Eliade, Mircea, Religionsphilosoph, 1907–1986

Eli­ade stammte aus ein­er rumänis­chen Offiziers-und Beamten­fam­i­lie. Er wurde am 9. März 1907 in Bukarest geboren. Nach dem Ende des Schulbe­suchs nahm er das Studi­um der Reli­gion­swis­senschaft in Bukarest auf und wurde im Alter von ein­undzwanzig Jahren zum Dr. phil. pro­moviert. Als Stipen­di­at set­zte er seine Arbeit an der Uni­ver­sität von Kalkut­ta fort. In Indi­en kam er nicht nur mit dem zeit­genös­sis­chen Hin­duis­mus und Bud­dhis­mus sowie den älteren spir­ituellen Tra­di­tio­nen des Lan­des in Kon­takt, er machte auch wichtige per­sön­liche Glaubenser­fahrun­gen.

1931/32 lebte er in den Ashrams von Almo­ra, Hard-war und Rishikesh. Diesem Aufen­thalt bei den Lehrern des Himala­ja ist das erste und vielle­icht bedeu­tend­ste Werk Eli­ades zu ver­danken: das 1936 auf franzö­sisch erschienene Buch Yoga. Es zeugt von der Bedeu­tung, die die eso­ter­ischen Diszi­plinen und darin erhal­ten gebliebe­nen archais­chen religiösen For­men für Eli­ade gewon­nen hat­ten. Er ver­trat die Anschau­ung, daß »Indi­en … sich mit ein­er nie mehr erre­icht­en Strenge um die Analyse der ver­schiede­nen Bed­ingth­eit­en der men­schlichen Exis­tenz bemüht« und gegenüber dem Abend­land das Wis­sen bewahrt habe, daß die Wahrheit außer­halb der Geschichte liege.

Eli­ades Kri­tik am »his­tor­izis­tis­chen Nihilis­mus« führte ihn zur inten­siv­en Beschäf­ti­gung mit den mythis­chen Vorstel­lun­gen der tra­di­tionalen Gesellschaften.Anders als viele  Reli­gion­swis­senschaftler, sah er im Mythos nicht ein­fach eine prim­i­tive und unzulängliche, son­dern eine kom­plexe und gegenüber der Ratio­nal­ität selb­ständi­ge Form der Welt­wahrnehmung.
Mythen waren für Eli­ade »heilige Geschicht­en«, die den Ursprung aller Dinge – des Kos­mos, der Veg­e­ta­tion, der Men­schen des eige­nen Volkes, der Sex­u­al­ität, der Werkzeuge, der Reli­gion selb­st – erk­lärten.

Alle mythis­chen Ereignisse fan­den illo tem­pore statt, in einem Gold­e­nen Zeital­ter, bevor die Geschichte begann und diese Epoche zer­störte. In ihren Kul­ten ver­sucht­en die frühen Völk­er die Geschichte rück­gängig zu machen und die »Per­fek­tion der Anfänge« durch Wieder­hol­ung des damals Geschehenen zurück­zugewin­nen. Die Tat­sache, daß das his­torische Bewußt­sein im eigentlichen Sinne, die »Geschichte … eine judäo-christliche Schöp­fung« darstellt, hat dazu geführt, daß Eli­ade Juden­tum und Chris­ten­tum mit ein­er gewis­sen Dis­tanz gegenüber­stand. Die im Glauben Israels angelegte »Desakral­isierung der Natur, die Entwer­tung der kul­tischen Hand­lung, kurz die heftige und totale Zurück­weisung der kos­mis­chen Religiosität«schienen ihm mitver­ant­wortlich für den religiösen Ver­fall der west­lichen Gesellschaft in der Neuzeit. Das hin­derte ihn ander­er­seits nicht, dem Chris­ten­tum, soweit es ein »kos­mis­ches Chris­ten­tum« im Sinne der östlichen Ortho­dox­ie war, einen beson­ders hohen Stel­len­wert zuzu­bil­li­gen.

