Creveld, Martin van, Militärhistoriker, geboren 1946

Der israelis­che, in Rot­ter­dam am 5. März 1946 geborene Mil­itärhis­torik­er und ‑the­o­retik­er erwies sich durchge­hend als unbe­que­mer Quer­denker, Freigeist und kri­tis­ch­er Real­ist. Während seine erfol­gre­ich­sten Werke mil­itärhis­torischen und strate­gis­chen The­men gewid­met sind, äußerte er sich oft kon­tro­vers zu anderen The­men, wie z. B. Migra­tion und deren Fol­gen, Geschlechter­rollen und Fem­i­nis­mus, Staat­sz­er­fall oder Mei­n­ungs­frei­heit. Van Crev­eld wirkt ide­ol­o­gisch unge­bun­den, stellt das Objek­tive rück­sicht­s­los in den Vorder­grund und pflegt dabei einen sehr direk­ten, polar­isieren­den Kom­mu­nika­tion­sstil. Dies reduziert seine Beliebtheit und gle­ichzeit­ig den Kreis der Zuhör­er, woraufhin er aus poli­tis­chen Erwä­gun­gen her­aus in manchen Ein­rich­tun­gen zur per­sona non gra­ta erk­lärt wurde.

Sein Pub­likum beste­ht über­wiegend aus sicher­heit­spoli­tisch und mil­itärhis­torisch Inter­essierten. Weil seine Veröf­fentlichun­gen häu­fig die Quin­tes­senz von Krieg beleucht­en, nimmt er eine Aus­nahmestel­lung ein, die inter­na­tion­al wahrgenom­men wird. Er scheut sich nicht, die Funk­tion und Entwick­lung von Krieg nüchtern zu schildern und Schluß­fol­gerun­gen zu ziehen, die dem Zeit­geist wider­sprechen. 1982 erschien sein Ver­gle­ich zwis­chen dem US-Mil­itär und der Wehrma­cht, Kampfkraft (Fight­ing Pow­er), auf englisch, 1989 auf deutsch (mehrere Aufla­gen). Trotz sein­er darin enthal­te­nen Schluß­fol­gerung, daß die Wehrma­cht ein vor­bildlich­er Mil­itärap­pa­rat war, betont er den­noch in späteren Veröf­fentlichun­gen deren indi­rek­te moralis­che Mitver­ant­wor­tung für die Ver­brechen des Nation­al­sozial­is­mus. Ohne die latente Unter­stützung durch die Wehrma­cht wären diese, aus Sicht van Crev­elds, nicht möglich gewe­sen.

Berühmt wurde der Autor 1991 durch das Buch Die Zukun­ft des Krieges (The Trans­for­ma­tion of War­fare), das erst 1998 in deutsch­er Sprache erschien. Zu diesem Zeit­punkt galt es schon lange als Stan­dard­w­erk in jed­er englis­chsprachi­gen Mil­itärakademie bzw. Uni­ver­sität der Welt. Inhaltlich erfaßt es die Verän­derun­gen der Kriegführung nach dem Ende des Kalten Krieges und prog­nos­tiziert eine weitaus kom­plexere und unberechen­bare Epoche. Nicht­staatliche und unkon­ven­tionelle Kriegs­for­men wer­den dargestellt und die Verän­derun­gen in der Art der Kriegführung erk­lärt. Ein weniger beachtetes Werk van Crev­elds ist Auf­stieg und Unter­gang des Staates (1999, bere­its im sel­ben Jahr in deutsch­er Über­set­zung), in dem er einen umfassenden Überblick über die Entste­hung des Staatswe­sens bietet und zeigt, daß dessen Rolle sich seit Ende des Kalten Krieges ras­ant wan­delte. Er prog­nos­tiziert eine weit­ere Schwächung staatlich­er Macht und die gle­ichzeit­ige Stärkung nicht­staatlich­er Akteure.

