Mensch und Erde — Ludwig Klages, 1913

Der neben dem poet­isch-philosophis­chen Werk Vom kos­mogo­nis­chen Eros (1922) bekan­nteste Essay des Philosophen und Grapholo­gen Lud­wig Klages erschien erst­mals 1913 als Beitrag zu ein­er Festschrift anläßlich des berühmten Tre­f­fens der Frei­deutschen Jugend auf dem Hohen Meißn­er.

Die in einem lei­den­schaftlichen Ton gehal­tene Schrift begin­nt mit ein­er radikalen Kri­tik des »Fortschritts«, indem sie anhand zahlre­ich­er Beispiele auf die Aus­rot­tung viel­er Tier­arten sowie die Ver­schan­delung und weltweite Niv­el­lierung der Land­schaften infolge ihrer ökonomis­chen Aus­beu­tung hin­weist. Ähn­lich­es wie für die Natur gilt nach Klages für sämtliche For­men ursprünglich­er – tra­di­tion­al ver­ankert­er und region­al dif­feren­ziert­erKul­tur, deren Eige­nart, die jew­eilige Land­schaft ihres Entste­hens zu spiegeln, durch die Aus­bil­dung der mod­er­nen Weltzivil­i­sa­tion zer­stört wird.

Hin­ter dem beklagten Zivil­i­sa­tion­sprozeß, der den Aus­drucks­ge­halt der Erde wie die seel­is­che Empfind­ungs- und Gestal­tungskraft des Men­schen ver­nichtet, erken­nt Klages einen zu Beginn der Men­schheits­geschichte anheben­den meta­ph­ysis­chen Antag­o­nis­mus, den er in seinem Hauptwerk Der Geist als Wider­sach­er der Seele (1929–1932) beschreibt: Die Grund­ten­denz dieses Kon­flik­ts beste­ht in der Erset­zung eines qual­i­ta­tiv­en, zyk­lis­chen und naturge­bun­de­nen Welt­bildes durch ein quan­tifizieren­des, lin­ear aus­gerichtetes Bemäch­ti­gungsstreben, dem der »Ein­bruch« des »außer­raumzeitlichen Geistes« in den Kos­mos zugrunde liegt. His­torisch zeigt sich dieser laut Klages in der Ver­drän­gung des hei­d­nis­chen Poly­the­is­mus durch das Chris­ten­tum, welch­es den mit ein­er reduk­tion­is­tis­chen Wis­senschaft­sauf­fas­sung ein­herge­hen­den Kap­i­tal­is­mus her­vorge­bracht hat.

Klages’€™ Schrift ist ein früh­es und beredtes Zeug­nis anti­mod­ernistis­ch­er Zivil­i­sa­tion­skri­tik und wirk­te stark auf die kon­ser­v­a­tive Strö­mung inner­halb der Umwelt­be­we­gung, die seit den siebziger Jahren poli­tisch durch Her­bert Gruhl und Bal­dur Spring­mann repräsen­tiert wurde. Der promi­nente Tier­filmer und Direk­tor des Frank­furter Zoos, Bern­hard Grz­imek, wid­mete 1980 ein­er Neuaus­gabe von Men­sch und Erde ein Vor­wort, in dem er auf die Auf­bruch­stim­mung und Natursehn­sucht der bündis­chen Jugend hin­wies, der Klages eine Stimme ver­liehen habe.

Philosophisch knüpfte Wal­ter Ben­jamin (Das Kunst­werk im Zeital­ter sein­er tech­nis­chen Repro­duzier­barkeit, 1936) trotz Klages’€™ Anti­ju­dais­mus an dessen Fortschrittskri­tik an, ver­band sie aber mit mes­sian­is­chen Vorstel­lun­gen; Max Schel­er sah in Klages den Hauptvertreter ein­er neuen »pan­ro­man­tis­chen Denkart« (Die Stel­lung des Men­schen im Kos­mos, 1928), die etwa Carl Gus­tav Jung, Theodor Less­ing, Hans Prinzhorn, Edgar Dac­qué und Leo Frobe­nius charak­ter­isiere.

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Zitat:

Aber »die Men­schheit« hat kein Ziel, keine Idee, keinen Plan, so wenig wie die Gat­tung der Schmetter­linge oder Orchideen ein Ziel hat. »Die Men­schheit« ist ein zool­o­gis­ch­er Begriff oder ein leeres Wort.

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Aus­gabe:

  • Wieder­ab­druck, in: Lud­wig Klages: Men­sch und Erde. Gesam­melte Abhand­lun­gen, Stuttgart: Krön­er 1973