Saaleck – Burg Sachsen-Anhalt, südwestlich von Naumburg (Saale)

Die Saaleck liegt so trau­rig
dort oben im oeden Gestein.
Wenn ich sie sehe, so schauert’s
mir tief in die Seele hinein.

So düster klingt es in Friedrich Niet­zsches Jugendgedicht Saaleck (1859). Das Dorf Saaleck wird auch heute noch von der Burg gle­ichen Namens über­ragt. Der kleine Ort, mit ger­ade über 200
Ein­wohn­ern, gehört eben­so wie das nahegele­gene Bad Kösen seit der Gemein­deneu­grün­dung 2010 zur Stadt Naum­burg. Der durch­schnit­tlich geschicht­skundi­ge Betra­chter, der den an land­schaftlich her­aus­ra­gen­der, unmit­tel­bar über der Saale gele­ge­nen Ort durch­wan­dert, wird ihn wahrschein­lich zuerst mit »Bur­gen­ro­man­tik« in Verbindung set­zen. Dazu bietet nicht nur die Ruine der Burg Saaleck Anlaß, deren ältesten Teile aus dem 12. Jahrhun­dert stam­men, son­dern auch die nur wenige hun­dert Meter, stro­maufwärts der Saale, ober­halb von Bad Kösen gele­gene Rudels­burg. Bei dieser Burg, deren Kern eben­falls aus dem 12. Jahrhun­dert stammt, stößt der Besuch­er zugle­ich unweiger­lich auf die Geschichte der Deutschen Burschen­schaften.

1848 trafen sich hier 500 Corpsstu­den­ten, um die Grün­dung eines gemein­samen Dachver­ban­des in die Wege zu leit­en. Seit 1849 tagt – mit Unter­brechun­gen während der Ära des Drit­ten Reich­es
und der DDR – dieser älteste Dachver­band deutsch­er Stu­den­ten­verbindun­gen in Kösen unter dem Namen Kösen­er Senioren- Con­vents-Ver­band (KSCV). Die Rudels­burg dient ihm sowohl für Arbeitssitzun­gen als auch Festver­anstal­tun­gen. Im 19. Jahrhun­dert erfol­gte ein Teil­wieder­auf­bau der Burg. 1863 schrieb der Dichter, Reis­eschrift­steller und Kul­turhis­torik­er Her­mann Allmers das Stu­den­ten­lied »Dort Saaleck, hier Rudels­burg«. Schon 1826 hat­te der dama­lige Berlin­er Stu­dent und spätere bekan­nte Kun­sthis­torik­er und His­torik­er Franz Kugler auf der Rudels­burg das berühmte Lied »An der Saale hellem Strande« gedichtet. Der erste Kon­greß des KSCV nach dem Zweit­en Weltkrieg fand 1995 statt, seit­dem ist die Rudels­burg wieder fes­ter Ver­anstal­tung­sort
der Burschen­schaftler.

Nordöstlich der Rudels­burg, in Rich­tung Bad Kösen, hat der KSCV vier Denkmäler errichtet: Die Gefal­l­enen­säule des KSCV (1872), dessen Ober­schaft mit­samt Reich­sadler auf­grund fehlen­der Instand­set­zung zu Beginn der 1950er Jahre umstürzte und heute fehlt, einen Kaiser-Wil­helm-Obelisk (1890), ein Bis­mar­ck-Denkmal (1895/96), dessen sitzende Bronze­fig­ur des noch jun­gen
Bis­mar­ck zu DDR-Zeit­en zer­stört wurde, aber 2006 in vere­in­fachter Form wieder­hergestellt wer­den kon­nte und, als beein­druck­en­stes, das »Löwen-Denkmal« (1926), ein von Her­mann Hösaus geschaf­fenes Toten-Ehren­mal für die im Ersten Weltkrieg gefal­l­enen Mit­glieder des KSCV. Berück­sichtigt man das nahegele­gene Schulp­for­ta, die Eckarts­burg oder den Naum­burg­er Dom mit seinen Stifter­fig­uren, so wird einem bewußt, daß Saaleck inmit­ten ein­er geschichtsmythisch her­aus­ra­gen­den Land­schaft liegt.

