Naumburg – Stifterfiguren im Dom: Sachsen-Anhalt

Bis in die 1970er Jahre gehörte zur selb­stver­ständlichen Ausstat­tung eines (west-)deutschen Schulgeschichts­buchs die Darstel­lung der Uta von Naum­burg. Sie trat irgend­wo im Zusam­men­hang von Rit­ter­tum und höfis­ch­er Kul­tur des Mit­te­lal­ters auf. Dabei han­delte es sich um einen jen­er Über­hänge der Nation­alpäd­a­gogik, die erst spät – am Über­gang vom 19. zum 20. Jahrhun­dert – zur Gel­tung kam, aber bis in die Nachkriegszeit ihre Wirkung behielt. Vorher waren die Stifter­fig­uren im Naum­burg­er Dom, zu denen die Uta gehört, kaum zur Ken­nt­nis genom­men wor­den.

Der junge Niet­zsche, der als Pfortenser die Kirche häu­figer besuchte, ver­merk­te nie irgen­det­was über die zwölf gotis­chen, bemal­ten Sand­stein­plas­tiken im Westchor, jen­seits des Let­tners. Es han­delt sich dabei um jew­eils zwei Fig­uren an der Nord- und der Süd­wand, zwei Paare am Ein­gang der Apsis und je eine Skulp­tur an den vier Innen­streben des Chor­raums. Auf­grund ein­er mit­te­lal­ter­lichen Quelle lassen sie sich fol­gen­den Per­so­n­en zuord­nen (ange­fan­gen bei der Fig­ur im Nor­dosten, endend bei der Fig­ur im Südosten): Graf Kon­rad, Gepa oder Adel­heid von Gern­rode, Uta von Bal­len­st­edt mit Ekke­hard II. von Meißen, Thi­mo von Kistriz, Wil­helm von Cam­burg und Brehna, Siz­zo von Kev­ern­burg, Diet­mar, Reglindis mit Her­mann von Meißen (Brud­er des Ekke­hard), Diet­rich von Brehna mit sein­er Frau Ger­burg. Es han­delte sich um Adelige des mit­teldeutschen Raums, die wesentlichen Ein­fluß auf die Errich­tung des Doms genom­men hat­ten, dessen Grund­stein wohl 1029 gelegt wurde.

Beein­druck­end ist nicht nur die Dynamik der Fig­uren, die offen­bar miteinan­der in Beziehung treten, son­dern auch die Lebendigkeit von Gestik und Mimik, die Wesen­szüge der einzel­nen wider­spiegeln soll, vielle­icht sog­ar Hin­weise auf deren Lebenss­chick­sal liefert. Die Fasz­i­na­tion, die dabei vor allem die Uta aus­löst, erk­lärt sich unschw­er aus der Schön­heit ihres Gesichts und ihrer Gestalt, dem Aus­druck von Geheim­nis und Stolz auf ihren Zügen, und der Ele­ganz, mit der sie den Kra­gen ihres Umhangs zu sich zieht.

Lange Zeit hat aber nichts davon Ein­druck auf die Bil­dungsreisenden gemacht, die Naum­burg besucht­en, um den im 11. Jahrhun­dert errichteten Dom St. Peter und Paul zu sehen. Die Sit­u­a­tion verän­derte sich erst mit dem Auf­schwung des Frem­den­verkehrs im mit­teldeutschen Raum und der Entwick­lung der Fotografie. 1921 nahm Wal­ter Hege in Naum­burg seinen Wohn­sitz und begann die Stifter­fig­uren aufzunehmen. Die Per­spek­tiv­en und die Art der Licht­führung, die Hege gewählt hat­te, macht­en sie – und vor allem die Uta – erst zu jen­em Teil der deutschen Ikono­gra­phie, als der sie bekan­nt gewor­den sind. Hinzu kam noch, daß Hege für das 1925 zuerst erschienene und dann sehr ver­bre­it­ete Buch Der Naum­burg­er Dom und seine Bild­w­erke Wil­helm Pin­ders die Vor­la­gen für die Tafeln lieferte. Pin­der gehörte zu den ein­flußre­ich­sten Kun­sthis­torik­ern der Zwis­chenkriegszeit und hat ganz wesentlich zur Auf­fas­sung beige­tra­gen, daß in den Stifter­fig­uren etwas spez­i­fisch Deutsches oder Ger­man­is­ches zum Aus­druck komme.

Selb­stver­ständlich mußte das zusam­men mit der Parteinahme Pin­ders für den Nation­al­sozial­is­mus und dessen pro­pa­gan­dis­tis­chen Zugriff auf die Uta zu ein­er Diskred­i­tierung solch­er Inter­pre­ta­tio­nen führen. Hinzu kommt noch, daß die neuere Forschung ein­hel­lig die Bedeu­tung des Vor­bildes franzö­sis­ch­er Plas­tik für den Schöpfer der Fig­uren – den Mann, den wir nur unter dem Namen »Naum­burg­er Meis­ter« ken­nen – betont. Aber im Grunde hätte es dieses Hin­weis­es gar nicht bedurft, und es wäre jede veren­gende Deu­tung zu ver­mei­den gewe­sen, wäre man jen­er Inter­pre­ta­tion gefol­gt, die zu Recht auf den his­torischen und kul­turellen Zeitrah­men der Entste­hung hin­wies. Denn daß die Stifter­fig­uren um 1250 ange­fer­tigt wur­den und mithin Per­so­n­en darstellen, die zu dem Zeit­punkt schon zwei­hun­dert Jahre tot waren, daß ihre Ide­al­isierung nicht auf Kosten ein­er leben­sna­hen Gestal­tung und Indi­vid­u­al­ität ging, war und ist unbe­strit­ten. Noch entschei­den­der wirkt aber, daß diese Werke in die End­phase der stau­fis­chen Herrschaft gehören, eine Epoche, die gekennze­ich­net war von der Suche nach neuen Syn­the­sen zwis­chen Nördlichem und Südlichem, Ger­man­is­chem und Römis­chem, Frei­heit und Staat.

Ernst Kan­torow­icz hat in seinem Buch über Friedrich II. (žžCas­tel del Monte, Kyffhäuser, Paler­mo) geschrieben, daß neben dem Bam­berg­er und dem Magde­burg­er Reit­er die Naum­burg­er Stifter­fig­uren zum ersten­mal das »römisch-antike Deutsche« zur Darstel­lung gebracht hät­ten, die Möglichkeit »eines zugle­ich weltweit­en und den­noch deutschen Wesens. Fast scheint es ein Wun­der, wie aus der vol­lkomme­nen Ver­schmelzung des bewegten schwin­gen­den und musikre­ichen Deutschen mit jen­em zwiefachen kaiser­lich-päp­stlichen Rom ein bei aller Gebun­den­heit freier und gelöster, fast mit­telmeerisch­er Ger­ma­nen­typ her­vorge­hen kon­nte«.

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Lit­er­atur:

  • Hart­mut Krohm/Holger Kunde (Hrsg.): Der Naum­burg­er Meis­ter. Bild­hauer und Architekt im Europa der Kathe­dralen, Kat­a­log der gle­ich­nami­gen Ausstel­lung, 3 Bde., Peters­berg 2012
  • Wil­helm Pinder/Walter Hege: Der Naum­burg­er Dom und seine Bild­w­erke, Berlin 1925
  • Wolf­gang Ull­rich: Uta von Naum­burg. Eine deutsche Ikone, Berlin 1998