Sedlmayr, Hans — Kunsthistoriker, 1896–1984

Sedl­mayr ist bekan­nt gewor­den durch seine luzi­den Werk­in­ter­pre­ta­tio­nen und er war umstrit­ten durch seine schar­fen Polemiken gegen „Unkun­st und Antikun­st“. Erstere ist Pro­dukt des Ver­sagens schöpferische Kräfte und in allen Kul­turen zu find­en, let­ztere ist die aggres­sive Wen­dung gegen den Geist der tra­di­tionellen Kun­st und nur im Abend­land, nicht in anderen Spätkul­turen zu find­en. Genau mit dieser Betra­ch­tung von Kun­st als Symp­tom, die freilich immer in der Gefahr ist auch große Kun­st auf ihre Aus­sage als his­torische Quelle zu reduzieren, war er der let­zte Kun­sthis­torik­er bis heute, dessen Werk selb­st geis­tes­geschichtlichen Rang hat. Er beze­ich­net seine Darstel­lung bere­its in der Ein­leitung von Ver­lust der Mitte als nicht kun­sthis­torisch, son­dern kul­tur­diag­nos­tisch im Sinne eines Patholo­gen. Unkun­st entste­ht in sein­er Ter­mi­nolo­gie aus man­gel­nder Fähigkeit, Antikun­st dage­gen aus der bewussten Zer­schla­gung, als solche betra­chtet Sedl­mayr den Sur­re­al­is­mus der nur die Rück­seite der Mas­chin­isierung sei.

Sedl­mayr wurde am 18. Janu­ra 1896 in Horn­stein geboren. Nach einem Studi­um der Architek­tur und Kun­st­geschichte in Wien wurde er über den Barockar­chitek­ten Johann Fis­ch­er vorn Erlach pro­moviert. Nach der Habil­i­ta­tion 1936 wurde er Ordi­nar­ius in Wien und begrün­dete die Struk­tu­r­analyse in der Kun­st­geschichte. 1945 wurde er als überzeugter Großdeutsch­er und aktiv­er Nation­al­sozial­ist zwangse­mer­i­tiert. Er schrieb zeitweise unter den Pseu­do­ny­men Hans Schwarz und Ernst Her­mann vor allem in der katholis­chen Zeitschrifte Wort und Wahrheit und erhielt erst wieder 1951 einen Lehrstuhl (in München, ab 1965 in Salzburg), nach­dem er sein bedeu­tend­stes Werk über den Ver­lust der Mitte pub­liziert hat­te.

Grundle­gend wichtig ist Sedl­mayrs Rück­griff auf Franz von Baaders Lehre von den drei Zeit­en. Die uns geläu­fige Zeit (er nen­nt sie Scheinzeit), die einges­pan­nt ist zwis­chen Zukun­ft (Sorge) und Ver­gan­gen­heit (Schuld) ist für ihn die mit­tlere zwis­chen Ewigkeit — als dauern­der Gegen­wart zwis­chen den Polen Auf­gabe und Erfül­lung — und der höl­lis­chen Zeit, die nur eine Dimen­sion, näm­lich die Ver­gan­gen­heit als „nicht mehr“ ken­nt (er nen­nt sie falsche Zeit). Eine Zeit, in der es keine Durch­brüche zur wahren Zeit durch Kun­st, Mythos und Rit­us mehr gibt, ist ein­er­seits zwar zunächst Tri­umph der Scheinzeit, aber diese ändert dadurch ihren Charak­ter völ­lig, sie ist nicht mehr mit­tlere und damit ver­fällt sie zur höl­lis­chen Zeit hin.

