Das Heilige und das Profane — Mircea Eliade, 1957

Eli­ades Buch über das Heilige kann als die wirkungsmächtig­ste Reli­gion­skunde der let­zten 50 Jahre gel­ten. In ihr tritt, anders als in seinem Hauptwerk Die Reli­gio­nen und das Heilige (1949), Eli­ades weltan­schauliche Seite offen zutage. Sie verdichtet sich im Leit­mo­tiv des homo reli­gio­sus, der für ein ursprünglich­es Ver­hal­ten ste­ht und zugle­ich einen anthro­pol­o­gis­chen Typus meint. Eli­ade ord­net ihn den archais­chen Kul­turen zu, deckt freilich seine ver­we­hte Spur auch in der Tiefen­schicht des mod­er­nen Men­schen auf.

Der homo reli­gio­sus und »das Heilige« sind die bei­den Grund­be­griffe, von denen aus die Phänom­e­nolo­gen der 1920er bis 1960er Jahre – jen­seits aufk­lärerisch­er Ide­olo­giekri­tik wie dog­ma­tis­ch­er The­olo­gie – die Reli­gion rekon­stru­ierten. Deren geistige Welt läßt sich »nur erfassen«, so Eli­ade, »indem wir uns in sie hinein ver­set­zen, in ihren Mit­telpunkt vor­drin­gen, der den Zugang zu allen ihren Werten gewährt«.

Dieses Pro­gramm ein­er Wesenss­chau suchte im kul­turkri­tis­chen Zeitkon­text, die meta­ph­ysis­che Würde der Erken­nt­nis neu zu gewin­nen. Das Religiöse war von funk­tion­al­is­tis­ch­er Reduk­tion (1) zu befreien und nicht nur als autonomer Wert (2) und unverzicht­bar­er Gehalt der Kul­tur (3), son­dern als tran­szendierende Struk­tur des Bewußt­seins (4) aufzuweisen. Dieses Konzept sollte Reli­gions­be­grün­dung in uni­verseller Absicht und eine Zusam­men­schau diver­gen­ter Fak­ten nach ganzheitlichen Prinzip­i­en leis­ten. Der syn­thetis­che Charak­ter ihrer Begriffe erlaubte so, geo­graphisch, kul­turell und his­torisch ent­fer­nte Dat­en zu verbinden. So treten an die Stelle lin­ear­er Entwick­lungsaspek­te kom­par­a­tiv gewonnene Struk­turen.

Seine Analyse geht aus vom Axiom: Es gibt prinzip­iell zwei Weisen des »In-der­Welt-Seins«, die »heilige« und die »pro­fane«. So lautet der ele­mentare »Code«, mit dem die Welt durch­buch­sta­biert wird. Doch anders als die binären Codes der funk­tion­al­is­tis­chen Sozi­olo­gie besitzt Eli­ades Schema ontol­o­gis­ches Gewicht. Seine Dichotomie schließt sich dabei der meta­ph­ysis­chen Top­ik (Oben-Unten, Zen­trum-Periph­erie, Innen-Außen, Ein­heit-Streu­ung) an. Doch sind die Pole nicht gle­ich­w­er­tig, liegt doch der Schw­er­punkt beim Heili­gen als Quelle der Real­ität. In ihm find­et alles Dasein seine Erfül­lung.

Men­sch und Gott sind dial­o­gisch aufeinan­der bezo­gen. In den »Masken Gottes« erscheint das Heilige als objek­tives Sein, es man­i­festiert sich konkret. Sein­er­seits strebt der Men­sch nach Göt­tlichem; er reagiert exis­ten­tiell auf dessen Zeichen.

Die von Mächt­en durch­wirk­te Welt erweist sich als mehrdi­men­sion­aler Raum und als mul­ti­ple Zeit. Sind doch Raum und Zeit der archais­chen Kul­tur wed­er math­e­ma­tisch-physikalisch noch funk­tionell niv­el­liert. Leben ent­fal­tet sich also in kos­misch gestuften Räu­men. Das »tra­di­tionale Welt­sys­tem« ken­nt: a) den heili­gen Ort als Bruch in der Homogen­ität des Raumes und sym­bol­isiert b) diesen Bruch­durch eine »Öff­nung«, die die Verbindung der kos­mis­chen Regio­nen erlaubt (Him­mel, Erde, Unter­welt); c) für die Verbindung mit dem Him­mel ste­hen Bilder der Weltachse: Säule, Leit­er, Berg, Baum; d) »rund um diese Weltachse erstreckt sich die “Welt” (= unsere Welt)«. So befind­en wir uns in deren Zen­trum.

