Zum ewigen Frieden — Immanuel Kant, 1795

Mit dieser Schrift reagierte Kant auf den Sep­a­rat­frieden von Basel (5. April 1795), der zwis­chen dem Kön­i­gre­ich Preußen und der Franzö­sis­chen Repub­lik vere­in­bart wurde und mit dem sich Preußen vom ersten Koali­tion­skrieg der europäis­chen Mächte gegen das in Bürg­erkriegswirren ver­strick­te Frankre­ich ver­ab­schiedete; diese Friedenspe­ri­ode hielt zehn Jahre an, bis es 1806 zum Desaster bei Jena/Auerstedt kam.

Kants Schrift ist kein Moral-Trak­tat, son­dern in der Form eines pro­to­typ­isch inter­na­tionalen Ver­trags zwis­chen Staat­en ver­faßt. Im ersten Teil wer­den sechs Prälim­i­narar­tikel for­muliert, die einen
all­ge­meinen Rah­men zur Ver­hal­tensweise vernün­fti­gen zwis­chen­staatlichen Zusam­men­lebensin gegen­seit­iger Sicher­heit explizieren:

(1) Friedenss­chlüsse dür­fen nicht den Keim kün­ftiger Kriege in sich tra­gen;

(2) Staat­en sind keine Erb­schafts­masse;

(3) ste­hende Heere sollen – sukzes­sive – abgeschafft wer­den;

(4) kriegsvor­bere­i­t­ende Staatss­chulden sind ver­boten;

(5) es beste­ht ein zwis­chen­staatlich­es Ein­mis­chungsver­bot;

(6) es sollen kriegsrechtliche Stan­dards (gegen »ehrlose Strategeme«, die den Geg­n­er als Unmen­schen behan­deln) gel­ten.

Der zweite Teil entwirft drei Defin­i­ti­var­tikel, die diesen zwis­chen­staatlichen Ver­trauen­srah­men dauer­haft machen sollen, näm­lich:

(1) Bürg­er­liche Ver­fas­sun­gen sollen repub­likanisch (nicht despo­tisch) sein;

(2) das Völk­er­recht muß auf einen Föder­al­is­mus freier Staat­en gegrün­det sein;

(3) das Welt­bürg­er­recht soll auf Bedin­gun­gen all­ge­mein­er Hos­pi­tal­ität (= Besuch­srecht) eingeschränkt bleiben.

Zwei Zusätze beant­worten die Frage nach der »Garantie des ewigen Friedens«, für die let­ztlich die Natur sorgt, und stellen (ab der zweit­en Auflage von 1796) den Philosophen als Berater her­aus. Im Anhang erörtert Kant das Ver­hält­nis von Poli­tik und Moral, wobei die Poli­tik der Moral zu fol­gen hat.

Kants Schrift bildet den Abschluß des Krieg-Frieden-Diskurs­es der Aufk­lärung, den Johann Valentin Emb­ser mit sein­er anonym erschiene­nen Schrift ”Die Abgöt­terei unsres philosophis­chen Jahrhun­derts. Erster Abgott. Ewiger Friede” (1779) eröffnete. Darin wird der Krieg als zeitüber­greifende Kul­turtech­nik, die neben ihrem nihilis­tis­chen immer auch ein zivil­isatorisches Ele­ment ausweist, dargestellt und kommt zu dem Schluß: »Mit wehmüthig­sten Gefüh­le schreibe ich dieses nieder: Das Pro­jekt des ewigen Friedens kann nicht, und, wenn es kön­nte, darf nicht aus­ge­führt wer­den.« Gegen die moralis­che Dichotomie »ewiger Frieden ver­sus ewiger Krieg« argu­men­tiert Emb­ser für ein – als poli­tis­che Auf­gabe – immer wieder herzustel­len­des Gle­ichgewicht von Krieg und Frieden. Der Denkein­satz Emb­sers wird zunächst auch von Kant geteilt, als er im ”Mut­maßlichen Anfang der Men­schengeschichte” (1786) sozusagen welth­is­torisch argu­men­tiert: »Man sehe nur Sina [Chi­na] an, welch­es keinen mächti­gen Feind zu fürcht­en hat und in welchem daher alle Spur von Frei­heit ver­til­gt ist. – Auf der Stufe der Cul­tur also, worauf das men­schliche Geschlecht noch ste­ht, ist der Krieg ein unent­behrlich­es Mit­tel, dieses noch weit­er zu brin­gen.« Es gehörte zur Reflex­ion­skul­tur der Aufk­lärung, daß es par­al­lel zur – natur­wüch­si­gen – Friedenssehn­sucht aber auch vernün­ftig ist, den Krieg zu denken, einen Begriff dieses geschichtlich-anthro­pol­o­gis­chen Phänomens zu erre­ichen.

Daß Kants Ewiger Frieden nicht ein unret­tbar utopis­ches Pro­jekt in den Gren­zen des bloßen guten Wil­lens bleiben muß, hat vor allem auch Hegel immer wieder betont. In seinen Grundlin­ien der ”Philoso­phie des Rechts” (1821) schreibt er: »Ewiger Friede wird häu­fig als ein Ide­al gefordert, worauf die Men­schheit zuge­hen müsse. Kant hat so einen Fürsten­bund vorgeschla­gen, der die Stre­it­igkeit­en der Staat­en schlicht­en sollte, und die heilige Allianz hat­te die Absicht, unge­fähr ein solch­es Insti­tut zu seyn.«

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Zitat:

Es ist der Han­dels­geist, der mit dem Kriege nicht zusam­men beste­hen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt.

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Aus­gabe:

  • Aus­gabe mit Tex­ten zur Rezep­tion 1796– 1800, Leipzig: Reclam 1984
  • Taschen­buchaus­gabe, Stuttgart: Reclam 2008

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Lit­er­atur:

  • Karl Jaspers: Kants »Zum ewigen Frieden«, in: ders.: Aneig­nung und Polemik. Gesam­melte Reden und Auf­sätze zur Geschichte der Philoso­phie, München 1968