Guardini, Romano, Theologe, 1885–1968

Guar­di­ni wurde am 17. Feb­ru­ar 1885 in Verona als Sohn ein­er aus Südtirol stam­menden Mut­ter und eines ital­ienis­chen Geflügel­großhändlers geboren. 1886 über­siedelte die Fam­i­lie nach Mainz, wo Guar­di­ni das human­is­tis­che Gym­na­si­um absolviert. Nach Stu­di­en der Chemie und Nation­alökonomie entsch­ied er sich, zusam­men mit dem Jugend­fre­und Karl Neundör­fer, The­olo­gie zu studieren. Romano Guar­di­nis lebenslanger Fre­und, Josef Weiger, gehörte mit in den Tübinger Fre­und­schaft­skreis, der gle­icher­maßen von ein­er Neuaneig­nung des großen katholis­chen Erbes und den geisti­gen und ästhetis­chen Gärun­gen und Bewe­gun­gen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bes­timmt war. 1915 pro­movierte Guar­di­ni über Bonaven­tu­ra, 1922 habil­i­tierte er sich über densel­ben Kirchen­lehrer.

In den näch­sten Jahren war Guar­di­ni an maßge­blich­er Stelle in der katholis­chen Jugend­be­we­gung tätig, vor allem im Quick­born mit dem Zen­trum der Burg Roth­fels. Neben ein­er Neugestal­tung der gesamten Lebens­führung bildete die Reform der Liturgie, wobei dem Logos ein ver­stärk­tes Gewicht gewid­met sein sollte, einen Schw­er­punkt der Neuori­en­tierung. Bis 1939 suchte Guar­di­ni die Burg Roth­fels als eine Gegen­welt zu bewahren, auch wenn er seit 1934 bespitzelt wurde. Er wollte sie zu ein­er christlichen Akademie for­men, was bis zu der erzwun­genen Schließung auch weit­ge­hend gelin­gen sollte.

Bere­its 1923 erhielt Guar­di­ni den neuer­richteten Lehrstuhl für Christliche Weltan­schau­ung an der Berlin­er Friedrich-Wil­helms-Uni­ver­sität. Die Tit­u­latur, die auch seinen späteren Münch­en­er Lehrstuhl prä­gen sollte, war Pro­gramm: Inmit­ten des protes­tantisch geprägten Berlin soll­ten die Grund­phänomene und Kräfte der eige­nen Zeit aus christlich­er Per­spek­tive gedeutet wer­den, im Sinn ein­er freien, auch ästhetisch hochge­bilde­ten Katholiz­ität, die die großen Tra­di­tio­nen neu aneignete.

Der Weltan­schau­ungs­be­griff fol­gte dabei den geisti­gen und method­is­chen Vor­gaben der hermeneutis­chen Schule von Dilthey bis Troeltsch. Die Ein­lö­sung zeigte sich in den mor­phol­o­gisch sou­verä­nen Deu­tun­gen Guar­di­nis, die von der Patris­tik, von Augusti­nus zu Pla­ton zurück­re­ichen, wobei er aber die thomistis­che Tra­di­tion nicht ver­leugnete. Ein poly­phones Wahrheitsver­ständ­nis, das zugle­ich auf den absoluten Grund gerichtet ist, bildet gle­ich­sam die Mit­telachse aller Arbeit­en.

Schon in den frühen dreißiger Jahren kri­tisierte Guar­di­ni den inner­weltlichen Mes­sian­is­mus des NS-Regimes; er ver­wies auf den unlös­baren Nexus zwis­chen jüdis­ch­er Reli­gion und christlichem Glauben, der sich schon aus der Exis­tenz Jesu ergebe. In den bei­den let­zten Kriegs­jahren lebte Guar­di­ni zurück­ge­zo­gen in Mooshausen, dem Pfar­rort seines Fre­un­des Weiger. Erst nach 1945 kon­nte er seine öffentliche Wirk­samkeit wieder aufnehmen, zunächst in Tübin­gen und drei Jahre später mit der Beru­fung auf das per­sön­liche Ordi­nar­i­at in München. Von hier aus ent­fal­tete Guar­di­ni in den näch­sten Jahren eine große Wirk­samkeit.

Sein vir­tu­os­er und zugle­ich zurückgenommen­er Vor­tragsstil wirk­te weit in das Bürg­er­tum hinein. In großen Zyklen, die sich stets der exis­ten­tiellen Dimen­sion des Denkens aus­set­zten, inter­pretierte er Pla­ton, Augusti­nus, Dante, Pas­cal, Kierkegaard, Dos­to­jew­s­ki und Hölder­lin. Im Zen­trum eines langjähri­gen Vor­lesungszyk­lus stand aber die Ethik, bei Guar­di­ni ver­standen als umfassende Lehre von der Kun­st der Lebens­gestal­tung. Ergänzend dazu wirk­te er als überzeu­gen­der, auf die Stunde hören­der Predi­ger und Liturg in der St.-Ludwigs-Kirche bei den Münch­en­er Uni­ver­sitäts­gottes­di­en­sten.