Diese axis mun­di ist Inbe­griff der Zen­trum­sym­bo­l­ik, die alles Göt­tliche ausze­ich­net. Die Tat­en der Göt­ter im Him­mel und vor der Zeit sind heilige Arche­typen, exem­plar­ische Mod­elle, die es men­schlich zu wieder­holen gilt. Alle Kul­turtätigkeit läuft auf eine imi­ta­tio dei hin­aus. Stets tendiert diese zu einem Bild des Ganzen, ein­er ima­go mun­di. Dem entspricht der Impuls, in Kor­re­spon­den­zen zu denken – so etwa Leib, Haus und Kos­mos zu spiegeln. Diese Sym­pa­thie von Makro- und Mikrokos­mos verdeut­licht die »offene Exis­tenz« des homo reli­gio­sus, das Mehrdi­men­sion­ale sein­er Erfahrung.

Das zeigen auch Sinn und Funk­tion des Mythos. Der kün­det von heili­gen Ursprungs­geschicht­en: der Erschaf­fung der Welt, vom Beginn der Kul­tur, den Schick­salen der Göt­ter. Kul­tisch­er Bericht und rit­uelle Darstel­lung aktu­al­isieren seine Wahrheit. Sie ver­set­zt uns zurück in jene Zeit der Ursprünge – zum Quell von Sein, Kraft und Heil. So wer­den Men­sch und Gemein­schaft peri­odisch erneuert und rein­te­gri­ert. Wie einst vom göt­tlichen Willen die Urma­terie wird nun der chao­tis­che Welt­stoff kul­tisch durch­drun­gen, zum sinnhaften Gefüge »kos­misiert«.

Diese »inte­grale Tra­di­tion« erodiert in der Mod­erne. Der Ratio­nal­is­mus »entza­ubert« die Welt und funk­tion­al­isiert den Men­schen. Geist und Bewußt­sein wer­den abgew­ertet zur »instru­mentellen Ver­nun­ft«. So dankt das Heilige als Prinzip all­seit­iger Wel­ter­schließung ab. Den Nieder­gang verurteilt Eli­ade scharf, wenn er die Reduk­tion der Welt auf das Dies­seit­ige als »sys­tem­a­tis­che Banal­isierung« beze­ich­net, die nur dem Zweck dient, die Welt zu erobern und zu beherrschen. Eli­ades Essen­tial­is­mus, dem der men­schliche Kern als unver­füg­bar gilt, propagiert eine »starke« Ontolo­gie und hier­ar­chis­che Welt­sicht, die Tech­nokrat­en eben­so provozieren muß wie eine dekon­struk­tive Linke. Jenen wird der Men­sch als Sinnschöpfer zum Verkehrshin­der­nis; diesen gel­ten ewige Wesen­sprinzip­i­en als poli­tis­ch­er Skan­dal.

In einem völ­lig säku­lar­isierten Umfeld hat Eli­ade zahlre­ichen Lesern wieder eine Ahnung der religiösen Erfahrung und Welt­tiefe ver­mit­telt. Angesichts ein­er hege­mo­ni­alen Glob­al­isierung bietet Eli­ades alter­na­tive Sicht der inneren Men­schheit einen seins­mächti­gen Gege­nuni­ver­sal­is­mus, nicht zulet­zt für die kon­ser­v­a­tive Intel­li­genz.

– — –

Zitat:

Das Ver­lan­gen des religiösen Men­schen, ein Leben im Heili­gen zu führen, ist das Ver­lan­gen, in der objek­tiv­en Real­ität zu leben, nicht in der end­losen Rel­a­tiv­ität sub­jek­tiv­er Erleb­nisse gefan­gen zu bleiben, in ein­er wirk­lichen und wirkungs­gesät­tigten – und nicht in ein­er illu­sorischen – Welt zu ste­hen.

– — –

Aus­gabe:

  • Köln: Ana­con­da 2008

– — –

Lit­er­atur:

  • Flo­ri­an Tur­canu: Mircea Eli­ade. Der Philosoph des Heili­gen oder Im Gefäng­nis der Geschichte. Eine Biogra­phie, Schnell­ro­da 2006
  • Chris­t­ian Wacht­mann: Der Reli­gions­be­griff bei Mircea Eli­ade, Frank­furt a. M. 1996