunde zählten unter anderem Armin Mohler, Gün­ter Zehm, Hans-Joachim Arndt, Gün­ter Maschke, Robert Hepp, Sal­cia Land­mann, Rein­hold Ober­lercher und Wolf­gang Strauss. Die Hoff­nun­gen, mit den Staats­briefen ein wirkungsvolles Pen­dant zu Hans Zehrers Tat und ein weltan­schaulich weit­ges­pan­ntes Forum auf nationaler Basis zu lancieren, zer­streuten sich allerd­ings eben­so schnell wie die Erdrutschstim­mung der Wen­dezeit. Die hochkarätige Mitar­beit­er­schaft dün­nte sich bere­its nach dem ersten Jahrgang merk­lich aus; im Jahre 2001 wurde die Zeitschrift schließlich eingestellt. Vier­mal im Jahr schreibt der stre­it­bare Autor noch für die öster­re­ichis­che Zeitschrift Neue Ord­nung, sein Haup­tau­gen­merk gilt dabei weit­er­hin der laufend­en Selb­stzer­set­zung des lib­eralen Sys­tems.

Hans-Diet­rich Sander ver­starb am 25. Jan­u­ar 2017 in Fürsten­walde.

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Zitat:

Die Ver­fall­sprozesse der Mod­erne lassen sich durch­weg antäisch erk­lären. Sie gehen auf eine unnatür­liche Störung des Raumge­fühls zurück, die den Impe­tus der Erken­nt­nis und der Selb­sterken­nt­nis zer­stört und die Energien der Selb­st­be­haup­tung zer­reibt.

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Schriften:

  • Marx­is­tis­che Ide­olo­gie und all­ge­meine Kun­st­the­o­rie, Tübin­gen 1970 (2. erw. Auflage ebd. 1975)
  • Geschichte der schö­nen Lit­er­atur in der DDR. Ein Grun­driß, Freiburg 1972
  • Der Nationale Imper­a­tiv, Krefeld 1980 (2. erw. Auflage Essen 1990)
  • Die Auflö­sung aller Dinge, München 1988
  • (mit Carl Schmitt) Werk­statt-Dis­cor­si. Briefwech­sel 1967–1981, Schnell­ro­da 2008

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Lit­er­atur:

  • Heiko Luge (Hrsg.): Gren­zgänge. Liber ami­co­rum für den nationalen Dis­si­den­ten Hans-Diet­rich Sander, Graz 2008