1815 — Der Wiener Kongreß beschließt die Deutsche Bundesakte

Der Wiener Kon­greß, der zwis­chen Sep­tem­ber 1814 und Juni 1815 in der Donaumetro­pole tagte, gilt als der Aus­gangspunkt ein­er europäis­chen Ord­nung, die dem Kon­ti­nent ein Jahrhun­dert des Friedens beschert und die deutschen Ver­hält­nisse nach­haltig geord­net habe.

Dem Kon­greß war ein Viertel­jahrhun­dert der kriegerischen Umwälzun­gen in Europa vor­ange­gan­gen, das seinen Aus­gang in der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und den Kriegen der jun­gen Repub­lik genom­men hat­te, die, schließlich in die Herrschaft Napoleons mün­dend, Frankre­ichs Hege­monie für ein knappes Jahrzehnt sicherten: von Auster­litz (1805) bis Leipzig (1813). Umstürzend waren die Ereignisse dieser Peri­ode in der Tat, was alleine der Blick auf die Land­karte Europas, ins­beson­dere aber Deutsch­lands zeigt. Den „Flick­en­tep­pich“ des Alten Reich­es erset­zten über­schaubarere Struk­turen, und eine neue europäis­che Pentarchie, beste­hend aus Eng­land, Frankre­ich, Öster­re­ich, Ruß­land und Preußen, bes­timmte for­t­an als „europäis­ches Konz­ert“ bis 1914 die Geschicke des Kon­ti­nents.

Nach Bona­partes Thron­verzicht beließ der Erste Paris­er Frieden (Mai 1814) Frankre­ich die Gebi­ets­gewinne aus den Rev­o­lu­tion­skriegen, und mit der Restau­ra­tion der Bour­bo­nen­herrschaft unter Lud­wig XVIII. blieb Frankre­ich ein gle­ich­berechtigter Akteur im europäis­chen Mächtekonz­ert. Tal­leyrand, Frankre­ichs lei­t­en­der Staats­mann, sorgte wesentlich dafür. Unter Artikel XXXII des Paris­er Friedensver­trags vere­in­barten die Mächte, daß ein europäis­ch­er Kon­greß in Wien stat­tfind­en solle, auf dem alle bish­er offe­nen Fra­gen des Ver­hält­niss­es der Sieger untere­inan­der, des Umgangs mit den Besiegten, die Regelung ter­ri­to­ri­aler Fra­gen etc. auf dem Ver­hand­lungswege zu klären seien. Nationale Fra­gen, wie die ital­ienis­che und die pol­nis­che, oder ter­ri­to­ri­ale Aspek­te, wie die preußis­chen Ansprüche auf Sach­sen, erwiesen sich dabei als strit­tig. Zudem riefen die Ver­hält­nisse in Deutsch­land nach dem Unter­gang des Alten Reich­es nach ein­er Neuord­nung.

Der öster­re­ichis­che Staatskan­zler, Fürst Met­ter­nich, empf­ing die Monar­chen in Wien, wo ab Sep­tem­ber 1814 alle wesentlichen poli­tis­chen Akteure Europas zusam­men­trafen. Die Mächte fol­gten damit der Tra­di­tion der großen europäis­chen Frieden­skon­gresse: Mün­ster (1648), Ras­tatt (1713) und Basel (1795), auf denen, dem Prinzip des ver­han­del­ten Inter­esse­naus­gle­ichs fol­gend, in Europa Kriege been­det und Frieden geschlossen wurde. Ein Novum in Wien bestand darin, daß nicht nur Gesandte ver­han­del­ten, son­dern die Herrsch­er selb­st nach Wien reis­ten, was dem Ereig­nis ein­er­seits einen ungewöhn­lichen Glanz gab, ander­er­seits zu erhe­blichen pro­tokol­lar­ischen und per­sön­lich-men­schlichen Frik­tio­nen führte, die einem raschen Ergeb­nis abträglich waren — von den ruinösen Repräsen­ta­tion­skosten für Ver­anstal­ter und Teil­nehmer ganz abge­se­hen.

