Ordnung

Ord­nung beze­ich­net das sin­nvolle und regelmäßige Zusam­men­wirken ein­er Viel­heit, die dadurch eine Ein­heit – eben die Ord­nung – bildet. Die Überzeu­gung, daß es eine solche Ord­nung im Hin­blick auf das große Ganze – die »Wel­tord­nung« – geben muß, liegt jed­er Auf­fas­sung zugrunde, die bestre­it­et, daß »König Zufall« (Albert Camus) regiert. Insofern ist das in Gen­e­sis geschilderte stück­weise Zusam­men­fü­gen der Schöp­fungse­le­mente zu ein­er funk­tion­ieren­den und »guten« Ein­heit das Urbild der Entste­hung von Ord­nung, und alle men­schlichen Ord­nungsver­suche kön­nen als Nachah­mung solch­er oder ander­er göt­tlich­er Mod­ell­hand­lun­gen ver­standen wer­den; die zen­trale Bedeu­tung der Schöp­fung für die Mythen aller Völk­er erk­lärt sich aus diesem Zusam­men­hang.

Die Schaf­fung ein­er Ord­nung ist dabei stets »Auf­gabe der Weisheit« (Thomas von Aquin) und set­zt Intel­li­genz und Erfahrung voraus, min­destens die Erfahrung, daß das Leben im Chaos – der Unord­nung – unmöglich ist. Diese Gewißheit muß nicht religiös fundiert sein, sie kann sich auch auf die vernün­ftige Beobach­tung der Natur beziehen. In jedem Fall ist Ord­nung ein »Grund­be­griff der poli­tis­chen Philoso­phie« (Hans Barth), insofern sie auf der Annahme ein­er geisti­gen Ein­heit beruht, die durch den Zweck der Ord­nung bes­timmt ist und sie den ihr Unter­wor­fe­nen legit­im erscheinen läßt, insofern sie eine Menge von Sank­tion­s­mit­teln zur Ver­fü­gung hat, um sich zu schützen, und eine let­zte Instanz ken­nt, im Nor­mal­fall den Staat, der ihre Gel­tung durch­set­zen kann.

Alle poli­tis­che Ord­nung ist anfäl­lig für Störun­gen. Das wird von der Linken gar nicht, von den Lib­eralen kaum, von den Kon­ser­v­a­tiv­en sehr ernst genom­men. Während die Linke auf­grund ihres Men­schen­bildes unschlüs­sig bleibt, ob Ord­nung nicht eigentlich über­flüs­sig ist oder aber alle Lebens­bere­iche voll­ständig erfassen sollte, und die Lib­eralen meinen, daß sie sich – etwa im Bere­ich des Mark­tes – selb­st her­stelle, richt­en die Kon­ser­v­a­tiv­en ihr Augen­merk auf Insti­tu­tion und Hier­ar­chie, Autorität und Erziehung, um die Ord­nung zu bewahren. Es ist nicht so, als ob ihnen die »Wärme des Unaufgeräumten« (Michael Oakeshott) unbekan­nt wäre, aber näher ist ihnen das Dik­tum Goethes, daß er eher Unrecht als Unord­nung lei­den wolle.

Die Zer­störung von Ord­nung ist immer mit Gefahren ver­bun­den und muß zu Zwangs­maß­nah­men (Herrschaft) führen, um die Ord­nung wieder­herzustellen. Das erk­lärt im poli­tis­chen Bere­ich das regelmäßige Auftreten von Dik­taturen nach Rev­o­lu­tio­nen.

Als Gren­zfälle des Ord­nungs­denkens sind zulet­zt jene Anschau­un­gen zu betra­cht­en, die entwed­er Ord­nung als Selb­stzweck pos­tulieren und damit jede Prü­fung ihres Gut-Seins ablehnen, und solche, die die Ord­nung nur als Ergeb­nis ein­er dem Men­schen zwar notwendi­gen, der chao­tis­chen Welt aber frem­den, Anstren­gung begreifen, die immer nur von kurz­er Dauer ist. Die erste der bei­den Posi­tio­nen kann man als »exis­ten­tial­is­tis­che«, die zweite als »funk­tion­al­is­tis­che« beze­ich­nen. Ihr Ein­fluß erk­lärt sich im all­ge­meinen aus gewis­sen Zei­tum­stän­den, von einem echt­en Ver­ständ­nis der Ord­nung sind sie aber rel­a­tiv weit ent­fer­nt. Diese kann ihre Auf­gabe auch und ger­ade im Poli­tis­chen nur als »konkrete Ord­nung« (Carl Schmitt) erfüllen, das heißt, wenn sie an Bedin­gun­gen anknüpft, die tat­säch­lich Ord­nung ermöglichen und in sich orden­bar sind.

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Zitat:

Auf allen Stufen wird das Sein schwäch­er, wenn die Ord­nung aufwe­icht. Es löst sich auf, wenn die Ord­nung es nicht hält. Die Ord­nung ist nur ein Mit­tel. Sie ist ein Aus­gangspunkt. Die Ord­nung wieder­herzustellen, erzeugt eine Atmo­sphäre, vorteil­haft für die Tätigkeit des Geistes wie des Kör­pers. Diese Ord­nung macht das Werk möglich oder bess­er. Sie garantiert ihm Dauer, ist ihm Unter­stützung und Schutz.
Charles Mau­r­ras

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Lit­er­atur:

  • Hans Barth: Die Idee der Ord­nung, Zürich 1958
  • Joseph de Maistre: Betra­ch­tun­gen über Frankre­ich [1796/1924], zulet­zt Wien und Leipzig 1997
  • Hen­ry de Mon­ther­lant: Nut­zlos­es Dienen [1935], Leipzig 1939, zulet­zt Schnell­ro­da 2011
  • Michael Oakeshott: Ratio­nal­is­mus in der Poli­tik, Neuwied und Berlin 1966
  • Carl Schmitt: Über die drei Arten des rechtswis­senschaftlichen Denkens [1934], zulet­zt Berlin 1993