Wenn Eli­ade trotz der offen­baren Säku­lar­i­sa­tion an der Ansicht fes­thielt, daß das »Heilige« eine ontol­o­gis­che Größe sei, die nicht ver­schwinden könne, dann hing das ein­er­seits mit der Auf­fas­sung zusam­men, daß die »Hiero­phanien« ver­schleiert aufträten; ander­er­seits hoffte Eli­ade, zumin­d­est in den dreißiger Jahren, auf eine Art kul­tureller Regen­er­a­tion Europas, die auch die Reli­gion erfassen würde. In dieser Anschau­ung lag seine fort­dauernde intellek­tuelle Nähe zur gesam­teu­ropäis­chen Kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion begrün­det. Nach­dem Eli­ade 1933 einen Ruf an die Uni­ver­sität Bukarest erhal­ten hat­te, grün­dete er mit Fre­un­den, die den ver­schieden­sten poli­tis­chen Lagern ange­hörten, die Gruppe (und später die Zeitschrift) Cri­te­ri­on, die dem Dia­log zwis­chen den Weltan­schau­un­gen verpflichtet war. In der fol­gen­den Zeit wurde Eli­ade zu einem der pro­fil­iertesten Sprech­er, in manch­er Hin­sicht zum »Idol der jun­gen Gen­er­a­tion« (žžE. M. Cio­ran) Rumäniens.

Seine Sym­pa­thie für die Eis­erne Garde stand dem nicht im Wege, son­dern trug zu sein­er Attrak­tiv­ität noch bei. Was Eli­ade an diesem rumänis­chen Faschis­mus fasziniert hat, war etwas spez­i­fisch »Unfaschis­tis­ches«: die eige­nar­tige Mis­chung aus Aktivis­mus und christlich­er Mys­tik, die ihr Grün­der Codreanu zur Grund­lage der Ide­olo­gie der »Legionäre« gemacht hat­te. Eli­ade sah in dem Mes­sian­is­mus und der Bere­itschaft ihrer Mit­glieder und Führer zur Aufopfer­ung eine mögliche Basis für die Wieder­bele­bung der abendländis­chen Spir­i­tu­al­ität. Aus ähn­lichen Grün­den wie im Fall der Eis­er­nen Garde inter­essierte Eli­ade sich auch für die Arbeit­en der »Tra­di­tion­al­is­ten« um René Guénon und Julius Evola. Evolas Schriften hat­te Eli­ade schon 1927 während ein­er Ital­ien­reise ken­nen­gel­ernt, sein­er Revolte gegen die mod­erne Welt wid­mete er 1935 eine eben­so aus­führliche wie wohlwol­lende Besprechung in der Zeitschrift Vre­mea.

1937 kam es in Bukarest zu ein­er ersten per­sön­lichen Begeg­nung, die sich nach dem Krieg, 1949, wieder­holen sollte. Die Dis­tanz blieb allerd­ings unüber­brück­bar, obwohl Eli­ade und Evola einen inten­siv­en Briefwech­sel aufrechter­hiel­ten. Die unter­schiedliche Ein­stel­lung zur Bedeu­tung des Okkul­tismus und später zu Fra­gen der poli­tis­chen Prax­is spiel­ten eine wichtige Rolle für die Dif­feren­zen zwis­chen den bei­den. Eli­ade ging jeden­falls seit dem Ende der dreißiger Jahre auf Dis­tanz zur Legionärs­be­we­gung in Rumänien und ent­zog sich dem poli­tis­chen Geschehen. Ende 1938 wurde er im Zusam­men­hang mit der Inhaftierung seines akademis­chen Lehrers Iones­cu kurze Zeit in ein Lager der rumänis­chen Geheim­polizei ver­bracht, aber bald darauf wieder freige­lassen. Die ver­wor­rene Sit­u­a­tion in seinem Land erlaubte es Eli­ade trotz­dem, 1940 als Kul­tur­at­taché der rumänis­chen Botschaft nach Lon­don zu wech­seln. Kurz darauf wech­selte er als Diplo­mat nach Liss­abon, wo er auch das Kriegsende erlebte.

Angesichts der Beset­zung seines Lan­des durch die Rote Armee zog er es vor, nicht zurück­zukehren, son­dern nach Paris ins Exil zu gehen. Die fol­gen­den Jahre wid­mete Eli­ade – neben der Fort­set­zung seines erzäh­lerischen Werkes, das er 1933 mit dem Buch Das Mäd­chen Maitreyi begonnen hat­te – reli­gion­s­geschichtlichen Stu­di­en, inten­sivierte den Kon­takt zu C. G. Jung,
Ger­shom Scholem und anderen bedeu­ten­den Gelehrten und hielt an zahlre­ichen Hochschulen Gastvor­lesun­gen. In dieser Zeit ent­standen viele sein­er wichtig­sten Büch­er, die er im all­ge­meinen in franzö­sis­ch­er Sprache abfaßte: Die Reli­gio­nen und das Heilige (1949), Schaman­is­mus und archais­che Ekstasetech­nik (1951), Bilder und Sinnbilder (1952), Der Mythos der ewigen Wiederkehr (1953), Schmiede und Alchemis­ten (1956). Im Jahr 1956 erhielt Eli­ade einen Lehrstuhl für Reli­gion­swis­senschaft an der Uni­ver­sität von Chica­go und über­siedelte in die Vere­inigten Staat­en.

