Huntington, Samuel, Politikwissenschaftler, 1927–2008

Der Poli­tik­wis­senschaftler Hunt­ing­ton, am 18. April in New York geboren, zählte zu den jüng­sten Akademik­ern der USA. 1946 erwarb er an der Yale-Uni­ver­sität seinen ersten Abschluß und set­zte sein Studi­um nach dem Mil­itär­di­enst an der Uni­ver­sität von Chica­go und der Har­vard-Uni­ver­sität fort. Mit 23 Jahren war er der jüng­ste Dozent Har­vards, wo er 1951 auch pro­movierte. Bere­its sein Buch The Sol­dier and the State (1957) sorgte für Auf­se­hen und löste eine anhal­tende Kon­tro­verse aus. Hunt­ing­ton beschrieb darin die Verän­derun­gen in den Beziehun­gen zwis­chen Bürg­ern, Mil­itär und Staat. Seine scharfe Analyse trug dazu bei, daß er 1959 zum stel­lvertre­tenden Direk­tor des Insti­tuts für Kriegs- und Friedens­forschung an der Colum­bia-Uni­ver­sität berufen wurde.

In seinem Werk Polit­i­cal Order in Chang­ing Soci­eties (1968) analysierte er, aus­ge­hend von der Dekolonisierungswelle und der Eskala­tion in Südostasien, die Entwick­lun­gen der 60er Jahre und präsen­tierte seine Mod­ernisierungs­the­o­rie. Dabei geht Hunt­ing­ton davon aus, daß Mod­ernisierung zwangsläu­fig zu Phasen der poli­tis­chen Insta­bil­ität führt. Zur Über­win­dung dieser Tur­bu­len­zen auf dem Weg zur Demokratisierung sind laut Hunt­ing­ton poli­tis­che Insti­tu­tio­nen erforder­lich, durch die Dik­taturen bzw. Ein­parteien­staat­en ver­hin­dert wer­den kön­nen. Diese The­o­rie wandte er auch auf Viet­nam an und beri­et US-amerikanis­che Entschei­dungsträger.

Der seit 1963 in Havard lehrende Hunt­ing­ton wurde 1973 zunächst stel­lvertre­tender Direk­tor des Zen­trums für inter­na­tionale Beziehun­gen, 1978 schließlich Direk­tor (bis 1989). Auf­grund dessen und sein­er Tätigkeit als Koor­di­na­tor der Sicher­heit­s­pla­nung für den Nationalen Sicher­heit­srat unter Präsi­dent Carter fällt es seinen Kri­tik­ern schw­er, ihn poli­tisch als „Recht­en“ abzustem­peln.

Hunt­ing­ton beri­et ver­schiedene Regierun­gen bei der Umset­zung poli­tis­ch­er Refor­men, darunter auch die südafrikanis­che, die sich durch das Mod­ell des „pow­er-shar­ings“ einen Ausweg aus der Rolle des Pari­as­taates erhoffte. Bei diesen inter­na­tionalen Beratun­gen ver­fol­gte Hunt­ing­ton immer das Ziel eines weltweit­en Aus­baus der Demokratie. Er räumte jedoch ein, daß Demokra­tien häu­fig sehr zer­brech­liche Regierungs­for­men sein kon­nten. Darüber hin­aus akzep­tierte er auch repres­sive Maß­nah­men im Rah­men der Auf­s­tands­bekämp­fung.

Seine These vom „Zusam­men­prall der Kul­turen“ war in dieser Hin­sicht eine bemerkenswerte Kursko­r­rek­tur, bei der er, ver­mut­lich auch basierend auf eige­nen Erfahrun­gen, u.a. zu der Schlussfol­gerung kam, daß west­liche Werte ein­ma­lig und keineswegs uni­ver­sal seien. Die 1993 aufgestell­ten The­sen waren eine Reak­tion auf den Zusam­men­bruch des bipo­laren Welt­sys­tems und den Auf­stieg der USA zur alleini­gen Super­ma­cht.

