Politik als Beruf — Max Weber, 1919

Es han­delt sich bei Poli­tik als Beruf um einen über­ar­beit­eten Vor­trag, den Weber vor Münch­en­er Stu­den­ten im Jan­u­ar 1919, also in der exis­ten­tiellen Not­si­t­u­a­tion zwis­chen Kriegsnieder­lage und Novem­ber­rev­o­lu­tion und dem Ver­sailler Ver­trag, gehal­ten hatte.Weber ging es um den Zusam­men­hang von Beruf, pro­fes­sioneller Ethik und Per­sön­lichkeit in der Eigenge­set­zlichkeit der »Wert­sphäre« Poli­tik. Poli­tik war für Weber Kampf um Macht, die spez­i­fis­che Per­sön­lichkeit­squal­itäten der Beruf­spoli­tik­er ver­langt, will sie nicht unethisch sein.

Im ersten Teil ent­fal­tet Weber seine Begrif­flichkeit­en ratio­naler Staat­stätigkeit und des Partei­we­sens in einem his­torischen Abriß vom europäis­chen Mit­te­lal­ter bis zur Mod­erne, beispiel­haft an den Vere­inigten Staat­en, Eng­land und Deutsch­land. Charak­ter­is­tisch für die Mod­erne ist der Beruf­spoli­tik­er, der primär von der Poli­tik lebt, der Regelfall in der par­la­men­tarischen Demokratie. Zu den Beruf­spoli­tik­ern zählt Weber auch den »Dem­a­gogen« (wert­neu­tral als der, welch­er durch das Wort wirkt) und – wohlwol­lend – den Jour­nal­is­ten, fern­er die poli­tis­chen Beamten. Weit­ere Kennze­ichen der Mod­erne sind die gesteigerte Bedeu­tung ein­er Ver­wal­tung im poli­tis­chen Vol­lzug, Weltan­schau­ungsparteien und die gezielte Schu­lung von Funk­tionären im poli­tis­chen »Betrieb«.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit den per­sön­lichen Voraus­set­zun­gen des Berufs zur Poli­tik in der Gegen­wart. Wer heute Poli­tik treibt, erstrebt Macht und legit­ime Gewalt, um mit ihnen in staatlichen Leitungstätigkeit­en zu wirken. Dabei »läßt er sich … mit den dia­bolis­chen Mächt­en ein, die in jed­er Gewalt­samkeit lauern.« Darum ver­langt Weber vom Poli­tik­er:

1) diszi­plin­ierte Lei­den­schaft und Selb­stüber­win­dung der all­ge­mein­men­schlichen Eit­elkeit (der »Tod­sünde« alles Poli­tis­chen), aus dem »Glauben« an eine bes­timmte Sache oder Idee her­aus;

2) Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl für die Fol­gen des eige­nen Han­delns (während der Beamte nur Anord­nun­gen aus­führt) und sie keines­falls auf Umstände oder andere Per­so­n­en abzuwälzen;

3) Dis­tanz zu Din­gen und Men­schen, »Augen­maß«. Der Poli­tik­er muß wis­sen, daß er von sein­er Gefol­gschaft abhängig ist und damit von ihren »gemeinen« Motiv­en.

»Ver­ant­wor­tungsethik« nen­nt Weber jenes Bün­del aus Eigen­schaften, die er von der »Gesin­nungsethik« unter­schei­det. Dieser Begriff kennze­ich­net eine absolute Ethik, die sich wenig um die Fol­gen des eige­nen Tuns schert, für die der Zweck die Mit­tel heiligt, typ­isch für die religiöse Ethik, die doch gle­ich­wohl in die Poli­tik Einzug gehal­ten hat (Weber nen­nt u. a. Paz­i­fis­ten, Spar­tak­isten, Bolschewis­ten). »Der Gesin­nungspoli­tik­er erträgt nicht die ethis­che Irra­tional­ität der Welt.« Ver­ant­wor­tungs- und Gesin­nungsethik sind Weber allerd­ings »nicht absolute Gegen­sätze, son­dern Ergänzun­gen, die zusam­men erst den echt­en Men­schen aus­machen, den, der den “Beruf zur Poli­tik” haben kann«, näm­lich ver­ant­wor­tungs­gezähmte Überzeu­gun­gen, die freilich bis zum nicht mehr kom­pro­mißfähi­gen »Hier ste­he ich, ich kann nicht anders« reichen kön­nen.

Als unethisch hinge­gen, als »würde­los«, betra­chtet Weber die nachträgliche ethis­che Legit­imierung von Hand­lun­gen oder Ein­stel­lun­gen, die gän­zlich unter funk­tionalen oder oppor­tunis­tis­chen Aspek­ten erfol­gten, etwa die Schuld­beken­nt­nisse nach ver­loren­em Kriege. Über­haupt ist der Text durch­zo­gen von tage­spoli­tis­chen Illus­tra­tio­nen, Anmerkun­gen und Wer­tun­gen zur Zukun­ft Deutsch­lands angesichts des bevorste­hen­den Wan­dels zum Par­la­men­taris­mus und der Kon­se­quen­zen des ver­lore­nen Krieges. In der Weber-Rezep­tion wer­den sie meis­tens über­gan­gen, abgeschwächt, oder unwillig und vor­wurfsvoll annotiert.

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Zitat:

Nur wer sich­er ist, daß er daran nicht zer­bricht, wenn die Welt, von seinem Stand­punkt aus gese­hen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, daß er all dem gegenüber: »den­noch!« zu sagen ver­mag, nur der hat den Beruf zur Poli­tik.

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Aus­gabe

  • Stu­di­en­aus­gabe der Max Weber-Gesam­taus­gabe, Band I/17, Tübin­gen: Mohr Siebeck 1994, S. 25–132

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Lit­er­atur:

  • Kom­men­tar und edi­torisches Nach­wort von Wolf­gang Schluchter, s. o.