Jahre der Entscheidung — Oswald Spengler, 1933

Spen­glers let­zte Veröf­fentlichung ist vielle­icht zugle­ich seine wichtig­ste. Denn in ihr zieht er Lage­bi­lanz und bringt noch ein­mal alle seine kul­tur­poli­tis­chen The­sen präg­nant zur Sprache. Der Text liest sich wie ein Man­i­fest des prag­ma­tis­chen Aris­tokratismus, worin – neben den wirtschaft­spoli­tis­chen Analy­sen – gle­ich­sam sein pikan­ter Reiz beste­ht.

Das Buch ist aus dem Vor­trag »Deutsch­land in Gefahr« her­vorge­gan­gen, den Spen­gler 1930 vor der Patri­o­tis­chen Gesellschaft in Ham­burg hielt. Unmit­tel­bar nach der Machtüber­nahme durch die Nation­al­sozial­is­ten ließ Spen­gler den Text druck­en, um ein­er eventuellen Zen­sur zuvorzukom­men. Den Titel tauschte er gegen einen eben­so eingängi­gen aber weniger mißver­ständlichen, wie er als kleine Rev­erenz an die neuen Machthaber in der Ein­leitung betont, denn nicht die »nationale Machter­grei­fung« ist eine Gefahr für Deutsch­land, son­dern die glob­ale Entwick­lung. Dadurch lenk­te er das Augen­merk von sein­er kaum ver­hohle­nen Kri­tik an der NSDAP auf die inter­na­tionalen Bedro­hun­gen für Deutsch­land.

Statt den Tri­umph des »nationalen Umsturzes« in blin­dem Rausch zu feiern, meldet er Bedenken an, mah­nt zur Nüchtern­heit: »Richtige Gedanken wer­den von Fanatik­ern bis zur Selb­staufhe­bung über­steigert. Was als Anfang Großes ver­sprach, endet in Tragödie oder Komödie.« Er fordert stren­gen Tat­sachensinn von der Poli­tik und einen Weit­blick für das, »was rings umher auf dem Erd­ball vor sich geht.« Denn »Deutsch­land ist keine Insel.« Und: »Der Verzicht auf Welt­poli­tik schützt nicht vor ihren Fol­gen.«

Er umreißt den poli­tis­chen Hor­i­zont sein­er Zeit, beleuchtet die ver­schiede­nen Kräfte, die seit dem 18. Jahrhun­dert in Europa miteinan­der im Kampf um die Hege­monie ste­hen, und stellt dabei vor allem die »vornehmen« und »gemeinen« einan­der gegenüber. Im Wahn von der »all­ge­meinen Gle­ich­heit« hat der massendemokratis­che Neid sein Mit­tel gefun­den, mit dem er alles, was nicht jedem zugänglich ist und sich abhebt, hin­un­terziehen will. Dieser Klassenkampf, der in der »weißen Welt« tobt und die alte Ran­gord­nung zwis­chen den Men­schen zer­stört, führt unweiger­lich zu immer mehr »Rev­o­lu­tio­nen von unten«, wodurch Europas Dom­i­nanz in der Welt schwindet und der gesamte West­en langfristig zum Bittsteller der »far­bigen« Völk­er wird. Hinzu kommt die »Unfrucht­barkeit« aus Instink­tver­lust der »weißen« Völk­er, die den Auf­stieg der »far­bigen« noch zusät­zlich fördert. »Die weißen Her­ren­völk­er sind von ihrem ein­sti­gen Rang abgestiegen. Sie ver­han­deln heute, wo sie gestern befahlen, und wer­den mor­gen schme­icheln müssen, um ver­han­deln zu dür­fen.« Dieser »Selb­st­mord der weißen Rasse« wird als haus­gemacht dargestellt, nicht zulet­zt durch die Ethik in der Medi­zin, die den »Far­bigen« nützt, den »Weißen« aber eher schadet, indem sie deren Über­al­terung fördert: »Sie ver­längert jedes Leben, ob es lebenswert ist oder nicht. Sie ver­längert sog­ar den Tod. Sie erset­zt die Zahl der Kinder durch die Zahl der Greise.«

Spen­gler sieht die »Far­bigen« bere­its in Lohnkonkur­renz treten, wodurch die Arbeit der Weißen auf dem glob­alen Markt zunehmend unbezahlbar wird. Deshalb geht er mit dem Anspruchs­denken der Arbeit­er­be­we­gung scharf ins Gericht. »Die Arbeit­slosigkeit ste­ht über­all genau im Ver­hält­nis zur Höhe der poli­tis­chen Tar­i­flöhne.« Er fordert anstelle des pop­ulären marx­is­tis­chen Sozial­is­mus einen »preußis­chen«, dem das Ethos der Tüchti­gen zugrunde liegt und nicht der Sozial­neid und das Absicherungs­denken der bloß Berech­nen­den. Denn der marx­is­tis­che Sozial­is­mus ist für Spen­gler nichts als »der Kap­i­tal­is­mus der Unterk­lasse«. Die »preußis­che Idee« richtet sowohl »gegen den Finan­zlib­er­al­is­mus wie gegen den Arbeit­er­sozial­is­mus«. Wer den Sozial­is­mus nicht als »sit­tliche Lebens­form« begreift, son­dern als »Massenide­olo­gie mit mate­ri­al­is­tis­chen Zie­len«, bringt diesen gle­ich­sam um seinen Wert.

Das Buch war ein enormer Erfolg. Die Verkauf­szahlen über­trafen sog­ar die von Der Unter­gang des Abend­lan­des. Man las den Text als eine der let­zten offen aus­ge­sproch­enen Kri­tiken an der Staatspartei, als eigen­willig-scharf­sin­nige Analyse des kom­menden Wirtschaft­szeital­ters, oder als Aufruf an die freie »weiße« Welt, die nöti­gen Schritte einzuleit­en, um dem eige­nen Machtver­lust wirkungsvoll ent­ge­gen­zutreten. Viele der kul­tur­poli­tis­chen Symp­tome, die Spen­gler anspricht, sind heute erst voll aus­gereift, was – natür­lich mit gewis­sen Abstrichen – dem Buch höch­ste Aktu­al­ität ver­lei­ht.

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Zitat:

Wir sind in das Zeital­ter der Weltkriege einge­treten. Es begin­nt im 19. Jahrhun­dert und wird das gegen­wär­tige, wahrschein­lich auch das näch­ste über­dauern. Es bedeutet den Über­gang von der Staaten­welt des 18. Jahrhun­derts zum Imperi­um mun­di.

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Aus­gabe:

  • Mit ein­er Ein­führung von Frank Lis­son, Graz: Ares 2007

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Lit­er­atur:

  • Anton Mirko Kok­tanek: Oswald Spen­gler in sein­er Zeit, München 1968