Über die Diktatur — Juan Donoso Cortés, 1948

Die franzö­sis­che Feb­ru­ar­rev­o­lu­tion von 1848 erschüt­terte Cortés, der bis dahin ein kon­ser­v­a­tiv­er Lib­eraler und Kon­sti­tu­tion­al­ist gewe­sen war, in den Grund­festen. Er wandte sich entsch­ieden dem römis­chen Katholizis­mus zu und sah in der Gegen­wart einen Kataklysmus ent­fes­selt, dem gegenüber die Franzö­sis­che Rev­o­lu­tion von 1789 nur ein Vor­spiel gewe­sen war. Cortés diag­nos­tizierte in dem Krisen­jahr zugle­ich das voll­ständi­ge Ver­sagen des Lib­er­al­is­mus, der wed­er »Ja« noch »Nein« sagt. Cortés wurde noch 1848 zum spanis­chen Gesandten in Paris ernan­nt, kehrte aber bin­nen kurzem nach Madrid zurück, wo er am 4. Jan­u­ar 1849 als Abge­ord­neter vor dem Par­la­ment die große Rede über die Dik­tatur hielt. Eine zweite Rede über die Lage in Europa fol­gte ein Jahr später; die dritte Rede zur Sit­u­a­tion in Spanien schließlich Ende 1850. Cortés diag­nos­tizierte zunehmend die Aus­sicht­slosigkeit ein­er »Reak­tion« und zog sich immer weit­er aus der aktuellen Poli­tik zurück.

Als spanis­ch­er Gesandter in Paris ver­faßte er sein Hauptwerk, den Essay über den Katholizis­mus, den Lib­er­al­is­mus und den Sozial­is­mus (1851). In der Dik­tatur-Rede geht Cortés von dem »furcht­baren Wort« aus, vor dem man aber nicht zurückschreck­en darf, daß näm­lich die Frei­heit selb­st an ihr Ende gelangt sei, in jen­em Krisen­jahr, in dem sich Europa im Bürg­erkrieg vere­inigt habe und der Sturz Met­ter­nichs den Sturz eines poli­tis­chen Chris­ten­tums anzeigte. Cortés macht sodann deut­lich, daß es keine Wahl zwis­chen Frei­heit oder Dik­tatur gibt, son­dern nur zwis­chen ein­er Dik­tatur von oben (der Dik­tatur des Säbels) und ein­er Dik­tatur von unten (der bluti­gen, maßlosen Dik­tatur des Dolch­es).

Anlaß der großen Par­la­mentsrede war die Rückschau auf das »Gesetz der außeror­dentlichen Voll­macht­en « aus dem Jahr 1848, das die rev­o­lu­tionären Auf­stände nieder­schla­gen half. Bemerkenswert ist dabei: Cortés geht es nicht mehr darum, die Legal­ität der »exzep­tionellen Dik­tatur« zu begrün­den. Zu Recht hat Gün­ter Maschke darauf hingewiesen, daß Cortés, anders als preußis­che Kon­ser­v­a­tive wie Ger­lach, kein Zögern gegenüber Bona­partismus oder Cäsaris­mus erken­nen läßt, son­dern über die »dic­tatu­ra legal« hin­aus­ge­ht.

Er benen­nt aber mit dem sein­erzeit unge­bräuch­lichen Begriff der »Dik­tatur von unten« die unaufhalt­same Zer­störung der soci­etas civilis und das Aufkom­men des »riesi­gen uni­versellen, unge­heuren Tyran­nen« ein­er alles ver­schlin­gen­den Mas­sen­ge­sellschaft. Jede weltliche Macht, die keine Begren­zung und keinen Gegen­halt find­et, sieht er der Ten­denz nach als Signum des Antichrists, des großen Tieres. Zweck und Legit­i­ma­tion der Dik­tatur des Säbels kann es einzig sein, eine religiöse Reak­tion her­vorzu­rufen. Dies ist für Donoso Cortés das einzige Mit­tel, um die Katas­tro­phe zu ver­hin­dern. Hier hat der berühmte Ther­mome­ter-Ver­gle­ich seinen Ort. In dem Maße, in dem die religiöse Tem­per­atur absinke, steige die poli­tis­che. Die religiöse (christliche) Bindekraft ist für Cortés damit die let­zte kat­e­chon­tis­che (den Antichrist aufhal­tende) Macht, ohne die eine Massen­tyran­nei in Gang kom­men würde, die die Grund­festen der europäis­chen Zivil­i­sa­tion zer­stören müßte.

Am Ende der Dik­tatur-Rede bemerkt Cortés, daß in ein­er Zeit, in der die Frei­heit in Europa nicht mehr existiert, die beste­hen­den kon­sti­tu­tionellen Monar­chien nur noch »Skelette ohne Leben« sind. Berühmt gewor­den ist Cortés’€™ Rede auch durch die Deu­tung Carl Schmitts. In diesem Sinn kann sein Denken als Neuaneig­nung des Hobbess­chen Grund­satzes »Auc­tori­tas, non ver­i­tas fac­it leg­em« gel­ten. Bei näherem Hin­se­hen ist die These der Dik­tatur-Rede freilich beschei­den­er: »Wenn die Legal­ität aus­re­icht, um die Gesellschaft zu ret­ten, so [wäh­le man] die Legal­ität – wenn sie nicht aus­re­icht, die Dik­tatur.«

Mehr als alles andere beschäftigt den späten Cortés die finale Auseinan­der­set­zung (»la gran con­tien­da«) zwis­chen dem »filosofis­mo«, dem »ratio­nal­is­tis­chen Geist« und der katholis­chen Zivil­i­sa­tion, die sich auf das Dog­ma der Erb­sünde bezieht. Ein poli­tis­ches Votum scheint damit von vorn­here­in ad absur­dum geführt. Der Tiefend­eu­tung der Geschichte geht Cortés in seinem Essay über den Katholizis­mus nach, ein­er großen Geschichtsvi­sion des Zeital­ters der Rev­o­lu­tio­nen im Zeichen des Antichrists.

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Zitat:

Die Frage beste­ht also, meine Her­ren, wie ich es schon gesagt habe, nicht zwis­chen Frei­heit und der Dik­tatur; bestünde sie zwis­chen Frei­heit und Dik­tatur, so würde ich für die Frei­heit stim­men, wie alle, die wir hier sitzen. Aber .… es han­delt sich darum, zwis­chen der Dik­tatur des Auf­s­tandes und der Dik­tatur der Regierung zu wählen. In diesem Falle wäh­le ich die Dik­tatur der Regierung als die weniger drück­ende und die weniger belei­di­gende.

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Aus­gabe:

  • Über die Dik­tatur. Drei Reden aus den Jahren 1849/50, hrsg., aus dem Spanis­chen über­tra­gen und kom­men­tiert von Gün­ter Maschke, Wien/Leipzig: Karolinger 1996

Lit­er­atur:

  • José Maria Beney­to: Apoka­lypse der Mod­erne. Die Dik­tatur­the­o­rie von Donoso Cortés, Stuttgart 1988
  • Carl Schmitt: Donoso Cortés in gesam­teu­ropäis­ch­er Inter­pre­ta­tion. Vier Auf­sätze, Köln 1950