Die deutsche Nation — Bernard Willms, 1982

Mit seinem Plä­doy­er gegen die in der Bun­desre­pub­lik vorherrschende Art und Weise der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung und seinem Ein­treten für einen »neuen Nation­al­is­mus« (der indes nicht wieder »der alte« sein dürfe), ger­ade auch vor dem Hin­ter­grund der Teilung Deutsch­lands, stand Willms Anfang der achtziger Jahre nicht allein. Selb­st in den Rei­hen der CDU gab es Stim­men, die forderten, die Deutschen müßten »aus dem Schat­ten Hitlers her­aus­treten « und »wieder nor­mal wer­den«, wie es pars pro toto der CDU-Poli­tik­er Alfred Dreg­ger zum Aus­druck brachte.

Das Buch gliedert Willms in drei Haup­tkapi­tel: »The­o­rie der Nation«, »Lage der Nation« und »Die Zukun­ft der Nation«. Er geht von zwei Befun­den aus, auf die man bei der Beschäf­ti­gung mit der deutschen Nation gestoßen wird: »auf den Bere­ich der his­torischen Iden­tität oder den Kom­plex “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung” und auf den der zukün­fti­gen Iden­tität oder das Prob­lem
der Wieder­her­stel­lung der Nation«. Eine angemessene geistige Durch­dringung dieses Befun­des muß aus der Sicht von Willms das hin­ter sich lassen, was er als »Ebene der Mei­n­un­gen, der Gesin­nun­gen, des Bestre­it­baren « beze­ich­net, näm­lich »Frei­heit, Grundw­erte, Demokratie«.

Es muß zur »Wirk­lichkeit der Lage«, zur »nationalen Wirk­lichkeit« vorgestoßen wer­den. Nur so ist eine Ori­en­tierung über­haupt möglich. Für Willms kommt dieser Bemühung deshalb entschei­dende Bedeu­tung zu, weil nur so Ori­en­tierung möglich werde. Diese »Wirk­lichkeitswis­senschaft« ist für Willms die Philoso­phie des Deutschen Ide­al­is­mus, dessen Kern die »Nation als Idee« ist. Die »Idee der Nation« ist das Ganze eines als Staat organ­isierten Volkes; sie ord­net das Denken, »indem sie es nation­al­isiert, sie ver­lei­ht Sinn«. Wenn der let­zte Maßstab der Nation die Idee ist, dann muß eine Poli­tik, wenn sie mit nationalem Anspruch auftritt, danach beurteilt wer­den, wieweit sie »der Nation« als solch­er nützt oder schadet. Die Nation wird bei Willms nur wirk­lich als »Arbeit« oder »Kampf um die Nation«: der »nationale Imper­a­tiv sei kat­e­gorisch«. Die Geschichte des Nation­al­is­mus ist deshalb auch »eine Geschichte des nationalen Wider­standes gegen Herrschaft«, die am »Wert­maßstab der Nation­al­staat­srä­son« – Willms arbeit­et hier eine Verbindungslin­ie von Ernst Moritz Arndt bis zu Stauf­fen­berg her­aus – zu messen ist.

Demokratie und Nation ste­hen in einem ähn­lichen Span­nungsver­hält­nis, das er durch Wert­po­si­tio­nen bzw. »poten­tielle Bürg­erkriegspo­si­tio­nen« gekennze­ich­net sieht. Wertüberzeu­gun­gen sind dabei lediglich ein ander­er Aus­druck für Gesin­nun­gen; gehe man auf sie zurück, dann komme es in der Tat nur darauf an, die »richtige« Gesin­nung zu haben. Die Nation aber ist kein »Wert«, für den man sich beliebig entschei­den kann, son­dern ein »Schick­sal«. Alles, was unter Demokratie zu ver­ste­hen ist, muß daher auf »die Selb­st­be­haup­tungsrä­son der Nation bezo­gen wer­den«.

Die Demokratie nach dem Maß des west­lichen Lib­er­al­is­mus fördert die nationale Selb­st­be­haup­tung der Deutschen nicht. Da das Prinzip des Lib­er­al­is­mus die Forderung nach »mehr Frei­heit« ist, bleibt dieser nach Willms »poli­tisch par­a­sitär«; er kann selb­st keine poli­tis­che Wirk­lichkeit begrün­den. Willms emp­fiehlt deshalb in diesem Zusam­men­hang eine Rückbesin­nung auf die »Ideen der kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion«. »Kampf um die Nation« bedeutet in West­deutsch­land vor allem »Kampf um das nationale Selb­st­be­wußt­sein«.

»Die Zukun­ft der Nation« ste­ht 1982 unter der Bürde der Teilung. Willms kon­sta­tiert deshalb, daß die Deutschen real das gle­iche, eben nationale Inter­esse haben müssen, näm­lich an der »Wieder­her­stel­lung ihrer selb­st in der konkreten All­ge­mein­heit der deutschen Nation«. Der »deutsche Imper­a­tiv« ver­langt vor diesem Hin­ter­grund, daß etwas, was der Wieder­her­stel­lung
ent­ge­gen­ste­ht, nicht gerecht sein kann. Es bleibt, so Willms, deshalb nichts übrig, als in bezug auf die Beson­der­heit des deutsch-deutschen Ver­hält­nis von ein­er antag­o­nis­tis­chen Beziehung
unter den Bedin­gun­gen der gemein­samen Nation­al­ität, oder kurz von »Nationaler Koex­is­tenz« zu reden. Die Poli­tik der »Nationalen Koex­is­tenz« ist 1982 revi­sion­is­tisch, sie will Deutsch­land wieder­her­stellen, also Jal­ta und die Teilung rev­i­dieren. Dazu bedarf es der Erneuerung der »Idee der Nation«.

Armin Mohler hat die Wirkung von Willms Buch als »Wirbel­wind« beze­ich­net, der »in die kon­ser­v­a­tive Szene einge­brochen« sei; er habe »einen neuen Ton in die Debat­te gebracht«. Ähn­lich urteilte Her­bert Cysarz: Willms habe eine an »Gedanken und Beobach­tun­gen, Unter­suchun­gen und Fol­gerun­gen über­re­iche Sum­ma veröf­fentlicht«. Eine Ein­schätzung, die von der ent­ge­genge­set­zten poli­tis­chen Rich­tung geteilt wurde: Laut Arno Klönne sei Willms mit seinem Buch »zum führen­den The­o­retik­er des west­deutschen Neona­tion­al­is­mus avanciert«. Aus der Ablehnung von Willms The­sen macht­en er und andere Vertreter des linkslib­eralen Spek­trums indes kein Hehl: Die Bun­desre­pub­lik, so Klönne, ste­he vor der Frage, »ob und in welchem Umfange sich .… poli­tis­che Leitideen reak­tu­al­isieren kön­nen, die dem deutschen Faschis­mus einst den his­torischen Vor­raum bere­it­stell­ten«.

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Zitat:

Wenn mit der men­schlichen Exis­tenz über­haupt Sinn ver­bun­den ist, dann muß ein Recht als Grund­lage allen Men­schen­rechts und jed­er Bürg­erpflicht erkan­nt und anerkan­nt wer­den: das Recht auf Nation.

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Lit­er­atur:

  • Man­fred Lauer­mann: Bernard Willms, in: Crit­icón (1991), Heft 124
  • Bernard Willms: Philoso­phie der Selb­st­be­haup­tung, Schnell­ro­da 2007 (Auszug aus Die deutsche Nation)