1950 erschien die gle­icher­maßen essay­is­tisch präg­nante und weg­weisende Studie Das Ende der Neuzeit. Guar­di­ni sieht die antike und mit­te­lal­ter­liche Welt­sicht durch eine grund­sät­zliche Geschlossen­heit und Ord­nung, nicht zulet­zt durch eine Har­monie gekennze­ich­net, von der sich die Neuzeit ablöst. Diese Tren­nung vom Göt­tlichen und Hypostase des Endlichen berge immense Gefahren. Man hat dies als Ablehnung der Neuzeit mißver­standen. Deren Ressourcen sieht Guar­di­ni in der Tat an ihr Ende gelangt. Er eröffnet aber zugle­ich eine kün­ftige Per­spek­tive: auf den Glauben, der in der Mod­erne seine Selb­stver­ständlichkeit ver­loren hat und damit ein neues escha­tol­o­gis­ches Bewußt­sein ermöglicht. Ins­ge­samt ist Guar­di­ni nur zu ver­ste­hen, wenn man seinen janusköp­fi­gen Blick, zurück in die Ver­gan­gen­heit und in die offene nach-neuzeitliche Zukun­ft voraus, würdigt.

Grundle­gend für Guar­di­nis philosophis­che Mor­pholo­gien und Phänom­e­nolo­gien ist seine Gegen­sat­zlehre (u. a. 1925 und 1955 in ver­schiede­nen Fas­sun­gen vorgelegt). Der Gegen­satz ver­weist auf das unver­füg­bare Gesetz der Polar­ität und unter­schei­det sich damit eben­so von der speku­la­tiv­en Dialek­tik Hegels wie auch von der Dialek­tik der Para­dox­al­ität bei Kierkegaard und in der Exis­ten­zphiloso­phie. Vom einzel­nen Phänomen sucht Guar­di­ni in einem glei­t­en­den Über­gang auf das umgreifende Ganze zu gelan­gen und umgekehrt. Gegen­sät­zlichkeit ist ihm zufolge »unableit­bar«, weil ihre Pole nicht auseinan­der zu deduzieren und auch nicht aufeinan­der zurück­zuführen sind. Überdies bedarf der Begriff der Anschau­ung und umgekehrt.

Guar­di­ni sah sich selb­st bewußt eher am Rande der akademis­chen Welt (es wird berichtet, daß er das Hör­saal­ge­bäude, als Aus­druck von Dis­tanz und Respekt gle­icher­maßen, vor jed­er Vor­lesung umrun­dete). So übte er eine leg­endäre Strahlkraft auf unter­schiedliche Geis­ter, von Han­nah Arendt bis Vik­tor von Weizsäck­er, aus, hat­te aber im engeren akademis­chen Sinn kaum Schüler. Guar­di­nis Denkstil war wesentlich kün­st­lerisch bes­timmt, weshalb er in den späten Jahren auch in der Münch­en­er Akademie der Schö­nen Kün­ste eine her­aus­ge­hobene Wirkungsstätte find­en sollte.

In sein­er Münch­en­er Zeit wandte sich Guar­di­nis Deu­tungskun­st auch Phänome­nen wie dem Film zu. Wenn er schon mit der Schrift Der Hei­land 1935 eine pro­funde christliche Kri­tik der NS-Ide­olo­gie vorgelegt hat­te, so kon­nte er daran 1950 mit der Unter­suchung Der Heils­bringer anknüpfen, ein­er bahn­brechen­den Studie für das Ver­ständ­nis von total­itären Ide­olo­gien als Poli­tis­che Reli­gio­nen. Wenig bekan­nt ist Guar­di­nis Bemühung um ein hegen­des »Ethos der Macht«, das gegenüber den anony­men Mächt­en zur Gel­tung zu brin­gen sei, die sein­er Diag­nose gemäß immer deut­lich­er zutage treten, das aber auch die charis­ma­tis­che Macht und Herrschaft zu domes­tizieren weiß.

Guar­di­ni starb am 1. Okto­ber 1968 in München.

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Zitat:

Die Per­son­al­ität ist dem Men­schen wesentlich; sie wird aber dem Blick erst deut­lich, wenn sich durch die Offen­barung in Gotte­skind­schaft und Vorse­hung das Ver­hält­nis zum lebendig-per­son­alen Gott erschließt.

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Schriften:

  • Von heili­gen Zeichen, Würzburg 1922
  • Der Gegen­satz. Ver­suche zu ein­er Philoso­phie des Lebendig-Konkreten, Mainz 1925
  • Christlich­es Bewußt­sein. Ver­suche über Pas­cal, Leipzig 1935
  • Der Herr. Betra­ch­tun­gen über die Per­son und das Leben Jesu Christi, Würzburg 1937 (16. Aufl. 1997)
  • Welt und Per­son. Ver­suche zur christlichen Lehre vom Men­schen, Würzburg 1939
  • Der Tod des Sokrates, Bern 1945
  • Das Ende der Neuzeit. Ein Ver­such zur Ori­en­tierung, München 1950
  • Die Macht. Ver­such ein­er Weg­weisung, München 1951
  • Ethik. Vor­lesun­gen an der Uni­ver­sität München, hrsg. v. Hans Mer­ck­er, 2 Bde., Ost­fildern 1993

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Lit­er­atur:

  • Berthold Gern­er: Romano Guar­di­ni in München. Beiträge zu ein­er Sozial­bi­ogra­phie, 3 Bde., München 1998–2005
  • Franz Hen­rich: Romano Guar­di­ni, Regens­burg 1999
  • Markus Zim­mer­mann: Die Nach­folge Jesu Christi. Eine Studie zu Romano Guar­di­ni, Pader­born 2004