Traktat über die Gewalt — Wolfgang Sofsky, 1996

Wolf­gang Sof­sky und sein Buch Die Ord­nung des Ter­rors wur­den 1993 ein­er größeren Öffentlichkeit bekan­nt, als er dafür den Geschwis­ter- Scholl-Preis erhielt. Irri­tierend war jedoch, daß Sof­sky die Machtwelt der Konzen­tra­tionslager mit großer Nüchtern­heit beschrieb und in ihr nur ein Beispiel für die men­schliche Destruk­tiv­ität sah, das sich der Ver­ste­hbarkeit nicht entziehe. Wer das leugnet, so Sof­sky, argu­men­tiert moralisch und will nicht ver­ste­hen, son­dern »his­torischen Sinn« stiften.

Dage­gen betont Sof­sky im Trak­tat über die Gewalt, daß die Gewalt zum Men­schen gehört, eine Abschaf­fung der Gewalt daher unmöglich ist. Lediglich die Aus­maße der Gewalt ändern sich von Zeit zu Zeit. Phasen der Ent­gren­zung wer­den von Zeit­en gehegter Gewalt abgelöst. Die Ent­fes­selung ist jed­erzeit möglich.

Sof­sky stellte fest, daß jed­er den anderen töten oder schädi­gen kon­nte, als alle Men­schen noch gle­ich und frei waren. Also einigte man sich auf einen Ver­trag, der das ver­hin­dern sollte, jedoch kon­nte nie­mand sich­er sein, daß der andere sich daran hielt. Man über­gab die Waf­fen und damit die Gewalt an gewählte Führer, die jet­zt über die Ein­hal­tung des Friedens wacht­en, schließlich unter dem Ein­satz aller Mit­tel. Nur so war die Ord­nung aufrechtzuer­hal­ten. Irgend­wann fand die alte Frei­heit und Gle­ich­heit wieder Anhänger, die schließlich die Ord­nung stürzten. In dem Gemet­zel waren wieder alle frei und gle­ich gefährdet. Die Geschichte erscheint so als ewiger Ver­such, das Ver­hält­nis zwis­chen Ord­nung und Gewalt auszu­pen­deln.

Frei­heit schafft, hängt davon ab, wer die Gewalt ausübt. Die For­men gle­ichen sich. Ein­dringlich schildert Sof­sky die Äußerun­gen, Bedin­gun­gen und Umstände dieser Gewalt, sei es als Tor­tur, Hin­rich­tung oder Mas­sak­er. Immer geht es ihm dabei um die Gren­ze zwis­chen Frei­heit und Ord­nung. Im Mas­sak­er ent­fes­seln die Men­schen ihre Destruk­tivkräfte, »um für kurze Zeit den langersehn­ten utopis­chen Zus­tand zu ver­wirk­lichen, den absoluter Frei­heit und Gle­ich­heit, Ein­heit und Ganzheit«. Dieser Zus­tand bleibt Moment, weil der Rausch ver­fliegt und in der Nüchtern­heit die Frage entste­ht: Was habe ich getan? Die Zäh­mung der Gewalt ist dann nicht nur durch Gewalt möglich, son­dern auch durch das »Bewußt­sein until­gbar­er Schuld«. Der innere Zwang hat den äußeren abgelöst: Die daraus erwach­sene Kul­tur birgt jedoch den Keim zu neuer Gewalt, die sie wieder zer­stört.

Kul­tur ist für Sof­sky nichts Ver­söhn­lich­es, sie kann das Lei­den nicht dauer­haft aus­gle­ichen. Damit stellt sich Sof­sky den gängi­gen opti­mistis­chen Wun­schvorstel­lun­gen ent­ge­gen und schließt sich den Aus­sagen Carl Schmitts an, ohne ihn aus­drück­lich zu erwäh­nen. Trotz dieser kaum  mehrheits­fähi­gen Posi­tion, die immer wieder den Ver­dacht aufkom­men ließ, daß es sich bei Sof­sky um einen Zyniker oder Pro­voka­teur han­deln müsse, hat Sof­sky seit seinem Trak­tat eine große medi­ale Präsenz erre­ichen kön­nen.

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Zitat:

Nicht im Han­deln, im Lei­den liegt der Ursprung der Gesellschaft.

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Aus­gabe:

  • Taschen­buch, Frank­furt a. M.: Fis­ch­er 2005

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Lit­er­atur:

  • Erik Lehn­ert: Autoren­por­trait Wolf­gang Sof­sky, in: Sezes­sion (2009), Heft 29