Konkretion

Konkre­tion bildet im kon­ser­v­a­tiv­en Denken einen deut­lichen Gegen­satz zu Abstrak­tion. Das hängt schon mit dem Vorzug zusam­men, der dem Gegebe­nen eingeräumt wird, das anders als das Ent­wor­fene, das Nur-Gedachte, eben die Konkretheit, die Faßbarkeit für sich hat. In diesen Kon­text gehört die kon­ser­v­a­tive Beru­fung auf Erfahrung, gesun­den Men­schen­ver­stand und Tra­di­tion gegen die linke Nei­gung zu Kon­struk­tion, Ratio­nal­is­mus und Utopie. Der Kon­ser­v­a­tive ist opti­mistis­ch­er, was das Weltver­ständ­nis ange­ht als der Linke, aber er glaubt nicht, daß die Welt ganz zu begreifen ist, was wiederum der Linke für möglich hält. Deshalb neigt der Kon­ser­v­a­tive dazu, sich an das zu hal­ten, was er hat, während der Linke dem »Prinzip Hoff­nung« (Ernst Bloch) anhängt.

Die Ori­en­tierung am Konkreten erk­lärt den phänom­e­nol­o­gis­chen Zug des kon­ser­v­a­tiv­en Denkens, die Sen­si­bil­ität für die Wirk­lichkeit dessen, was nicht ableit­bar ist, für Stim­mung und Atmo­sphäre, hier wurzelt das Inter­esse an Bun­theit und Ver­schieden­heit und es erk­lärt sich aus diesem Zusam­men­hang die Bedeu­tung, die Kon­ser­v­a­tive für Wis­senschaften wie His­to­ri­ogra­phie und Geo­gra­phie, die Ger­man­is­tik und über­haupt die Sprach­forschung, die Reli­gions-, Volks- und Völk­erkunde hat­ten, während sie in Philoso­phie und Sozi­olo­gie eher zurück­trat­en. Auch die Aufmerk­samkeit des Kon­ser­v­a­tiv­en für die Geschichte hat mit der Lei­den­schaft für das Konkrete zu tun: das Auftreten von unver­wech­sel­baren Indi­viduen, Völk­ern, Reichen in schick­sal­haften, also ein­ma­li­gen und das heißt beson­deren Sit­u­a­tio­nen. Dementsprechend for­mulierte schon Hein­rich Leo die Grun­dan­nahme sein­er »nom­i­nal­is­tis­chen« Anschau­ung mit den Worten: »… ich kenne kein abstractes Zer­rbild eines Con­ser­vatismus im All­ge­meinen, son­dern über­all nur die Auf­gabe, das gottgegebene, wirk­liche Leben in sein­er auf ver­schieden­ste Weise aus inneren Kräften her­vorströ­menden Entwick­lung in angemessen­er, das heißt auch ver­schieden­ster Weise zu schützen.«

Die Bun­theit der Welt läßt den Kon­ser­v­a­tiv­en nicht rat­los zurück, son­dern weckt seinen »Vielfaltsinn« (Odo Mar­quard) und den Wider­willen gegenüber schema­tis­chen Ver­fahren und schreck­lichen Vere­in­fachun­gen. Dabei ist aber zu beacht­en, daß die Ent­ge­genset­zung von Abstrak­tion und Konkre­tion nicht bis zum let­zten durch­führbar ist. Ein streng angewen­de­ter »Nom­i­nal­is­mus« würde alles in unver­bun­dene Einzel­heit­en zer­fall­en lassen.

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Zitat:

Ich habe das Bedürf­nis, die ganze Man­nig­faltigkeit der Welt zu lieben und zu leben und alle ihre ange­blichen Wider­sprüche, weil sie der Gegen­stand ein­er Dich­tung sind, die entkräftet ster­ben würde, in ein­er Welt, wo nur das Wahre und Gerechte herrschen, wie wir vor Durst ster­ben wür­den, wenn wir nur chemisch reines Wass­er trinken wür­den.
Hen­ry de Mon­ther­lant

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Lit­er­atur:

  • Hein­rich Leo: Nom­i­nal­is­tis­che Gedanken­späne. Reden und Auf­sätze, Halle 1864.
  • Odo Mar­quard: Abschied vom Prinzip­iellen, Stuttgart 1981.
  • Armin Mohler: Wider die All-Gemein­heit­en, sinus edi­tion d, Bd 1, Krefeld 1981.
  • Armin Mohler: Die Nom­i­nal­is­tis­che Wende – Ein Cre­do [1978], zulet­zt in Armin Mohler: Der Streifzug. Blicke auf Bilder, Büch­er und Men­schen, AM, Bd II, Dres­den 2001, S. 167–195.