1715 — Friedrich Wilhelm I. erobert Stralsund

Der Nachruhm Friedrich Wil­helms I., des Sol­datenkönigs, hat immer etwas darunter gelit­ten, daß Preußen erst unter seinem Sohn, Friedrich II., so sicht­bar an Statur gewann. In vie­len pop­ulären Darstel­lun­gen der Geschichte Preußens taucht er daher lediglich als grausamer Vater des großen Preußenkönigs auf. Dage­gen ist sich die His­torik­erzun­ft im Kern darüber einig, daß Friedrich Wil­helm I. Kolos­sales für das damals noch junge Preußen leis­tete: Erst auf Grund­lage sein­er Staatskun­st, der eis­er­nen Sparsamkeit und des aus­geprägten Sinns für Gerechtigkeit, kon­nte Preußen eine Gen­er­a­tion später über­haupt das wer­den, was es schließlich war: die Ord­nungs­macht in der Mitte Europas.

Jochen Klep­per hat diese wider­sprüch­liche Wahrnehmung des Sol­datenkönigs zum Anlaß seines großes Romans Der Vater (1937) genom­men und ihm damit ein lit­er­arisches Denkmal geset­zt, das von Dienst, Demut und preußis­chem Geist zeugt. Darin wird auch der einzige tat­säch­liche Feldzug des Sol­datenkönigs nacherzählt und so manch­es über den aufgeschlosse­nen und neugieri­gen Charak­ter des Mannes mit­geteilt, der nur sel­ten ruhte, weil er tat­säch­lich jede ver­füg­bare Minute zum Arbeit­en nutzen wollte. Und der 1715 — im Jahr der Belagerung und Eroberung Stral­sunds — erst zwei Jahre im Amt war.

Friedrich Wil­helm I., an dessen Hof im übri­gen ein „strenger, etwas enger Gottes­glaube herrschte“ (Hans-Joachim Schoeps), trat sein „Amt“ in ein­er für Preußen ökonomisch heiklen wie kriegs­be­lasteten Zeit an. Seine primären Ziele waren daher die Ver­mei­dung kriegerisch­er Auseinan­der­set­zun­gen, die Sanierung der Staats­fi­nanzen und die Kon­so­li­dierung der Herrschaft in den eige­nen Gebi­eten. 1715 kon­nte er aber einem Kriege nicht ent­ge­hen und erstritt sich gegen Karl XII. von Schwe­den den strate­gisch bedeut­samen Sieg an der Ost­see.

Der Pom­mern­feldzug 1715/16 war Teil des soge­nan­nten Großen Nordis­chen Kriegs. Preußen und Sach­sen koalierten dabei mit den Dänen, um die Schwe­den aus den pom­mer­schen Lan­den zu drän­gen. Eine Schlüs­sel­rolle kam der Hafen­stadt Stral­sund zu. Anfang Dezem­ber 1715 bom­bardierten Friedrich Wil­helms I. Trup­pen die Stadt, deren Bevölkerung weit­ge­hend deutschsprachig war und die schwedis­che Besatzungs­macht — erfol­g­los — um Ein­stel­lung der Kampfhand­lun­gen bat.

Obwohl der Schwe­denkönig Karl XII. selb­st an der Schlacht um Stral­sund teil­nahm, fiel die stark befes­tigte Stadt nach kaum vier Wochen in die Hand des Sol­datenkönigs: Heili­ga­bend wurde Stral­sund ein­genom­men. Karl XII. flüchtete über die Ost­see; eine Art Ver­fol­gungs­jagd durch die Preußen auf offen­er See scheit­erte. Der Schwe­denkönig fiel indes zwei Jahre später im Gefecht mit den Dänen. Let­ztere prof­i­tierten am meis­ten von der Eroberung der Hans­es­tadt: Friedrich Wil­helm I. beließ Stral­sund in ihrem Hoheits­bere­ich. 1720 wurde sie bere­its wieder schwedisch und blieb es bis 1815, dem Ende der skan­di­navis­chen Präsenz in Vor­pom­mern.

Die Bedeu­tung der Eroberung Stral­sunds war demzu­folge nicht ihre Rück­kehr in deutsche Herrschaft. Sie liegt vielmehr — verknüpft mit dem Fall Wis­mars 1716 — in der Beendi­gung des Krieges auf deutschem Boden; vor allem aber darin, daß dies der einzige Feldzug eines Königs blieb, der als Sol­datenkönig in die Geschichte einge­gan­gen ist. Es gelang dem hart regieren­den Sol­datenkönig, Preußen um die weit­eren Kon­flik­te und Kriege sein­er Zeit herumzuschif­f­en. Er nutzte die Zeit nach der Zäsur von 1715, um in beispiel­los­er und aufopfer­ungsvoller Fleißar­beit („Könige müssen mehr lei­den kön­nen als andere Men­schen“) den Auf­bau eines starken Heeres — die einzige Stelle, an der er nicht sparte — sowie die wirtschaftliche Sta­bil­isierung des gesamten preußis­chen Gebi­etes voranzutreiben. Dank dieser geleis­teten Pio­nier­ar­beit kon­nte sein Sohn in den Jahren nach 1740 — dem Todes­jahr Friedrich Wil­helms I. — von Friedrich II. zu „Friedrich dem Großen“ wer­den.

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Lit­er­atur:

  • Jochen Klep­per: Der Vater. Roman eines Königs, Stuttgart 1937
  • Hans-Joachim Schoeps: Preußen. Geschichte eines Staates, Frank­furt a.M. 1966
  • Wolf­gang Venohr: Friedrich Wil­helm I. Preußens Sol­datenkönig, München 2001