Zyklus

Zyk­lus bedeutet vom Griechis­chen kyk­los her soviel wie »Kreis« beziehungsweise »Kreis­lauf«, vor allem Kreis­lauf der Zeit, bezieht sich also auf einen Vor­gang, der par­tielle Verän­derung mit sich bringt, aber immer wieder zu seinem Anfangspunkt zurück­kehrt. Eine der­ar­tige Anschau­ung ist uralt, war in tra­di­tionalen Gesellschaften Nor­mal­ität und prägt auch heute noch die Men­tal­ität der großen asi­atis­chen Kul­turen. Diese zen­trale Bedeu­tung des Zyk­lus hängt mit der frühen Wahrnehmung des Wech­sels der Jahreszeit­en durch den Men­schen zusam­men, der für die Wild­beuter eben­so von Bedeu­tung war wie für Bauern und Viehzüchter.

Allerd­ings ist mit der Über­tra­gung eines zyk­lis­chen Zeit­bildes auf die Geschichte ins­ge­samt eine Rei­he von logis­chen Schwierigkeit­en ver­bun­den, da zwar im Lauf eines Jahres Früh­ling, Som­mer, Herb­st und Win­ter einan­der fol­gen und sich diese Abfolge dann genau­so und fortwährend wieder­holt, aber für das Leben der Indi­viduen wie die Entwick­lung ihrer natür­lichen Bedin­gun­gen und kul­turellen Her­vor­bringun­gen gilt das nicht.

Eli­ade hat deshalb auf das Bedürf­nis früher Völk­er hingewiesen, die Geschichte regelmäßig rit­uell zu »zer­stören«, um an den Ursprung, die starke Zeit vor aller Zeit, zurück­zukehren. Eine Vorstel­lung, die sich in Resten lange erhal­ten hat, aber in dif­feren­zierten Gesellschaften doch in den Hin­ter­grund trat. Wollte man am Zyk­lus fes­thal­ten, war es nötig, eine Rei­he von Zusatzan­nah­men zu machen; dazu gehören vor allem:

1. die Idee ein­er Reinkar­na­tion, das heißt ein­er Wiederge­burt und damit eines Wieder­be­ginns des einzel­nen Lebens in einem anderen Kör­p­er,
2. die Über­tra­gung des his­torischen Zyk­lus ins Große, indem man etwa Welt­jahre annimmt, so daß sich die Bedeu­tung der geschichtlichen Verän­derun­gen min­imiert, die nur noch schein­bare sind, aber etwa im Ablauf vom Gold­e­nen zum Sil­ber­nen zum Ehernen zum Eis­er­nen Zeital­ter uner­he­blich bleiben, weil diese Folge nach dem Schluß der let­zten Epoche von vorne begin­nt,
3. die Beschränkung, so daß der Zyk­lus nur noch bes­timmte Aspek­te der Sozialord­nung bet­rifft, zum Beispiel die Abfolge der Ver­fas­sungs­for­men im Sinn ein­er Degen­er­a­tion und Regen­er­a­tion oder die Phasen der­sel­ben Entwick­lungsstufen, die nacheinan­der die ver­schiede­nen Kul­turen durch­laufen,
4. die Mod­i­fika­tion, indem man zum Beispiel an die Stelle des geschlosse­nen Kreis­es eine Spi­rale set­zt und so eine ten­den­zielle Verän­derung zugibt.

Der Ein­fluß der­ar­tiger Mod­elle auf soziale The­o­rien und das Geschichts­denken war und ist erhe­blich. In Europa gab es allerd­ings immer den stärk­sten Wider­stand gegen das Konzept, da unter dem Ein­fluß der bib­lis­chen Zeitvorstel­lung eigentlich nur eine lin­eare Anschau­ung möglich war, die die Ein­ma­ligkeit der his­torischen Ereignisse und die Ein­ma­ligkeit der men­schlichen Indi­viduen behaupten mußte. Davon sind auch die Geschicht­s­the­o­rien der Mod­erne nicht abgewichen, wen­ngle­ich sie mit der Fortschrittsidee eine andere Auf­fas­sung von der Rich­tung des his­torischen Prozess­es ein­führten.

Dage­gen wandte sich Niet­zsches Gen­er­alan­griff auf das Chris­ten­tum und die zeit­genös­sis­chen Werte mit sein­er Reha­bil­i­tierung des Zyk­lus in der Lehre von der »ewigen Wiederkehr«. Überzeu­gend gelun­gen ist das außer­halb des lit­er­arischen Bere­ichs nicht, weil es let­ztlich keinen Weg zurück in die Gewißheit­en des hei­d­nisch-antiken Men­schen­tums gab.

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Zitate:

Die Welt­geschichte ist ein ewiger Über­gang vom Alten zum Neuen. Im steten Kreis­lauf der Dinge zer­stört alles sich selb­st, und die Frucht, die zur Reife gediehen ist, löset sich von der Pflanze ab, die sie her­vorge­bracht hat. Soll aber dieser Kreis­lauf nicht zum schnellen Unter­gange alles Beste­hen­den, mithin auch alles Recht­en und Guten führen, so muß es notwendig neben der großen, zulet­zt immer über­wiegen­den Anzahl der­er, welche für das Neue arbeit­en, auch eine kleinere geben, die mit Maß und Ziel das Alte zu behaupten und den Strom der Zeit, wenn sie ihn auch nicht aufhal­ten kann noch will, in einem geregel­ten Bette zu erhal­ten sucht.
Friedrich von Gentz

Die Skep­sis des Nüchter­nen gilt auch eher der geschichts­dy­namis­chen Grund­fig­ur von der Wiederkehr, der Wieder­her­stel­lung, der Glo­rie der Anfänglichkeit an sich, die vom Mit­te­lal­ter bis zur Roman­tik (ein­schließlich Niet­zsche und Nach­folge) Ver­heißung trug in ein blindes Welt­geschehen. Erst einem detailschar­fen, hochau­flösenden Geschichts­be­wußt­sein der neueren Zeit verge­ht dies Schema ein­er mod­i­fizierten Heilser­wartung.
Botho Strauß

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Lit­er­atur:

  • Mircea Eli­ade: Kos­mos und Geschichte. Frank­furt, M.; Leipzig: Verl. der Wel­tre­li­gio­nen, 2007
  • Gerd Hard­ers: Der ger­ade Kreis — Niet­zsche und die Geschichte der ewigen Wiederkehr. Berlin: Dunck­er & Hum­blot, 2007
  • Karl Löwith: Welt­geschichte und Heils­geschehen. Stuttgart; Weimar: Met­zler, 2004
  • Armin Mohler; Karl­heinz Weiß­mann: Die Kon­ser­v­a­tive Rev­o­lu­tion in Deutsch­land 1918–1932. Graz: Ares-Verl., 2005
  • Wal­ter F. Otto: Theo­pha­nia. Frank­furt am Main: Kloster­mann, 1993