Kul­tur­poli­tis­che Bedeu­tung erlangte Saaleck, als sich dort kurz nach 1900 der aus Naum­burg stam­mende Maler, Leben­sre­former, Architekt und Pub­lizist Paul Schultze-Naum­burg nieder­ließ. Schultze-Naum­burg schrieb zu sein­er Wahl: »Hier (also in Saaleck) drän­gen sich die Tal­rän­der der Saale zu ein­er engen Paßstelle zusam­men, so daß steilere Abstürze und Höhen­wände entste­hen als die, die son­st die Ufer des Flusses begleit­en. So kommt in die oft so liebliche Saale­land­schaft ein Zug von Herb­heit und Größe, welche diese Gegend beson­ders anziehend macht.« Schultze- Naum­burg kaufte ein umfan­gre­ich­es Gelände, zu dem ein eigen­er Wald gehörte. Das Grund­stück liegt unmit­tel­bar über dem Dorf, hoch auf einem Felsen über der Saale, von wo aus der Blick nach allen Rich­tun­gen frei ist. Darauf errichtete Schultze-Naum­burg ein  repräsen­ta­tives Wohn­haus, das aber nur den Auf­takt zu ein­er umfan­gre­ichen Anlage bildete. Es ent­standen Pfört­nerei, Gärt­nerei, Dien­st­ge­bäude, Gara­gen und nicht zulet­zt die Ate­lierge­bäude der »Saaleck­er Werk­stät­ten«.

Schultze-Naum­burg war von sein­er Aus­bil­dung Maler. Im Rah­men sein­er umfan­gre­ichen pub­lizis­tis­chen Tätigkeit beschäftigte er sich jedoch immer mehr mit Architek­turfra­gen. Ins­beson­dere seine neun­bändi­gen Kul­tur­ar­beit­en (1901–17) macht­en ihn für das bre­it­ere Pub­likum als Architek­tur­ex­perten bekan­nt. Schultze-Naum­burg wandte sich in seinen Schriften gegen die »Schnörke­lar­chitek­tur« der Grün­derzeit, aber auch gegen die all­ge­meine Ver­häßlichung infolge der Indus­tri­al­isierung. Da bis zum Ende der Goethezeit alles Gebaute schön und zweck­mäßig war, unab­hängig ob Palast oder Hütte, mußte nach Schultze-Naum­burg jede Architek­tur­reform dort wieder anset­zen, wo der Faden der tra­di­tionellen Über­liefer­ung abgeris­sen war. In der Prax­is bein­hal­tete das eine Neubele­bung von Klas­sizis­mus und Heimat­stil. Die Saaleck­er Werk­stät­ten dien­ten nicht zulet­zt dazu, die Richtigkeit von Schultze-Naum­burgs Lehre zu ver­an­schaulichen.

Das Unternehmen lief über­raschend gut an und machte Schultze-Naum­burg zu einem der gefragtesten Architek­ten in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Bald arbeit­eten in Saaleck über 70 Architek­ten und Bautech­niker unter Schultze-Naum­burgs Fed­er­führung. Tis­chler­w­erk­stät­ten im Umland wur­den mit der Möbel­pro­duk­tion betraut. Nach kurz­er Zeit besaßen die Saaleck­er Werk­stät­ten Zweignieder­las­sun­gen in Berlin, Köln und Essen. Ins­beson­dere die Berlin­er Nieder­las­sung im Tier­garten­vier­tel entwick­elte sich zu einem umfan­gre­ichen Kun­st­gewer­be­haus mit drei Geschossen und mit ins­ge­samt 37 Schau­räu­men.