Poli­tisch übte Eli­ade in der Nachkriegszeit Zurück­hal­tung. Die Zeitschrift Antaios, die er 1960 zusam­men mit Ernst Jünger grün­dete, diente aus­drück­lich nicht dem Zweck poli­tis­ch­er Diskus­sion, eher der geisti­gen Vor­bere­itung eines »neuen Human­is­mus«, dessen Grun­dein­sicht nach Eli­ades Auf­fas­sung laut­en sollte: »Men­sch sein, oder, bess­er: wer­den, heißt religiös sein.« Die weit­ere Entwick­lung der Indus­triege­sellschaft beobachtete Eli­ade mit großer Skep­sis. Er glaubte, daß sie selb­stzer­störerische Kräfte ent­binde, von denen Massenkon­sum, Kernspal­tung und Umweltver­nich­tung nur beson­ders  drama­tis­che Aus­drucks­for­men seien. An die Möglichkeit unmit­tel­baren Ein­greifens glaubte Eli­ade indes nicht, aber doch an die Möglichkeit, »irgend­wo in der Avant­garde der Men­schheit von mor­gen oder über­mor­gen« zu ste­hen. Der Reli­gion­swis­senschaft bil­ligte er in dieser Zeit des Inter­reg­nums eine geheime »königliche Funk­tion« zu: Sie sollte die Erin­nerung an den Reich­tum der Glaubenser­fahrun­gen für eine bessere Zukun­ft bewahren. Sein let­ztes Leben­s­jahrzehnt wid­mete Eli­ade deshalb der Nieder­schrift ein­er umfassenden »Geschichte der religiösen Ideen«, deren Vol­len­dung er allerd­ings nicht mehr erlebte.

Er starb am 22.4. 1986 in Chica­go.

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Zitat:

… der Glaube an höch­ste Wesen ist über­all im Nieder­gang (wenn er nicht völ­lig ver­schwun­den ist), und den Ehren­platz nehmen niedrigere For­men des religiösen Erlebens ein: Totemis­mus, Man­is­mus, Ani­mis­mus usw. Der »prim­i­tive« Men­sch – eben­so wie der zivil­isierte – verehrt dämonis­che, orgiastis­che Mächte, spek­takuläre Göt­tergestal­ten von über­steigertem Pathos. Der Men­sch entsin­nt sich Gottes nur dann, wenn er zur Ein­sicht gelangt, daß keine dieser heili­gen Mächte ihm helfen kann.

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Schriften:

  • Schaman­is­mus und archais­che Ekstasetech­nik, Salzburg 1951
  • Ewige Bilder und Sinnbilder, Olten/Freiburg i. Br. 1952
  • Die Reli­gio­nen und das Heilige, Salzburg 1953
  • Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Düs­sel­dorf 1953
  • Das Heilige und das Pro­fane, Rein­bek bei Ham­burg 1957
  • Schmiede und Alchemis­ten, Stuttgart 1960
  • Yoga, Zürich 1960
  • Das Mys­teri­um der Wiederge­burt, Zürich/Stuttgart 1961
  • Mythen, Träume und Mys­te­rien, Salzburg 1961
  • Geschichte der religiösen Ideen, 4 Bde., Freiburg i. Br. 1978–91
  • Von Zal­mox­is zu Dschingis-Khan, Köln-Lövenich 1982

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Lit­er­atur:

  • Clau­dio Mut­ti: Mircea Eli­ade und die Eis­erne Garde. Rumänis­che Intellek­tuelle im Umfeld der Legion Erzen­gel Michael, Preetz 2009
  • Richard Reschi­ka: Mircea Eli­ade zur Ein­führung, Ham­burg 1997
  • Florin Tur­canu: Mircea Eli­ade. Der Philosoph des Heili­gen oder Im Gefäng­nis der Geschichte. Eine Biogra­phie, Schnell­ro­da 2006