Vom Kriege — Carl von Clausewitz, 1832–1834

Das vom Autor nur noch in kleinen Teilen bis zur Druck­reife über­ar­beit­ete, gut 1000seitige Opus mag­num (in acht »Büch­ern«) des preußis­chen Gen­er­als Carl von Clause­witz ent­stand in Auseinan­der­set­zung mit der Kriegführung Napoleons.Er analysierte nicht nur, wie viele andere, die als rev­o­lu­tionär gel­tenden, neuen mil­itärischen Phänomene im engeren kriegswis­senschaftlichen Sinne, son­dern entwick­elte – mit Hil­fe der Logik Kants und der Dialek­tik Hegels – eine philosophis­che The­o­rie des Krieges und seines Zusam­men­hangs mit der Poli­tik.

Clause­witz hat seine Kern­the­sen zum Wesen des Krieges und zum Zusam­men­hang von Krieg und Poli­tik im – noch selb­st  über­ar­beit­eten – 1. Kapi­tel des 1. »Buch­es« zusam­menge­faßt sowie im nicht mehr über­ar­beit­eten 8. »Buch« dargelegt. Seine zen­trale Fest­stel­lung, daß der Krieg »eine Fort­set­zung des poli­tis­chen Verkehrs … mit anderen Mit­teln« ist, gilt all­ge­mein als Quin­tes­senz von Vom Kriege.

Doch definiert Clause­witz den Krieg zunächst ein­fach als einen »Akt der Gewalt, um den Geg­n­er zur Erfül­lung unseres Wil­lens zu zwin­gen«. Krieg wird so wed­er als juris­tisch oder moralisch qual­i­fizier­bar­er Zus­tand noch als ein enthemmtes Ausagieren eines naturgegebe­nen men­schlichen Aggres­sion­striebes begrif­f­en, son­dern als ein bes­timmter Modus des ziel­gerichteten Han­delns ein­er Gruppe gegen andere.

Clause­witz tren­nt dabei scharf zwis­chen Zweck und Mit­tel, wobei »die physis­che Gewalt« das Mit­tel, hinge­gen, »dem Feinde unseren Willen aufzu­drin­gen, der Zweck« des Krieges ist. Der sich­er­ste Weg zur Erre­ichung dieses Zweck­es beste­ht jedoch darin, den Feind wehr­los zu machen, so daß im Krieg selb­st zunächst die voll­ständi­ge Nieder­w­er­fung des Fein­des zum eigentlichen Kriegszweck zu wer­den scheint. Begriff­s­notwendig führt diese Ver­drän­gung des ursprünglichen, unter Umstän­den begren­zten Zwecks zu ein­er wech­sel­seit­i­gen Steigerung des Gewal­tein­satzes gegeneinan­der »bis zum äußer­sten «. Diese Eskala­tion­sspi­rale hin zu ein­er völ­lig schranken- und verzugslosen gegen­seit­i­gen Gewal­tan­wen­dung, zum »reinen« bzw. »absoluten Krieg« ist zwar nur eine the­o­retis­che Ableitung, die indes in jedem Krieg als allzeit real­isier­bare Möglichkeit im Hin­ter­grund schlum­mert.

In der Real­ität verzögern schon bes­timmte, dem Krieg imma­nente Eigen­schaften wie die generellen Vorteile der Defen­sive gegenüber der Offen­sive, Frik­tio­nen wie die unver­mei­d­bare »unvol­lkommene Ein­sicht« der Akteure und die Unwäg­barkeit­en des Kriegs­glücks diese Eskala­tion. Der ursprüngliche, nicht dem Krieg selb­st ange­hörende Zweck, den jew­eili­gen poli­tis­chen Willen der Akteure durchzuset­zen, erhält so wieder Gele­gen­heit, sich zur Gel­tung zu brin­gen.

Clause­witz ver­ste­ht unter Poli­tik zweier­lei: Im Sinne eines »sub­jek­tiv­en« Begriffes zunächst die Set­zung von ratio­nalen Zweck­en durch eine klar definierte Instanz wie z. B. eine staatliche Regierung. Hier wird der Krieg als deren »poli­tis­ches Instru­ment« gese­hen, um durch den zweck­ra­tionalen Ein­satz von Gewalt bes­timmte Ziele zu erre­ichen. In diesem Sinne pos­tuliert Clause­witz einen generellen Führungsanspruch der poli­tis­chen gegenüber der mil­itärischen Leitung auch im Krieg – wobei im Ide­al­fall jene die Möglichkeit­en des Krieges genau einzuschätzen ver­mag und ihre Ziele immer wieder auf ihre Real­isier­barkeit hin über­prüft. Auf der anderen Seite gibt es einen »objek­tivierten« Begriff von Poli­tik als die Gesamtheit der anony­men, der bewußten Steuerung ent­zo­ge­nen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geisti­gen Kraftlin­ien inner­halb und zwis­chen den Völk­ern. Poli­tik in diesem Sinne nimmt in jedem Fall und ohne beson­dere insti­tu­tionelle Vorkehrun­gen Ein­fluß auf die jew­eilige Art der Kriegführung. In bei­den Fällen impliziert die Überord­nung der Poli­tik im übri­gen nicht unbe­d­ingt eine Hegung, son­dern unter Umstän­den auch eine Eskala­tion des Krieges.

Clause­witz’€™ poli­tis­che Erfahrun­gen entstammten ein­er Welt, in der sou­veräne Staat­en den poli­tis­chen Willen ander­er Staat­en zwecks Durch­set­zung ihrer Inter­essen zu bee­in­flussen sucht­en. Die daraus resul­tieren­den Kon­flik­te wur­den in unter­schiedlich­er Weise aus­ge­han­delt, der zwis­chen­staatliche »poli­tis­che Verkehr « fand entwed­er gewalt­frei im Modus Diplo­matie oder gewalt­sam im Modus Krieg statt, in dem qua­si nur die »Fed­er mit dem Degen getauscht« wurde.

Wenn auch diese ein­fache Dichotomie mit­tler­weile ver­al­tet erscheinen mag, so bleiben Clause­witz’€™ Ein­sicht­en zum generellen Ver­hält­nis von Krieg und Poli­tik auch heute gültig – und wer­den es bleiben, solange Men­schen­grup­pen dazu bere­it sind, ihre Inter­essen gegen andere Grup­pen not­falls auch mit Gewalt durchzuset­zen und die damit ver­bun­de­nen Risiken einzuge­hen. Dafür spricht, nicht zulet­zt, daß Clause­witz erfol­gre­ich adap­tiert wer­den kon­nte, u. a. von Mao, um das Pri­mat der Poli­tik für eine mil­i­tante Rev­o­lu­tion zu reklamieren.

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Zitat:

So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein poli­tis­ch­er Akt, son­dern ein wahres poli­tis­ches Instru­ment ist, eine Fort­set­zung des poli­tis­chen Verkehrs, eine Durch­führung des­sel­ben mit anderen Mit­teln. Was dem Krieg nun noch  eigen­tüm­lich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigen­tüm­liche Natur sein­er Mit­tel.

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Aus­gabe:

  • 19. Auflage, voll­ständi­ge Aus­gabe im Urtext, drei Teile in einem Band, Bonn: Dümm­ler 1980

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Lit­er­atur:

  • Ray­mond Aron: Clause­witz. Den Krieg denken, Frank­furt a. M. 1980
  • Ulrike Kleemeier: Grund­fra­gen ein­er philosophis­chen The­o­rie des Krieges. Pla­ton, Hobbes und Clause­witz, Berlin 2002