Saaleck war aber nicht nur Wohn­sitz Schultze-Naum­burgs und Sitz der Saaleck­er Werk­stät­ten. Schultze-Naum­burg liebte es, Fre­unde und Bekan­nte um sich zu haben. Saaleck wurde somit auch Tre­ff­punkt, und das große, herrschaftliche Anwe­sen mit seinen vie­len Nebenge­bäu­den, mit Garten und Park, bot Gästen aus­re­ichend Platz. Unter seinen Gästen waren etwa die Architek­ten Paul Bon­atz, Otto Bart­ning, Wern­er March oder Paul Schmit­then­ner, der Heimatschützer Ernst Rudorff, die bilden­den Kün­stler Lud­wig Bart­ning, Her­mann Obrist, Raf­fael Schus­ter-Woldan oder Lud­wig von Hof­mann, die Schrift­steller Bör­ries von Münch­hausen, Wern­er Hege­mann, Lud­wig Finckh, Wil­helm von Scholz oder Hans Hey­ck. Eduard Stuck­en schrieb in Saaleck seinen Wel­ter­folg Die weißen Göt­ter (4 Bde., 1918–22). In Saaleck wurde 1928 auch die kon­ser­v­a­tive Architek­ten­vere­ini­gung »Der Block« gegrün­det, die ein Gegengewicht zu der  Architek­ten­vere­ini­gung der Mod­erne, »Der Ring«, bilden sollte.

Im Zuge von Schultze-Naum­burgs zunehmender Poli­tisierung wurde Saaleck ab der zweit­en Hälfte der 1920er Jahre Ver­samm­lung­sort von Vertretern der völkischen Bewe­gung und führen­der Nation­al­sozial­is­ten, dem soge­nan­nten »Saaleck­er Kreis«. Lediglich auf »Stip­pvis­ite« kamen Hitler, Göring, Goebbels, Himm­ler und Alfred Rosen­berg. Häu­fige und länger weilende Gäste waren Wil­helm Frick, Richard Walther Dar­ré, Hans F. K. Gün­ther, Han­no Konopac­ki-Konopath, Schriftleit­er von ”Die Sonne. Monatss­chrift für nordis­che Weltan­schau­ung und Lebens­gestal­tung”, und Hans Severus Ziegler, Gen­er­al­in­ten­dant des Weimar­er Nation­althe­aters. Nach dem großen Erfolg der NSDAP bei den Land­tagswahlen in Thürin­gen wurde Frick 1930 zum Innen- und Bil­dungsmin­is­ter ernan­nt. In dieser Posi­tion sorgte er dafür, daß Schultze-Naum­burg zum Direk­tor der Weimar­er Kun­sthochschule berufen wurde.

1930 mußten die Saaleck­er Werk­stät­ten infolge der Weltwirtschaft­skrise aufgelöst wer­den. Drei Jahre später gab Schultze-Naum­burg, wegen sein­er Direk­tion in Weimar, aber auch weil ihn das große Anwe­sen finanziell belastete, Saaleck auf. Zur DDR-Zeit befand sich ein Alter­sheim auf dem Gelände. Nach der Wende wurde das Haupthaus zunächst von der »Öko Werk­statt An der Finne e.V.« und später von der »Stiftung Saaleck­er Werk­stät­ten« für kul­turelle Ver­anstal­tun­gen genutzt. 2008 fol­gte die Auflö­sung der Stiftung. Das Anwe­sen fand einen pri­vat­en Käufer, wird von diesem aber nicht bewohnt. Unmit­tel­bar über dem ein­sti­gen Anwe­sen Schultze-Naum­burgs liegt die Burg Saaleck. 1912 oder 1915, hier vari­ieren die Angaben, bezog der Jurist, Dichter und Urkun­den­fälsch­er Hans Wil­helm Stein, der sich nach seinem Wohnort Stein-Saaleck nan­nte und sich auch gerne als »Burgherr auf Saaleck« tit­ulieren ließ, das ruinöse Gemäuer. Unter der Leitung des Architek­ten August Pfis­ter­er, Bürochef von Schultze-Naum­burgs Saaleck­er Werk­stät­ten, baute Stein-Saaleck, soweit seine finanziellen Mit­tel dazu aus­re­icht­en, Teile der Burg wieder auf. Trotz dieser Zusam­me­nar­beit und der engen Nach­barschaft lassen sich aber keine per­sön­lichen Beziehun­gen zwis­chen Stein-Saaleck und Schultze-Naum­burg nach­weisen.