Dabei sieht Sedl­mayr die Naturent­frem­dung, ja den bewussten Impuls zur Emanzi­pa­tion von Natur, als hauptver­ant­wortlich für die Selb­stzer­störung der Kul­tur. In dem Maß, in dem die mod­erne „Kun­st“ sich dem Welt­bild der Wis­senschaft anbe­quemt und für sich selb­st nur noch das Reich des Sub­jek­tiv­en reklamiert und das vor­mod­erne Welt­bild nicht bewahrt, muß sie notwendig ver­fall­en. Insofern ist die Kantsche und Pop­per­sche Din­gontolo­gie, wenn an Kun­stakademien gelehrt, die Gift­spritze, mit der der Kun­st der Garaus gemacht wird.

Sedl­mayr hat sich daher auch in der Naturschutzbe­we­gung engagiert; er gehörte der „Gruppe Ökolo­gie“ (u.a. Kon­rad Lorenz, Bern­hard Grz­imek, Her­bert Gruhl) an und hat 1970 unter dem Titel Stadt ohne Land­schaft. Salzburgs Schick­sal von mor­gen? ein Büch­lein pub­liziert, das exem­plar­isch an sein­er Wahlheimat nach der Emer­i­tierung in München den Ver­lust von Land­schaft als Beziehungsraum darstellt.

Sedl­mayr hält es jedoch für möglich, daß „auf die zunächst äußer­liche tech­nis­che Unifizierung des Plan­eten eine inner­liche, geistig begrün­dete fol­gen“ könne, beruhend auf „ein­er Rein­te­grierung des Men­schen, auf der Rück­kehr zu sein­er Mitte“. Die Denk­fig­ur dabei ist die Solow­jews, daß, wie dem Erscheinen Christi der Antichrist voraus­ge­ht und der Affe dem Men­schen, vielle­icht auch die Maschi­nen­herrschaft dem „Erscheinen ein­er geisti­gen und organ­is­chen Beherrschung der unter­men­schlichen Welt, ein­er Theurgie präludieren“ kön­nte. Inter­es­sant ist, daß Sedl­mayr bere­its 1955 auf einen heil­samen Zwang durch eine zur Umkehr zwin­gende Natur hofft.

Sedl­mayrs Analy­sen kön­nten vor allem in der Rich­tung weit­erge­führt wer­den, daß die mod­erne Kun­st wesentlich sekundäre Kun­st ist, die mit Zitat­en und Par­o­di­en spielt. Unab­hängig von der Frage, ob sie mit dem unmit­tel­baren Bezug auf Erscheinen­des nicht eben ihren Kun­stcharak­ter ver­liert (und ob nicht auch die sekundären Reli­gio­nen eher Auflö­sungs­for­men sind) ist die Frage zu stellen, was passiert wenn sich diese sekundäre naturvergessene Kun­st nun auf die Natur zurück­wen­det, z.B. in die Land­schaft baut. Ein weit­eres Kennze­ichen ist, daß sie sich nicht mehr in Werken, son­dern eher in Pro­gram­men und Utopi­en aus­drückt. Was aber macht eine Tätigkeit des Men­schen, die gar nicht mehr auf der Erde ankom­men will, mit der Erde?

Hans Sedl­mayr ver­starb am 19. Juli 1984 in Salzburg.

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Zitat:

Ist am ratio­nal­is­tis­chen Extrem der mod­er­nen Kun­st der Kün­stler zum Kon­struk­teur gewor­den, so am irra­tional­is­tis­chen Gegen­pol zum Auto­mat­en.

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Schriften:

  • Fis­ch­er von Erlach der Ältere, München 1925
  • Ver­lust der Mitte. Die bildende Kun­st des 19. und 20. Jahrhun­derts als Sym­bol der Zeit, Salzburg 1948
  • Die Entste­hung der Kathe­drale, Zürich 1950
  • Die Rev­o­lu­tion der mod­er­nen Kun­st, Ham­burg 1955
  • Kun­st und Wahrheit. Zur The­o­rie und Meth­ode der Kun­st­geschichte, Ham­burg 1958
  • Der Tod des Licht­es. Über­gan­gene Per­spek­tiv­en zur mod­er­nen Kun­st, Salzburg 1964
  • Das gold­e­nen Zeital­ter. Eine Kind­heit, München/Zürich 1986