Mises, Ludwig Heinrich Edler von, Nationalökonom, 1881–1973

Mis­es hat die the­o­retis­che Nation­alökonomie von Grund auf reformiert und sie zum Kern­stück ein­er all­ge­meinen The­o­rie poli­tis­ch­er Sys­teme gemacht.

Mis­es stammte aus ein­er jüdis­chen Kauf­manns­fam­i­lie. Das Eltern­haus war gemäßigt religiös und poli­tisch lib­er­al, patri­o­tisch, hab­s­burgfre­undlich und kul­turell kos­mopoli­tisch.  Sein jün­ger­er Brud­er Richard war ein bekan­nter Math­e­matik­er, der später in Berlin und Har­vard lehrte. Lud­wig, geboren am 29. Sep­tem­ber 1881 in Lem­berg, besuchte das Akademis­che Gym­na­si­um in Wien und inter­essierte sich früh für Geschichte und Poli­tik. Nach der Matu­ra begann er das Studi­um an der Rechts- und Staatswis­senschaftlichen Fakultät der Wiener Uni­ver­sität. Unter den Fit­tichen von Carl Grün­berg (dem späteren Grün­der des neo-marx­is­tis­chen Insti­tuts für Sozial­forschung in Frank­furt am Main) entwick­elte er sich zunächst zu einem eifrigen Jünger der damals mod­er­nen „His­torischen Schule“ und glaubte an die Ers­prießlichkeit staatlich­er Inter­ven­tio­nen.

Kurz vor Wei­h­nacht­en 1903 begann eine wis­senschaftliche und poli­tis­che Neubesin­nung, als er die Grund­sätze der Volk­swirtschaft­slehre von Carl Menger studierte. Mis­es erkan­nte nun die große Bedeu­tung der ökonomis­chen The­o­rie für die his­torische Forschung und die poli­tis­che Prax­is. Statt weit­er die Archive zu durch­forsten, begann er die Lek­türe der klas­sis­chen Nation­alökonomen. Es war der Beginn des lan­gen Weges, auf dem sich der junge His­tor­izist und Etatist zu einem lei­den­schaftlichen Geg­n­er des allmächti­gen Staates wan­delte.

Seine geldthe­o­retis­che Habil­i­ta­tion­ss­chrift von 1912 war ein wichtiger Meilen­stein auf diesem Weg. Mis­es erläutert hier die Vorteile der Gold­währung und ihre Rolle als demokratis­ches Boll­w­erk gegen die Ver­suchung des Staates, seine Bürg­er auszu­plün­dern. Er entwick­elt hier auch seine berühmte Kon­junk­tur­the­o­rie, die die Krisen der kap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft auf die Infla­tion der Geld­menge durch den durch den Staat priv­i­legierten Banke­nap­pa­rat zurück­führt. Die angemessene Lösung des Prob­lems der Wirtschaft­skrisen sah er in der Abschaf­fung dieser Priv­i­legien und in der Wieder­her­stel­lung völ­liger Frei­heit in der Bankwirtschaft.

Im Ersten Weltkrieg kämpfte Mis­es fast zwei Jahre als Artillerie­of­fizier an der „Nord­front“ gegen die Russen. Die übrige Zeit diente er in ver­schiede­nen Wiener Stäben. Dort erlebte er den Schla­mas­sel der Zen­tralplan­wirtschaft, die im etatis­tis­chen Geiste der Zeit einge­führt wurde, um die Wehrbere­itschaft zu stärken. Noch während des Krieges machte er sich daran, den „Kriegssozial­is­mus“ ökonomisch zu sezieren. In seinem Werk Staat, Nation und Wirtschaft (1919) bewies er, daß die freie Konkur­renz ger­ade im Krieg uner­läßlich sei. Jede plan­wirtschaftliche Inef­fizienz mußte sich an der Front rächen.

