Rainer Zitelmann, geboren am 14. Juni 1957 in Frankfurt am Main, war die zentrale Figur der intellektuellen Rechten in den neunziger Jahren. Wie viele, die damals neue Impulse in das mehr oder weniger erstarrte Lager brachten, kam auch er ursprünglich von der Linken. Anfangs fiel nur Zitelmanns deutlich vom Mainstream abweichende Interpretation des Nationalsozialismus – in seiner Dissertation Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs (1987) – und die Parteinahme für die Wiedervereinigung auf. Seine Sympathie für den Nationalneutralismus war vorsichtig, aber deutlich genug. Die Vorsicht erklärte sich daraus, daß Zitelmann bis zur Wiedervereinigung plante, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, und auch schon mit Vorarbeiten für eine Habilitation begonnen hatte.
Diesen Plan gab er erst im Frühjahr 1992 endgültig auf, als er eine Stelle als Cheflektor des Ullstein-Verlags antrat. Dieses einflußreiche Haus war bis dahin nicht durch eine prononciert »rechte« oder konservative Linie hervorgetreten, was sich unter der Ägide Zitelmanns änderte, der mit dem Rückhalt des an Ullstein beteiligten Münchener Verlegers Herbert Fleissner (Langen-Müller
Herbig) agieren konnte. Mit einer ganzen Reihe von Titeln – Monographien wie Sammelbänden – versuchte Zitelmann bei Ullstein ein neuartiges Programm zu gestalten, ausgerichtet auf einen moderaten Revisionismus in der Zeitgeschichtsforschung, Stärkung des deutschen Nationalbewußtseins und des politischen Realismus. In der Serie »Ullstein Report« sollte außerdem auf tagesaktuelle Themen Bezug genommen werden, wobei der Versuch eine große Rolle spielte, eine öffentliche Debatte über die notwendige Bewältigung der DDR-Vergangenheit zu erzwingen. Was dem Ganzen aber erst seine Wirkung verlieh, war Zitelmanns Neigung zum gezielten Regelverstoß, seine Fähigkeit, die Linke regelmäßig und gekonnt zu provozieren. Sein Plan, die »Ideen von ’89« gegen die »Ideen von ’68« durchzusetzen, scheiterte allerdings an Widerständen im Verlag und der Feigheit des bundesrepublikanischen Bürgertums. Den »Normalisierungsnationalisten« (Peter Glotz) um Zitelmann fehlte letztlich der nötige Rückhalt, aber auch die für ein so ehrgeiziges Projekt notwendige Geschlossenheit der eigenen Gruppe.
Das Spektrum der von Zitelmann so genannten »Neuen Demokratischen Rechten« reichte von Helmut-Schmidt-Sozialdemokraten über Nationalliberale bis zu ausgesprochenen Konservativen. Sein Versuch, ihr mit seinem Buch Wohin treibt unsere Republik? (1994) doch noch ein Programm zu geben, kam zu spät. Zitelmann, der schon 1993 Ullstein verlassen hatte, um als Leiter des Ressorts »Geistige Welt« in die Redaktion der Welt einzutreten, sah sich zunehmend isoliert. Die gegen ihn und seine Mitstreiter gerichteten Kampagnen erreichten ihren Höhepunkt bei der Unterschriftenaktion »Gegen das Vergessen«, die Zitelmann anläßlich des 50. Jahrestags des Kriegsendes initiiert hatte. Ignatz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, konnte sogar unwidersprochen äußern, es handele sich bei den Unterzeichnern des Aufrufs auch um »Ewiggestrige, die am liebsten alles, was zwischen ’33 und ’45 passiert ist, fortsetzen würden – vielleicht in einer gemäßigteren Form, ohne gleich Völkermord zu betreiben«. Nach diesem Rückschlag zog sich Zitelmann 1995 aus dem politischen Feld vollständig zurück und begann – mit großem Erfolg – eine Karriere in der Privatwirtschaft.
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Schriften:
- Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs. Hamburg 1987 [2., überarbeitete und ergänzte Aufl.: Stuttgart 1989, weitere Auflagen und Übersetzungen ins Englische, Italienische, Tschechische]
- Adolf Hitler. Eine politische Biographie, Göttingen 1989
- [als Hrsg. mit Uwe Backes und Eckhard Jesse:] Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1990
- Adenauers Gegner. Streiter für die Einheit, Erlangen 1991
- [als Hrsg. mit Michael Prinz:] Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991
- [als Hrsg. mit Karlheinz Weißmann und Michael Großheim:] Westbindung. Chancen und Risiken für Deutschland, Berlin 1993
- Wohin treibt unsere Republik? Frankfurt a. M./Berlin 1994
- [als Hrsg. mit Klemens von Klemperer und Enrico Syring:] »Für Deutschland«. Die Männer des 20. Juli 1944, Frankfurt a. M./Berlin 1996
- [als Hrsg. mit Ronald Smelser und Enrico Syring:] Die braune Elite. 22 biographische Skizzen, 2 Bde., Darmstadt 1999