Der »Burgherr auf Saaleck« wäre heute sicher­lich längst vergessen, wenn sich nicht die bei­den Atten­täter des Reich­saußen­min­is­ters Walther Rathenau, Her­mann Fis­ch­er und Erwin Kern, auf Burg Saaleck ver­steckt hät­ten. Als die Polizei am 17. Juli 1922 die Burg stürmte, starb Kern durch Kopf­schuß, woraufhin Fis­ch­er Selb­st­mord beg­ing. Stein-Saaleck, der zu diesem Zeit­punkt nicht auf der Burg war, machte vor Gericht gel­tend, daß sich die Atten­täter ille­gal Zutritt zur Burg ver­schafft hät­ten. Eine Lüge, mit der er allerd­ings vor Gericht durchkam. Nach 1933 jedoch pflegte
Stein-Saaleck sich mit sein­er Hel­fer­rolle bei der fehlgeschla­ge­nen Flucht der Rathenau-Atten­täter zu brüsten. Bere­its in sein­er 1927 erschiene­nen epis­chen Dich­tung, Die Geis­ter der Burg Saaleck, hat­te er den ver­meintlich deutschen Geist beschworen, der in der Burg Saaleck seit den Tagen des sagen­haften Grün­ders der Burg, dem Frankenkaiser Karl dem Großen, bis zu den zwei Rathenau-Atten­tätern seinen Platz gefun­den habe. Sich selb­st sah Stein-Saaleck in der Rolle des getreuen Hüters dieses »stein­er­nen« nationalen Ver­mächt­niss­es.

Fis­ch­er und Kern wur­den auf dem Saaleck­er Fried­hof beige­set­zt. 1933 stiftete Adolf Hitler einen neuen Grab­stein. Nach 1945 wurde die Inschrift des Grab­steins sowie der auf dem Grab­stein befind­liche Stahlhelm samt Hak­enkreuz und Eichen­laub ent­fer­nt. Der Grab­stein selb­st blieb während der DDR-Ära unange­tastet. Erst nach der Wende, im Jahr 2000, wurde er auf Betreiben der ort­san­säs­si­gen Pas­torin und mit tatkräftiger Unter­stützung ein­er Bun­deswehrein­heit ent­fer­nt. Der »Antifaschis­mus« war fes­ter Bestandteil der DDR-Staat­side­olo­gie – aber offen­sichtlich war
er weniger unduld­sam-aus­merzend als der­jenige der Bun­desre­pub­lik.

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Lit­er­atur:

  • Nor­bert Bor­rmann: Paul Schultze-Naum­burg 1869–1949. Maler, Pub­lizist, Architekt. Vom Kul­tur­reformer der Jahrhun­der­twende zum Kul­tur­poli­tik­er im Drit­ten Reich, Essen 1989
  • Heimat­bund Thürin­gen e. V./Landesheimatbund Sach­sen-Anhalt e. V. (Hrsg.): Deutsche Erin­nerungs­land­schaften: Rudels­burg-Saaleck-Kyffhäuser, Halle 2004
  • Gün­ter Neli­ba: Wil­helm Frick und Thürin­gen als Exper­i­men­tier­feld für die nation­al­sozial­is­tis­che Machter­grei­fung, in: Detlev Heiden/Gunther Mai (Hrsg.): Thürin­gen auf dem Weg ins »Dritte Reich«, Erfurt 1995
  • Mar­tin Sabrow: Der Rathenau­mord. Rekon­struk­tion ein­er Ver­schwörung gegen die Repub­lik von Weimar, München 1994