Politik

Poli­tik ist ein Begriff, der ursprünglich das beze­ich­net, was zur polis, also dem antiken (Stadt-)Staat, gehört. Poli­tik bedeutet insofern zuerst und vor allem »Staatskun­st«. Dabei hat Aris­tote­les, der als ein­er der ersten diesen Zusam­men­hang bedachte, gemeint, daß die Poli­tik dem Men­schen »natür­lich« sei, insofern er eben nicht als Einzel­gänger leben könne, son­dern als zoon poli­tikon, – ein »poli­tis­ches«, das heißt auf soziale Bindung und Gemein­schaft hin angelegtes, »Tier« leben müsse. In diesem Sinn hat Poli­tik zum Men­schen gehört, seit­dem er existiert, es muß auch schon so etwas wie Hor­den­poli­tik gegeben haben, die sich kaum von den Regeln der chim­panzee pol­i­tics (Frans de Waal) unter­schied und ent­stand, lange bevor eine staatliche Insti­tu­tion vorhan­den war.

Von solch­er Poli­tik im all­ge­meinen Sinn, die ein­fach nur das Vorhan­den­sein von Machtver­hält­nis­sen und deren mehr oder weniger sta­bile Organ­i­sa­tion beze­ich­net, muß eine Poli­tik unter­schieden wer­den, die erst im Zug jen­er Poli­tisierung ent­stand, die sich in eini­gen antiken poleis, vor allem in Athen, vol­l­zog. Dabei ent­stand eine Ord­nung, die von anderen – vor allem religiösen – Vor­gaben weit­ge­hend frei war und gle­ichzeit­ig eine – poli­tisierte – Bürg­er­schaft, die nicht nur an Poli­tik inter­essiert war, son­dern aktiv han­del­nd in die Poli­tik ein­griff.

Obwohl sich dieses Mod­ell von Poli­tik nicht hal­ten kon­nte, blieb es in der europäis­chen Geschichte ein Leit­bild, das am Beginn der Neuzeit zu der Vorstel­lung führte, daß man nicht nur die Staatlichkeit angemessen – und jeden­falls bess­er als im Mit­te­lal­ter – organ­isieren müsse, son­dern außer­dem die Ein­beziehung der Bürg­er in die poli­tis­chen Angele­gen­heit­en gewährleis­ten sollte.

Bei­de Ziele standen in Span­nung zueinan­der. Man kön­nte vere­in­fachend von Staat­spoli­tik sprechen, die vor allem darauf zielte, das staatliche Gewalt­monopol durchzuset­zen und im Inneren gute Poli­tik beziehungsweise gute »Polizei« zu treiben, indem sie einen Frieden­szu­s­tand sicherte, der nach außen durch Kriegsan­dro­hung aufrechtzuer­hal­ten war, und von Gesellschaft­spoli­tik, die die Par­tizipa­tion der Bürg­er zu stärken tra­chtete, um jene Poli­tisierung zu wieder­holen, die schon im Alter­tum dazu geführt hat­te, die poli­tis­che Ord­nung von ein­er Mehrheit tra­gen zu lassen.

War bis zum 19. Jahrhun­dert die Staat­spoli­tik in Europa auss­chlaggebend, so begann dann unter dem Ein­fluß des Lib­er­al­is­mus der Auf­stieg der Gesellschaft­spoli­tik. Deren Erfolg hat aus der Sicht manch­er – etwa Carl Schmitts – nicht nur das Ende des Staates zur Folge gehabt, son­dern auch Poli­tik im Sinne von Staat­spoli­tik unmöglich gemacht. Das Ende des Zusam­men­hangs von Staat und Poli­tik bedeutet allerd­ings nicht das Ende des »Poli­tis­chen«, das unaufheb­bar zum Wesen des Men­schen gehört.

Schmitt hat diesen Sachver­halt dadurch zum Aus­druck gebracht, daß er das Poli­tis­che über die Notwendigkeit exis­ten­tieller Entschei­dung zwis­chen »Fre­und« und »Feind« definierte. Exis­ten­tiell ist diese Entschei­dung insofern, als jede Ent­ge­genset­zung einen Inten­sitäts­grad erre­ichen kann, der sie poli­tisch wer­den läßt, ohne daß ein Bezug zum Staat oder dessen Über­resten zu beste­hen hat. Das läßt sich beispiel­sweise beim poli­tis­chen Umschla­gen von wirtschaftlichen, religiösen oder ras­sis­chen Kon­flik­ten erken­nen, die ihrem Wesen nach ökonomisch, meta­ph­ysisch oder ästhetisch sein mögen, aber eben latent poli­tisch wirken.

Angesichts dieser Sit­u­a­tion ist mit dem gele­gentlich prog­nos­tizierten »Ende der Poli­tik« nicht zu rech­nen. Es bleibt allerd­ings das Prob­lem beste­hen, daß die Poli­tik eine ethis­che Son­der­stel­lung ver­langt. Eine bis dahin ungek­lärte Frage, die sich wed­er im Sinne eines Machi­avel­lis­mus – die Poli­tik ken­nt keine Moral – noch im Sinne rein­er Gesin­nungsethik – für die Poli­tik gel­ten diesel­ben Moralvorschriften wie für alle anderen Lebens­bere­iche – oder ein­er »plu­ral­is­tis­chen Ethik« (Arnold Gehlen) – für die Poli­tik muß eine spez­i­fis­che, also poli­tis­che Moral entwick­elt wer­den – ganz befriedi­gend lösen läßt.

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Zitate:

Alle Poli­tik ist Kun­st. Sie bewegt sich in der Welt der his­torischen Tat­en, ver­wan­delt sich und treibt neue Bil­dun­gen her­vor während wir reden.
Hein­rich von Tre­itschke

Es darf nie­mand denken, daß die Welt ohne Blut regiert werde. Es soll und muß das weltliche Schw­ert rot und blutrün­stig sein, denn die Welt will und muß böse sein.
Mar­tin Luther

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Lit­er­atur:

  • Arnold Gehlen: Moral und Hyper­moral [1969], zulet­zt Frank­furt a.M. 2004
  • Chris­t­ian Meier: Die Entste­hung des Poli­tis­chen bei den Griechen [1980], zulet­zt Frank­furt a.M. 2008
  • Carl Schmitt: Der Begriff des Poli­tis­chen [1932], zulet­zt Berlin 2002
  • Hein­rich von Tre­itschke: Poli­tik, 2 Bde [1897/98], zulet­zt Leipzig 1922