Wie der Fürst de Ligne bemerk­te, tanzte der Kon­greß mehr, als daß er ver­han­delte; doch fan­den wesentliche Gespräche ohne­hin nicht im Plenum, son­dern in Anticham­bres und Boudoirs, auf Ban­ket­ten, Bällen und bei son­sti­gen Belus­ti­gun­gen statt. Indes ver­liefen die Ver­hand­lun­gen zäh, und zum Ende des Jahres 1814 stand der Kon­greß der­art vor dem Scheit­ern, daß die vor­ma­li­gen Ver­bün­de­ten und Frankre­ich mit verän­derten Frontstel­lun­gen bere­it waren, Mei­n­ungsver­schieden­heit­en erneut auf dem Schlacht­feld auszu­tra­gen. Met­ter­nichs diplo­ma­tis­chem Geschick, seinem exzel­len­ten Infor­ma­tionsvor­sprung durch nachrich­t­en­di­en­stliche Meth­o­d­en und vor allem der Rück­kehr des gemein­samen Fein­des Napoleon im März 1815 ver­dank­te der Kon­greß seinen Abschluß, den die Wiener Kon­greßak­te vom 9. Juni 1815 — neun Tage vor der Entschei­dungss­chlacht von Belle-Alliance/Wa­ter­loo — kod­i­fizierte.

Die endgültige Regelung des Friedens mit Frankre­ich erfol­gte im Novem­ber 1815 im Zweit­en Paris­er Frieden, in dem Frankre­ich ungle­ich härtere Bedin­gun­gen hin­nehmen mußte als ein Jahr zuvor. Es ver­han­delte hier nicht mehr inter pares, son­dern als Besiegter, der schmerzhafte Repa­ra­tionszahlun­gen leis­ten, die Gren­zen von 1792 hin­nehmen, alle Beutekun­st zurück­geben und eine langjährige Besatzung erdulden mußte. Die wesentlichen Gren­zlin­ien in Mit­teleu­ropa waren damit für gut 100 Jahre fix­iert, die Flügelmächte — Eng­land und Ruß­land — gin­gen deut­lich gestärkt aus dem Kriege her­vor. Eng­land beherrschte for­t­an die Meere und den See­han­del, während Ruß­land zur entschei­den­den europäis­chen Land­macht aufgerückt war.

Die Deutsche Bun­de­sak­te vom 8. Juni 1815, die als Teil der Wiener Übereinkün­fte einen völk­er­rechtlichen Sta­tus trug, begrün­dete den „Deutschen Bund“ als Recht­snach­fol­ger des Reich­es, dessen Prä­sid­i­um der Kaiser­ma­cht Öster­re­ich zus­tand, dem die bei­den deutschen Großmächte allerd­ings nur mit ihren ein­sti­gen Reich­ster­ri­to­rien ange­hörten. For­t­an bestand der Deutsche Bund aus zunächst 38 Mit­gliedern: 34 Monar­chien vom Duodezfürsten­tum bis zur Groß­macht, drei Hans­es­tädten und der Freien Stadt Frank­furt, die zum Sitz des Bun­destages als ein­er per­ma­nent tagen­den Gesandten­vertre­tung nach dem Muster des vor­ma­li­gen, immer­währen­den Regens­burg­er Reich­stags bes­timmt war. Die endgülti­gen Regelun­gen blieben der „Wiener Schlußak­te“ (WSA) von 1819 vor­be­hal­ten.

Zwar war Preußen zu diesem Zeit­punkt noch die kleinere und schwächere der bei­den deutschen Großmächte, doch find­et deren Dual­is­mus bere­its in der Bun­de­sak­te seinen Nährbo­den. Für die deutschen Ver­hält­nisse bleibt festzuhal­ten: Öster­re­ich ging ter­ri­to­r­i­al kon­so­li­diert und mit erhe­blichen Gebi­ets­gewin­nen in Ital­ien her­vor. Preußen gelang es wed­er, ein zusam­men­hän­gen­des Staats­ge­bi­et zu erlan­gen noch Sach­sen voll­ständig zu annek­tieren, in Polen mußte es die Gewinne der drit­ten pol­nis­chen Teilung an Ruß­land abtreten. Bay­ern, Sach­sen, Hes­sen-Darm­stadt und Baden blieben die Standeser­höhun­gen und Gebi­ets­gewinne erhal­ten, die große Flurbere­ini­gung im deutschen Süd­west­en nutzte aber der zukün­fti­gen, wirtschaftlichen Entwick­lung.