Ein paar Monate später gelang ihm sein wohl größter wis­senschaftlich­er Coup. In einem Auf­satz über „Die Wirtschaft­srech­nung im sozial­is­tis­chen Gemein­we­sen“ (1920) griff er die Sozial­is­ten und Zen­tralplan­er von ein­er völ­lig uner­warteten Seite an. Eine ratio­nale Wirtschaft­slenkung, so führte er aus, bedarf eines Kri­teri­ums, anhand dessen sie die Investi­tion­salter­na­tiv­en miteinan­der ver­gle­ichen kann. In der Mark­twirtschaft wird dieses Prob­lem durch eine in Geld­preisen geführte Rentabil­ität­srech­nung gelöst wird. Aber im Sozial­is­mus ist das nicht möglich. Mark­t­preise set­zen näm­lich voraus, daß es zumin­d­est zwei Eigen­tümer gibt, während der Sozial­is­mus sich doch ger­ade dadurch ausze­ich­net, daß die Pro­duk­tion­s­mit­tel nur einen Eigen­tümer haben kön­nen, näm­lich das Kollek­tiv. Wenn es aber zur Bil­dung von Mark­t­preisen für Pro­duk­tion­s­mit­tel nicht kom­men kann, dann kön­nen auch keine Rentabil­itäten berech­net wer­den. Die physisch het­ero­ge­nen Investi­tion­salter­na­tiv­en kön­nen wirtschaftlich nicht miteinan­der ver­glichen wer­den, und eine ratio­nale Wirtschafts­führung ist nicht möglich. Die Verge­sellschaf­tung der Pro­duk­tion­s­mit­tel nimmt somit der Gesellschaft das einzige bekan­nte Mit­tel der ratio­nalen Wirtschafts­führung. Sie über­windet nicht die ver­meintliche „Anar­chie des Mark­tes“, son­dern begrün­det eine tat­säch­liche Anar­chie („geplantes Chaos“) der poli­tis­chen Willkür.

Wenig später veröf­fentlichte Mis­es Die Gemein­wirtschaft (1922), eine Abhand­lung, in der er alle Spielarten des Sozial­is­mus sys­tem­a­tisch zerpflück­te und auch eine neue Begrün­dung der auf Pri­vateigen­tum und Demokratie gegrün­de­ten lib­eralen Gesellschaft vorstellte. Seine Dar­legun­gen hat­ten großen Ein­fluß auf eine ganze Gen­er­a­tion junger Intellek­tueller, die zuvor mit dem Sozial­is­mus geliebäugelt hat­ten. Friedrich August von Hayek, Wil­helm Röp­ke, Lionel Rob­bins und Eric Voegelin – um nur einige der bekan­nteren Köpfe zu nen­nen – began­nen nun, sich für den Lib­er­al­is­mus zu inter­essieren.

In den Zwis­chenkriegs­jahren war Mis­es eine unbe­strit­tene Autorität auf dem Gebi­et der Geld- und Währungspoli­tik. Sein­er Überzeu­gungsar­beit war es u.a. zu ver­danken, daß Öster­re­ich im Jahre 1922 der Zusam­men­bruch der Währung erspart blieb. Im Früh­jahr 1934 bekam er eine Pro­fes­sur an der Hochschule des Völker­bun­des in Genf ange­boten bekam. Dort blieb er bis 1940 und arbeit­ete an seinem Hauptwerk, Nation­alökonomie (1940), das neun Jahre später in ein­er erweit­erten amerikanis­chen Aus­gabe – Human Action (1949) – erschien. 1940 faßte er den Entschluß, in die USA zu emi­gri­eren, wo er im August 1940 ankam.

Im Herb­st 1945 erhielt Mis­es, der im Gegen­satz zur herrschen­den Mei­n­ung stand, lediglich eine pri­vat finanzierte Gast­pro­fes­sur an der New York Uni­ver­si­ty, deren „Gast“ er dann während der näch­sten 24 Jahre bleiben sollte. In seinem Sem­i­nar zog er eine Gen­er­a­tion von Intellek­tuellen her­an, die seine Ideen bis in die Gegen­wart getra­gen haben, darunter Hans Sennholz, Mur­ray Roth­bard, Ralph Raico und George Reis­man. Sie ste­hen für einen frischen, radikalen und intellek­tuellen Lib­er­al­is­mus, der sich deut­lich vom Neolib­er­al­is­mus abhebt, wie er etwa in den Schriften Hayeks und Mil­ton Fried­mans vertreten wird.