Die vehe­mente Ablehnung von Fem­i­nis­ten und des linken Milieus über­haupt erfuhr er durch seine Werke Frauen und Krieg (2001) und Das bevorzugte Geschlecht (2003). Darin posi­tion­iert er sich offen gegen die  Emanzi­pa­tion­s­mythen der ver­gan­genen Jahrzehnte und bietet erhe­bliche Beweise gegen die gesellschaftlich weitver­bre­it­ete Annahme, daß Frauen im Grunde über alle männlichen Fähigkeit­en ver­fügten und lediglich durch eine gesellschaftliche Bevorzu­gung Let­zt­ge­nan­nter am Auf­stieg gehin­dert wür­den. Seine Kri­tik­er monieren zwar sein »mit­te­lal­ter­lich­es Frauen­bild«, bevorzu­gen es jedoch, sich der Sachde­bat­te zu entziehen, indem sie die fak­tis­che Grund­lage sein­er The­sen nicht anfecht­en.

In Kriegs-Kul­tur (The Cul­ture of War, 2008) schildert van Crev­eld die verän­derte Rolle des Krieges und dessen wech­sel­seit­ige Beziehun­gen zu anderen gesellschaftlichen Fak­toren, wie u. a. den Fol­gen der Paz­i­fizierung in west­lichen Staat­en. Was andere Autoren als »pos­therois­che« Ver­hal­tens­muster beze­ich­nen und loben, zeigt van Crev­eld als poten­tiell zer­störerische Nei­gun­gen
und Aus­druck mil­itärisch­er Impotenz.

Kon­nten »Krieger« in der Ver­gan­gen­heit grund­sät­zlich davon aus­ge­hen, daß sie für ihren Ein­satz mit außergewöhn­lichem Sozial­pres­tige bzw. Anerken­nung belohnt wür­den, neigen mod­erne Gesellschaften dazu, ihnen diese Anerken­nung zu ver­weigern. Mil­itärische Rit­uale, Sym­bole, Zer­e­monien, Lit­er­atur, Tra­di­tio­nen und Musik sind ver­pönt oder sus­pekt, wer­den besten­falls belächelt,  schlimm­sten­falls bekämpft. Van Crev­eld weist darauf hin, daß ein Mil­itär ohne eine »Kul­tur des Krieges« nicht nur mit der Nieder­lage, son­dern mit der Auflö­sung kon­fron­tiert sein wird.

Ins­ge­samt sprechen van Crev­elds Werke die Real­is­ten an und erzeu­gen bei Ide­al­is­ten Unbe­ha­gen. Die Kri­tik an seinen Aus­sagen wirkt oft wütend. Doch sein Fokus auf die Wirk­lichkeit, die Welt und den Men­schen und darauf, wie sie waren und sind, sowie die reiche empirische Grund­lage sein­er Werke lassen die Gege­nar­gu­mente ver­gle­ich­sweise blaß erscheinen.

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Zitat

Macht geht immer noch aus Gewehrläufen her­vor, in Anbe­tra­cht dieser Tat­sache klin­gen alle Berichte über den unmit­tel­bar bevorste­hen­den Nieder­gang des männlichen Geschlechts maß­los über­trieben.

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Schriften:

  • Kampfkraft. Mil­itärische Organ­i­sa­tion und mil­itärische Leis­tung 1939–1945, Freiburg i. Br. 1989 (zulet­zt 2005)
  • Die Zukun­ft des Krieges, München 1998
  • Auf­stieg und Unter­gang des Staates, München 1999
  • Frauen und Krieg, München 2001
  • Das bevorzugte Geschlecht, München 2003
  • Die Gesichter des Krieges. Der Wan­del bewaffneter Kon­flik­te von 1900 bis heute, München 2009
  • Kriegs-Kul­tur. Warum wir kämpfen: Die tiefen Wurzeln bewaffneter Kon­flik­te, Graz 2011