Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs — Rainer Zitelmann, 1987

Als Andreas Hill­gru­ber die Dis­ser­ta­tion des bis dahin unbekan­nten Rain­er Zitel­mann in der Welt besprach, begann er mit der Fest­stel­lung, daß es sich um eines jen­er Büch­er han­dele, bei denen man sich frage, warum sie nicht längst geschrieben wor­den seien. Das Lob war umso bemerkenswert­er, als Hill­gru­ber sich durch Zitel­mann kri­tisiert sah und vor allem seine »inten­tion­al­is­tis­che« Deu­tung von Hitlers Poli­tik bei Zitel­mann deut­lichen Wider­spruch fand. Das hat­te seinen Grund darin, daß der junge Zei­this­torik­er als erster über­haupt darange­gan­gen war, sämtliche erre­ich­baren Aus­sagen Hitlers zu sam­meln, chro­nol­o­gisch zu ord­nen und auf ihren inneren Zusam­men­hang zu prüfen. Ent­ge­gen der nach wie vor ver­bre­it­eten Auf­fas­sung, daß Hitler gar keine kon­sis­tente Weltan­schau­ung besaß oder sich nach Belieben im sozial­is­tis­chen bzw. nation­al­is­tis­chen Reper­toire bedi­ente, kon­nte Zitel­mann plau­si­bel machen, daß Hitler, von eini­gen Prämis­sen aus­ge­hend, zu ein­er rel­a­tiv geschlosse­nen Ide­olo­gie gelangte, die zwar nicht philosophis­chen Ansprüchen genügte, aber doch leis­tete, was sie als Ori­en­tierung­shil­fe und als Inte­gra­tions­mit­tel leis­ten sollte.

Im Zen­trum standen dabei wed­er Anti­semitismus noch Rassen­haß, son­dern eine spez­i­fis­che Idee von »Nation­al­sozial­is­mus«, ver­standen als Möglichkeit, eine Mas­sen­ge­sellschaft zu formieren und kriegs­fähig zu machen, d. h. tauglich für die von Hitler erwarteten Kämpfe um Großräume und Ein­flußsphären im Welt­maßstab. Mocht­en solche Pläne an Vor­gaben der poli­tis­chen Recht­en des Kaiser­re­ichs wie der Weimar­er Zeit erin­nern, so ver­band Hitler seinen Affekt gegenüber der Feigheit des Bürg­er­tums doch ein­deutig mit der Linken. Zitel­mann stellte hier vornehm­lich die Erfahrun­gen während der Münch­en­er Räte­herrschaft und des Auf­stiegs der USPD nach der Novem­ber­rev­o­lu­tion in den Mit­telpunkt. Die »nationale Rev­o­lu­tion«, die Hitler anstrebte, war insofern nicht nur eine Gegen-Rev­o­lu­tion, son­dern eine Rev­o­lu­tion eigen­er Art, eine Form gewalt­samer Dynamisierung, Diszi­plin­ierung und Mil­i­tarisierung des Volk­skör­pers.

Zitel­mann hat zur Erk­lärung seines Ansatzes auch darauf hingewiesen, daß er selb­st eine linke Ver­gan­gen­heit besaß und insofern ein Sen­so­ri­um für rev­o­lu­tionäre Konzepte. Die Wirkung­seines Buch­es erk­lärt sich aber vor allem daraus, daß es nicht nur als Angriff auf etablierte Deu­tungsmuster galt, son­dern auch mit dem Tabu brach, das im Hin­blick auf jede ern­sthafte Auseinan­der­set­zung mit Hitlers Weltan­schau­ung als Weltan­schau­ung bestand. Das wiederum erschien manchen schon als Reha­bil­i­tierung – ein Miß­trauen, das sich bestäti­gen mußte, nach­dem Zitel­mann offen seine Sym­pa­thien für eine »Neue Demokratis­che Rechte« bekun­dete. Solche Deu­tun­gen enthal­ten allerd­ings einen Kurz­schluß, verken­nen jeden­falls den – pos­i­tivis­tis­chen – Geist, den die wis­senschaftlichen Arbeit­en Zitel­manns immer atmeten.

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Zitat:

Dieser radikale Anti-Kon­ser­vatismus, der Beste­hen­des nicht anerkan­nte, wenn es in Wider­spruch zu seinen wirk­lichen oder ver­meintlichen Erken­nt­nis­sen stand – an deren absoluter Richtigkeit er nie zweifelte -, ver­lieh sein­er Weltan­schau­ung den rev­o­lu­tionären Charak­ter und eine Eigen­ständigkeit, die sie son­st nie gehabt hätte. Denn an sich waren Hitlers Ansicht­en wed­er außergewöhn­lich noch orig­inell.

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Aus­gabe:

  • 4., erweit­erte Auflage, München: Her­big 1997