Der Name Rudolf Stadelmanns war bis in die vorletzte Generation deutscher Historiker mindestens präsent, weil er den Band des Handbuchs der deutschen Geschichte zur Zeit zwischen Reformation und Friedrich dem Großen verfaßt hatte. Darüber war aber schon in Vergessenheit geraten, daß Stadelmann zu den großen Begabungen der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert gehört hatte.
Stadelmann wurde am 23. April 1902 in Adelmannsfelden (bei Aalen) als Sohn eines evangelischen Pfarrers im Württembergischen geboren. Zu jung, um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen, ging er nach dem Abitur an die Universitäten Tübingen, dann nach Heidelberg, München, Berlin und wieder zurück nach Tübingen. Schon 1924 wurde er mit einer Arbeit über das Verständnis der Geschichte bei Herder promoviert. Nach einem kurzen Zwischenspiel im Schuldienst kehrte Stadelmann 1929 in die Wissenschaft zurück und trat eine Privatdozentur in Freiburg an. 1929 veröffentlichte er sein erstes größeres Werk unter dem Titel Vom Geist des ausgehenden Mittelalters, das erhebliches Aufsehen in Fachkreisen erregte, aber auch auf scharfe Kritik traf. Vor allem der Freiburger Ordinarius Gerhard Ritter monierte die stark an der Begrifflichkeit Oswald Spenglers orientierte Konzeption. Trotzdem arbeiteten beide für die Neuedition von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen eng zusammen.
Als Gegenpol zur Skepsis Ritters wirkte in Freiburg der Enthusiasmus Martin Heideggers, dessen Kreis sich Stadelmann zu dieser Zeit angeschlossen hat. Aber während Heidegger sich dann dem Nationalsozialismus zur Verfügung stellte, ging Stadelmann auf Distanz. Er war zwar weit von jeder offenen Opposition entfernt, machte aber auch keinen Hehl aus seinem Vorbehalt. Trotzdem konnte Stadelmann seine wissenschaftliche Laufbahn erfolgreich vorantreiben und folgte nach Lehraufträgen in Würzburg und Gießen 1938 einem Ruf an die Universität Tübingen. In den folgenden Jahren entstanden zwei große Arbeiten zu Zentralgestalten der preußisch-deutschen Geschichte – Scharnhorst und Moltke – die allerdings wegen der Entwicklung des Kriegsverlaufs nicht mehr abgeschlossen werden konnten und erst posthum erschienen.
Dazu kam es, weil Stadelmann am 17. August 1949 in Tübingen überraschend an einem Hirnschlag starb. Seine letzte Veröffentlichung aus Anlaß der Säkularfeier der Erhebung von 1848 war noch einmal ein Plädoyer für die Notwendigkeit einer „konservativen Revolution“ gewesen.
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Zitat:
So wenig es erlaubt ist, in dem Anspruch des Staates an den Einzelnen nur Tyrannei, Willkür und dumpfe Gewalt zu erblicken, so wenig ist es angängig, in der inneren Selbstbehauptung des Individuums von vornherein nur bösen Willen, Selbstsucht und Anarchie zu vermuten. Es gehört zu den tiefsten, platonisch-christlichen Elementen unserer Kultur, daß wir überzeugt sind, in der Sphäre der persönlichen Existenz ein Absolutes zu berühren, das wir bald Geist, bald Seele, bald Persönlichkeit, bald Vernunft nennen, und das gegenüber dem Zeitliche, Irdischen, Vergänglichen als das Ewige, Unverlierbare, Transzendente erscheint.
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Schriften:
- Vom Geist des ausgehenden Mittelalters, Halle a. d. S. 1929
- (mit Gerhard Ritter hrsg.): Otto von Bismarck. Erinnerung und Gedanke. Kritische Neuausgabe auf Grund des gesamten schriftlichen Nachlasses, Berlin 1932
- Das Jahr 1865 und das Problem von Bismarcks deutscher Politik, München 1933
- Deutsche Geschichte vom Zeitalter der Reformation bis zum Tode Friedrichs des Großen, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 2, Potsdam 1936
- Vom Erbe der Neuzeit, Leipzig 1942
- Deutschland und Westeuropa. Drei Aufsätze, Laupheim 1948
- Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848, München 1948
- Moltke und der Staat, Krefeld 1950
- Geschichte der englischen Revolution, Wiesbaden 1954
- Scharnhorst. Schicksal und geistige Welt. Ein Fragment, Wiesbaden 1952
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Literatur:
- Hermann Heimpel: Rudolf Stadelmann und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift 172 (1951) Heft 2
- Karlheinz Weißmann: Rudolf Stadelmann, in: ders.: Alles was recht(s) ist, Graz 2000