Der Geist der deutschen Nation­al­be­we­gung, wie er in den Schriften Arndts und Körn­ers auf­scheint, im Auszug der Jenenser Stu­den­ten, bei den Lüt­zow­er Jägern und in den Burschen­schaften seinen Aus­druck fand, die nationale Idee unter den Far­ben Schwarz-Rot-Gold: für sie war die Zeit noch nicht reif. Gle­ich­es galt für das Wirken und die weit­eren Biogra­phien der bedeu­ten­den preußis­chen Reformer: Stein, Hard­en­berg, Clause­witz, Gneise­nau, Boyen, Grol­man. Die restau­ra­tiv­en Bestre­bun­gen in allen deutschen Staat­en ver­ban­nten die bedeu­ten­den Träger des Auf­bruchs gegen Napoleon ins zweite Glied, doch blieb deren Geist zumin­d­est in akademis­chen Kreisen lebendig, und damit die „Deutsche Frage“, die im Ver­laufe des 19. Jahrhun­derts unter der Prämisse von „großdeutsch ver­sus klein­deutsch“ schließlich ein­er mil­itärischen Entschei­dung har­rte.

Ger­ade in Schul­büch­ern kann man vielfach lesen, der Wiener Kon­greß sei dem Prinzip der „Legit­im­ität“ verpflichtet gewe­sen, doch gilt dies nur für die Restau­ra­tion in Frankre­ich. Die his­torisch gewach­se­nen Herrschaft­srechte zahlre­ich­er ander­er Häuser und Repub­liken, hier seien nur Gen­ua, Venedig oder der Mal­te­seror­den, die Reich­srit­ter und geistlichen Herrschaften genan­nt, blieben den Inter­essen der Großmächte unter­ge­ord­net.

Es herrscht die Mei­n­ung vor, mit dem Wiener Ver­tragswerk sei eine europäis­che Rechts- und Frieden­sor­d­nung geschaf­fen wor­den, doch verengt dies den Blick zu sehr auf Mit­teleu­ropa und die bei­den deutschen Großmächte, die in dieser Zeitspanne tat­säch­lich nur ein­mal die Waf­fen kreuzten (1866). Mit dem Krimkrieg der Jahre 1853 bis 1856 focht­en indes die anderen Großmächte einen Kon­flikt aus, der die Wiener Nachkrieg­sor­d­nung erhe­blich verän­derte, zudem sorgten irre­den­tis­tis­che Bestre­bun­gen und die Krisen auf dem Balkan und im Ori­ent für Sprengstoff. Der Wiener Kon­greß ste­ht den­noch in der Tra­di­tion der großen europäis­chen Friedenss­chlüsse. Seinen Wert kann man in der Nach­schau tat­säch­lich in ein­er bestand­skräfti­gen Frieden­sor­d­nung erblick­en, doch ergibt sich diese nicht aus den Buch­staben der Verträge allein, son­dern aus dem weit­eren Ver­lauf der Geschichte, dem die Ver­hand­lungsergeb­nisse von Wien allerd­ings eine gün­stige Grund­lage bere­it­eten.

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Lit­er­atur:

  • Heinz Duchardt: Der Wiener Kon­greß. Die Neugestal­tung Europas 1814/15, München 2013
  • Eber­hard Straub: Der Wiener Kon­greß. Das große Fest und die Neuord­nung Europas, Stuttgart 2014
  • Adam Zamoys­ki: 1815. Napoleons Sturz und der Wiener Kon­greß, München 2014