Der wach­sende geistige Ein­fluß von Mis­es in unseren Tagen beruht auf der bere­its erwäh­n­ten Schrift Human Action. Dieses 900-seit­ige Werk ist mit gutem Recht als das pro-kap­i­tal­is­tis­che Gegen­stück zu Marx­ens Kap­i­tal gefeiert wor­den. Mis­es analysiert hier die Funk­tion­sweise der auf Pri­vateigen­tum, Arbeit­steilung und Geldge­brauch beruhen­den kap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft. Er zeigt, wie diese Wirtschaft let­ztlich von den Kon­sumenten gelenkt wird – die Unternehmer sind nur die „Steuer­män­ner“, die den Befehlen der Konsumenten-„Kapitäne“ gehorchen. Der Staat hat die Rolle eines Sicher­heit­spro­duzen­ten, d.h. er sorgt für die all­seit­ige Beach­tung der Eigen­tum­srechte. Mis­es weist nach, daß jede darüber hin­aus­ge­hende Staat­stätigkeit kon­trapro­duk­tiv ist. Wirtschaft­spoli­tik min­dert die Effizienz der Pro­duk­tion und somit die Güter­ver­sorgung der Bürg­er. Den aller­größten Schaden verur­sachen die heuti­gen Papier­währun­gen, für die es keine ökonomis­che Berech­ti­gung gibt und die auch poli­tisch völ­lig unakzept­abel sind, zumin­d­est aus frei­heitlich­er Per­spek­tive.

Der große Apolo­get des Kap­i­tal­is­mus starb am 10. Okto­ber 1973 in der Haupt­stadt der Weltwirtschaft. Weltliche Güter hin­ter­ließ er nicht. Seine Frau mußte die Bib­lio­thek und die Kor­re­spon­denz veräußern, um über die Run­den zu kom­men. Aber Lud­wig von Mis­es hin­ter­ließ ein gewaltiges geistiges Erbe, von dem die freie Welt noch lange zehren wird und das fast vierzig Jahre nach seinem Tod eine große Zahl junger Forsch­er inspiri­ert.

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Zitat:

Das Pro­gramm des Lib­er­al­is­mus hätte also, in ein einziges Wort zusam­menge­faßt, zu laut­en: Eigen­tum, das heißt: Son­dereigen­tum an den Pro­duk­tion­s­mit­teln (denn für die genußfer­ti­gen Güter ist das Son­dereigen­tum eine selb­stver­ständliche Sache und wird auch von den Sozial­is­ten und Kom­mu­nis­ten nicht bestrit­ten). Alle anderen Forderun­gen des Lib­er­al­is­mus ergeben sich aus dieser Grund­forderung.

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Schriften:

  • The­o­rie des Geldes und der Umlauf­s­mit­tel, München ²1924
  • Staat, Nation, Wirtschaft, Wien 1919
  • Die Gemein­wirtschaft, Jena 1922
  • Lib­er­al­is­mus, Jena 1927
  • Kri­tik des Inter­ven­tion­is­mus, Jena 1929
  • Nation­alökonomie, Genf 1940
  • Die Bürokratie, Sankt Augustin 1997 (engl. 1944)
  • Human Action, New Haven 1949
  • The­o­ry and His­to­ry, New Haven 1957
  • The Ulti­mate Foun­da­tion of Eco­nom­ic Sci­ence, Prince­ton 1962
  • Vom Wert der besseren Ideen, München 2008

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Lit­er­atur:

  • Roland Baad­er: Logik der Frei­heit. Ein Lud­wig-von-Mis­es-Bre­vi­er, Thun 2000
  • Jörg Gui­do Hüls­mann: Mis­es. The Last Knight of Lib­er­al­ism, Auburn 2007