Die Verschwörung der Flakhelfer — Günter Maschke, 1985

»Die Bun­desre­pub­lik, halb ordentlich­er Indus­triehof, halb Naher­hol­ungszone mit regelmäßig geleertem Papierko­rb, dieses hand­tuch­bre­ite Rest­land, dessen Bewohn­er nach Harm­losigkeit gieren, ist zugle­ich das Land, in dem jed­er zum Ver­fas­sungs­feind des anderen wer­den kann.« Mit diesem Satz leit­ete Gün­ter Maschke seinen 1985 erschiene­nen Auf­satz über Die Ver­schwörung der Flakhelfer ein und sig­nal­isierte damit gle­ich, daß er kein Inter­esse daran habe zu plaud­ern. Und so ist Maschkes Text eine bis heute in weit­en Teilen unerr­e­icht scharfe und gle­ichzeit­ig präzise Analyse der poli­tis­chen Sit­u­a­tion Deutsch­lands nach 1945 und des geisti­gen Lan­desver­rats sein­er poli­tis­chen Elite. Daß Maschke dabei selb­st vor kon­ser­v­a­tiv­en Iko­nen wie Kon­rad Ade­nauer und Lud­wig Erhard nicht halt­machte, ließ und läßt seine Urteile ger­ade bei Kon­ser­v­a­tiv­en zur Nagel­probe wer­den. Wom­it gibt man sich in der Beurteilung der deutschen Lage zufrieden? Und welche Desil­lu­sion­ierung hinzunehmen ist man bere­it?

Der Schmitt-Experte Maschke analysiert und argu­men­tiert von Carl Schmitt her. Dessen Kern­sätze über die Sou­veränität, das Poli­tis­che, den Lib­er­al­is­mus, den diskri­m­inieren­den Kriegs­be­griff sind gegen­wär­tig, wer­den aktu­al­isiert und angewen­det und geben Maschke den Grund­ton vor: Dieser ist von unver­söhn­lichem Furor und gle­ichzeit­ig glasklar. Der Angriff ist nicht rauschhaft, son­dern wird wohlüber­legt und kom­pro­miß­los vor­ge­tra­gen, und solch­es kann nur dem­jeni­gen gelin­gen, der die Gefecht­slage mit klaren Begrif­f­en zu ord­nen ver­mag.

Maschke geht mit dem Sozi­olo­gen Hans-Joachim Arndt von den Deutschen als den »Besiegten von 1945« aus und gelangt zu der Behaup­tung, es sei »die Ver­fas­sung das Gefäng­nis, dem es zu
entrin­nen gilt«. Er unter­mauert diese unge­heure Fest­stel­lung anhand sein­er Analyse eines dop­pel­ten Angriffs auf die Reste deutsch­er Sub­stanz nach dem Krieg: Die Nürn­berg­er Prozesse hät­ten mit ihrer Äch­tung des Rechts zum Kriege einen wesentlichen Grund­satz der Staatlichkeit zer­stört: seine Sou­veränität. Gle­ichzeit­ig sei mit der Ent­naz­i­fizierung das für dieses entstaatlichte Gemein­we­sen »richtige Indi­vidu­um« geschaf­fen wor­den – ein »antifaschis­tis­ch­er Homuncu­lus«, der schon 1933 habe wis­sen müssen, »was 10 Jahre später in Auschwitz geschah«, geseg­net
mit einem »größeren Weit­blick als die Regierun­gen der USA, der UdSSR, Frankre­ichs und Großbri­tan­niens zusam­mengenom­men «: ein mündi­ger Bürg­er, gekennze­ich­net von einem »Ineinan­der von Genuß­sucht und Zerknirschung« und von ein­er jede Poli­tik abwür­gen­den lib­eralen Men­tal­ität.

Die Jahrgänge, die diese Men­tal­ität angenom­men und zur prä­gen­den für die BRD gemacht hät­ten, beze­ich­net Maschke als »Gen­er­a­tion der Flakhelfer«; sie war »zu jung, um die Prügel zu  ver­ste­hen, die sie empf­ing«, Prügel, die einem beson­deren deutschen Weg in die Mod­erne ins­ge­samt und nicht etwa nur ein­er nation­al­sozial­is­tis­chen Ver­fehlung gal­ten. Und so beant­wortet Maschke seine Frage gle­ich selb­st mit Ja: »Muß, wer Ade­nauer sagt, nicht auch Rudi Dutschke sagen und wer Strauß sagt, nicht auch Otto Schi­ly und sog­ar Rote-Armee-Frak­tion sagen?« Für
Maschke sind die Rev­oluzzer von ‘€™68 nur der »radikalisierte Wurm­fort­satz« der früheren inneren Feinde des deutschen Volkes, jen­er Betreiber eines »Auto­genozids «, für die es keinen Gericht­shof gibt.

Die Ver­schwörung der Flakhelfer ist ein gefährlich­er Text. Natür­lich darf man die Anlage zur Pro­voka­tion Maschkes als des ehe­ma­li­gen »Dutschke von Wien« nicht verken­nen. Aber auch dann, wenn man sie mit ein­rech­net, bleibt die Ver­schwörung aggres­sives Denken par excel­lence. Der Text ist sug­ges­tiv und von umstürzen­der Deut­lichkeit. Was tun? Wer Maschkes Argu­men­ta­tion fol­gt und seine Schluß­fol­gerun­gen akzep­tiert, muß das poli­tis­che Sys­tem der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land in Frage stellen, seine Grund­lage, seine Entste­hung, auch seine Fort­set­zung nach 1990. Diese Radikalität ist so kühl und gründlich, daß sie jene Dop­pel­wirkung aus Erre­gung und Läh­mung ent­fal­ten kann, die jed­er unver­mit­tel­ten Botschaft aus dem Bere­ich erstrangi­gen, kat­e­gorischen Denkens eignet.

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Zitat:

Diese deutsche Art von Post-his­toire ist noch nicht an ihrem Ende, doch wie immer in der Poli­tik eröffnet sich die neue Lage eher plöt­zlich, als daß sie sich entwick­elt.

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Aus­gabe

  • Wieder­ab­druck, in: Gün­ter Maschke: Das bewaffnete Wort, Wien/Leipzig: Karolinger 1997, S. 72–90