Als zu „kon­ser­v­a­tiv“ und „hol­lis­tisch“ kri­tisiert, ver­schärfte Hunt­ing­ton 2004 durch die Veröf­fentlichung von Who Are We? ein weit­eres Mal seine Posi­tion. Er kri­tisiert darin die Zuwan­derungspoli­tik der USA und macht den Mul­ti­kul­tur­al­is­mus als Bedro­hung für die US-amerikanis­che Iden­tität aus. Er beleuchtet außer­dem die demographis­chen Ver­schiebun­gen und die daraus resul­tieren­den Fol­gen für den zukün­fti­gen Zusam­men­halt der USA.

Hunt­ing­ton kann als poli­tis­ch­er Real­ist betra­chtet wer­den, der in der Lage war, die Schwächen der eige­nen Überzeu­gun­gen zu erken­nen und zu über­denken. Sein Mod­ernisierungs- und Demokratieop­ti­mis­mus scheint mit dem Ende des Kalten Krieges zunehmend zu verblassen. Seine Kul­turkampfthe­o­rie, in der „Eth­niz­ität“, Lokalpoli­tik und „Zivil­i­sa­tion“ die Glob­alpoli­tik bes­tim­men, erwies sich als eine real­is­tis­che Prog­nose. Die Har­moniev­er­sprechen eines „Endes der Geschichte“ und der „mul­ti­kul­turellen Gesellschaft“ sind weit­ge­hend wider­legt. Der einzige Vor­wurf, den man Hunt­ing­ton machen kön­nte, ist der, daß er den Anteil der eth­nis­chen Kon­flik­te unter­schätzt hat. Diese stellen die Mehrzahl der Krisen­herde. Den­noch blieb deren Eskala­tion, zu weltweit­en Zivil­i­sa­tion­skriegen, bish­er aus.

Nach den Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 äußerte sich Hunt­ing­ton zunehmend besorgt über eine Sicher­heit­slage, die für die Men­schen im West­en ein dauer­haftes Leben mit dem „Qua­si­krieg“ bedeuten würde. An die Stelle der Bedro­hung durch zwis­chen­staatliche Kriege sei die durch ter­ror­is­tis­che Akteure im Inland getreten. Er riet den USA davon ab, im Irak einzu­marschieren, und riet zu stärk­er­er Konzen­tra­tion auf die innere Sta­bil­ität des eige­nen Lan­des, dessen Insti­tu­tio­nen durch Mul­ti­kul­tur­al­is­mus und Iden­tität­sero­sion geschwächt seien. Hunt­ing­ton schien zu ahnen, daß seine „kul­turellen Bruch­lin­ien“ sich schon lange nicht mehr durch den Balkan oder das Himalaya-Gebirge ziehen, son­dern durch die Straßen amerikanis­ch­er Großstädte oder die Gren­ze zu Mexiko.

Er starb am 24. Dezem­ber 2008 in Martha´s Vine­yard (Mass­a­chu­setts).

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Zitat:

Fast über­all wird von Men­schen hin­ter­fragt, neu über­dacht und neue definiert, was sie mit anderen gemein­sam haben und was sie von anderen unter­schei­det. Wer sind wir? Wohin gehören wir? Das sind die Fra­gen… Die Men­schen iden­ti­fizieren sich mit denen, die ihnen am ähn­lich­sten sind und denen sie sich durch die gle­iche Eth­niz­ität oder Reli­gion, durch gemein­same Tra­di­tio­nen, einen gemein­samen Abstam­mungsmythos und eine gemein­same Geschichte ver­bun­den fühlen.

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Schriften:

  • The Sol­dier and the State. The The­o­ry and Pol­i­tics of Civ­il-Mil­i­tary Rela­tions, 1957
  • Polit­i­cal Order in chang­ing soci­eties, New Haven 1968
  • Amer­i­can mil­i­tary Strat­e­gy, Berke­ley 1986
  • The third wave. Democ­ra­ti­za­tion in the late twen­ti­eth cen­tu­ry, Nor­man 1991
  • Kampf der Kul­turen. Die Neugestal­tung der Welt­poli­tik im 21. Jahrhun­dert, München/Wien 1996
  • Who are we? Die Krise der amerikanis­chen Iden­tität, Hamburg/ Wien 2004