Entwicklung wird abgeleitet vom Verb “entwickeln”, das ursprünglich im Wortsinn als “auseinanderwickeln” oder “aufwickeln” verstanden wurde. Erst im 18. Jahrhundert fand eine Übertragung aus der Alltags- in die Wissenschaftssprache statt, wobei auch das Substantiv Entwicklung geschaffen wurde. Entwicklung bezieht sich seitdem auf langfristige Prozesse der Entfaltung oder stufenweisen Ausbildung, wobei Ursache oder Gegenstand der Entwicklung ungenannt sein können.
In der Sache entspricht Entwicklung einer genuin konservativen Konzeption, da sie einen Vorgang bezeichnet, dessen Tatsächlichkeit und faktische Bedeutung von dieser Seite immer betont wurde. Die Feststellung bezieht sich vor allem auf die geschichtliche Entwicklung. Der Vorzug, den man — nach einer Formulierung Edmund Burkes — dem “Erhaltungsprinzip” einräumt, beruht gerade auf der Wahrnehmung des Wandels und sagt nichts gegen das Neue, falls es dem “Verbesserungsprinzip” genügt. Allerdings glaubt der Konservative, daß das eher bei “ruhigem Gang” der Geschichte zu verwirklichen sei, nicht durch Revolutionen, also abrupte Brüche, die utopische Entwürfe verwirklichen sollen.
Das erklärt weiter den Vorzug, den man seit der Romantik einer “organischen Entwicklung” gibt, mehr oder weniger deutlich geschieden von idealistischen oder naturalistischen Ansätzen. Im Hinblick auf die Annahme naturalistischer Entwicklung — etwa der sozialdarwinistischen Theorien — ergibt sich die Distanz aus der angenommenen Blindheit des Vorgangs der “Evolution”: Er kennt nur ein survival of the fittest, das im Grunde keiner menschlichen Wertung unterliegt. In bezug auf den Idealismus erklärt sich der Abstand aus dessen Vorstellung von der notwendigen Reihung bestimmter historischer Phasen, in denen sich die Idee historisch immer stärker zur Geltung bringt. Die Konservativen beurteilen einen derartigen “Fortschritt” (Dekadenz) ebenso skeptisch wie den, den die materialistische Lehre behauptet. Grundsätzlich hält der Konservative den Wandel für ambivalent, und er rechnet auch stärker mit der Möglichkeit des abrupten Schnitts, der eine Entwicklung plötzlich beendet.
Die “organische Entwicklung” ist in erster Linie eine “Einstellung” (Erich Rothacker), die Staaten, Völker oder Kulturen wie große sich wandelnde Körper versteht, deren Veränderung deshalb bestimmten Gesetzen und Grenzen unterliegt, so daß Entwicklung im positiven Sinn immer bloß “Umgliederung eines Ganzen” (Othmar Spann) sein kann. Damit ist gleichzeitig geklärt, warum die Verbesserbarkeit nur in einem beschränkten Rahmen vorgestellt werden kann, soll das Ganze nicht zerstört werden.
Es gab durchaus Versuche von konservativer Seite, die romantische beziehungsweise neuromantische Entwicklungstheorie mit der Lehre Darwins oder neueren Ansätzen der Biologie zum Ausgleich zu bringen. Konrad Lorenz hat etwa im Rahmen einer “evolutionären Erkenntnistheorie” die These von der “Kultur als lebendem System” aufgestellt und eine weitgehende Analogie zwischen der Entwicklung natürlicher (Natur) und kultureller (Kultur) Formen behauptet. Vollständig überzeugend ist das aber nicht, da die Naturwissenschaft zuletzt im Bereich des Quantifizierenden bleibt, die Stärke der Vorstellung von einer organischen Entwicklung aber gerade in ihrer Wertungsbereitschaft liegt.
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Zitate:
Denn am Wirklichen ist das Wandeln allerdings nichts weiter Erstaunliches, da Wirklichkeit und Werden zusammenfallen. Um so mehr aber liegt ein Problem da, wo dieses Moment des Wandelns das Wahre und Gültige ergreift.Erich Rothacker
Ein Kulturmensch — erhascht von dem, was das Leben des Geistes stets neu gebiert, ja nur den winzigsten Teil, und immer nur etwas Vorläufiges, nichts Endgültiges, und deshalb ist der Tod für ihn eine sinnlose Begebenheit. Und weil der Tod sinnlos ist, ist es auch das Kulturleben als solches, welches ja eben durch seine sinnlose “Fortschrittlichkeit” den Tod zur Sinnlosigkeit stempelt.Max Weber
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Literatur:
- Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.): Wir sind Evolution, Herderbücherei Initiative, Bd 40, Freiburg i.Br. 1981
- Konrad Lorenz: Die Rückseite des Spiegels [1973], zuletzt München 1999
- Georg Quabbe: Tar a Ri — Variationen über ein konservatives Thema [1927], zuletzt Toppenstedt 2007
- Erich Rothacker: Logik und Systematik der Geisteswissenschaften [1927], zuletzt Darmstadt 1970
- Othmar Spann: Geschichtsphilosophie [1932], Gesamtausgabe, Bd 12, Graz 1970