Jerusalem – Erlöserkirche

Das Heilige Land ist ein Sehn­sucht­sort. Von den Kreuz­fahrern des Mit­te­lal­ters bis zu den Pil­ger­touris­ten der Neuzeit hat es immer wieder Men­schen ange­zo­gen; es ist zudem zu einem  per­ma­nen­ten Kampf­platz der Völk­er und der Reli­gio­nen gewor­den. Auch Deutsche bereis­ten das Land, vor allem um die his­torischen Stät­ten mit eige­nen Augen zu sehen, von denen in der Bibel
berichtet wird. Ende des 19. Jahrhun­derts hat diese Moti­va­tion in Deutsch­land einen beson­deren Schub für Fahrten ins Heilige Land aus­gelöst.

Die bekan­nteste Reise eines Deutschen ins Heilige Land ist wohl bis heute diejenige Kaiser Wil­helms II., der 1898 eine sech­swöchige Pil­ger­fahrt unter­nahm. Echt wil­helminisch ver­mis­cht­en sich dabei per­sön­liche Fröm­migkeit und offizielle Poli­tik: Der Kaiser bemühte sich um ein gutes Ver­hält­nis zum Osman­is­chen Reich und ver­suchte gle­ichzeit­ig, sich als Hüter der Chris­ten­heit im Heili­gen Land zu präsen­tieren. Dem deutschen katholis­chen Palästi­na-Vere­in stiftete er daher ein Gelände auf dem Zions­berg zur Errich­tung ein­er Kirche und ein­er Abtei. Der Haupt­grund der ganzen Reise war aber die Ein­wei­hung der evan­ge­lis­chen Erlöserkirche, neben der Jerusale­mer Grabeskirche gele­gen, am 31. Okto­ber 1898.

Schon Wil­helms Großonkel Friedrich Wil­helm IV. hat­te sich für das Heilige Land als reli­gion­spoli­tis­chen Wirkung­sort inter­essiert. Das­selbe gilt für Wil­helms Vater, den späteren Kaiser Friedrich III., der das Grund­stück für die Erlöserkirche in Jerusalem erwarb. Doch erst unter Kaiser Wil­helm II. kamen die Dinge wirk­lich ins Rollen: Unter der Leitung der Architek­ten Friedrich Adler und Paul Groth began­nen 1893 die Bauar­beit­en. Dabei inte­gri­erte man Ele­mente der im Mit­te­lal­ter an dieser Stelle errichteten Kreuz­fahrerkirche »St. Maria Lati­na« in den Neubau. Es ent­stand eine Kirche im neoro­man­is­chen Stil, den der Kaiser beson­ders schätzte, weil die Romanik im Gegen­satz zur »franzö­sis­chen« Gotik als spez­i­fisch deutsch­er Architek­turstil galt. Die tra­di­tionelle protes­tantis­che Fröm­migkeit des Haus­es Hohen­zollern spielte für Wil­helm II. eben­so eine Rolle wie die christlich-deutsche Weltan­schau­ung des Kreis­es um Richard Wag­n­er, ins­beson­dere in Gestalt der Grund­la­gen des XIX. Jahrhun­derts des Wag­n­er-Schwiegersohns Hous­ton Stew­art Cham­ber­lain. Das Ziel ein­er deutsch­protes­tantis­chen Erneuerung förderte der Kaiser und ober­ste Bischof der alt­preußis­chen Lan­deskirche in sein­er ganzen Regierungszeit durch zahllose Kirchen­neubaut­en und ‑restau­ra­tio­nen. Beson­ders promi­nent war die Restau­rierung der Schloßkirche in Wit­ten­berg, dem Schau­platz von Luthers The­sen­schlag. Die Ein­wei­hung der restau­ri­erten Kirche am Refor­ma­tion­stag 1892 war eine Demon­stra­tion der Einigkeit des ganzen evan­ge­lis­chen Deutsch­lands.

Nur in diesem Kon­text wird die Bedeu­tung der genau sechs Jahre später erfol­gten Ein­wei­hungs­feier der Erlöserkirche in Jerusalem ver­ständlich. Ein­ge­laden waren hier näm­lich neben den evan­ge­lis­chen Kirchen­regierun­gen und Stiftun­gen im Heili­gen Land sowie den deutschen Lan­deskirchen auch Vertreter der Kirchenge­mein­schaften der wichtig­sten evan­ge­lis­chen Gemein­den außer­halb Deutsch­lands. Der Kaiser hielt zudem im Rah­men der Feier eine Rede, die den Kirchen­bau als Sym­bol der Ein­heit des weltweit­en evan­ge­lis­chen Chris­ten­tums – unter deutsch­er Führung – inter­pretierte. Kirchen­poli­tisch mag dieses Anliegen, das den Kaiser auch religiös und the­ol­o­gisch beschäftigte, wenig erfol­gre­ich gewe­sen sein; das Zeichen, das schon 1898 Begeis­terung her­vor­rief, ste­ht noch heute.

Allerd­ings sind seit 1970 einige bauliche Änderun­gen der kriegs­be­d­ingt beschädigten Erlöserkirche vorgenom­men wor­den, die die ursprüngliche Gestalt, vor allem die Innenausstat­tung der Kirche, gewalt­sam verän­dert haben. Zur gle­ichen Zeit wur­den archäol­o­gis­che Aus­grabun­gen unter­halb der Kirche begonnen, deren Ergeb­nisse die Auf­fas­sung stützen, daß das his­torische Gol­gatha sich tat­säch­lich hier, ganz in der Nähe der Grabeskirche, befun­den haben kön­nte. Seit 2012 existiert ein archäol­o­gis­ch­er Park unter dem Kirchen­schiff der Erlöserkirche, der Besuch­ern die Grabungsergeb­nisse präsen­tiert. Die Kirche selb­st gehört mit­tler­weile der Evan­ge­lis­chen Jerusalem-Stiftung der Evan­ge­lis­chen Kirche in Deutsch­land (EKD), dem Dachver­band des deutschen Protes­tantismus und damit ein­er Organ­i­sa­tion, die eigentlich in der Tra­di­tion der von den Hohen­zollern erstrebten evan­ge­lis­chen Einigkeit liegen würde, wenn ihr diese Tra­di­tion nicht so unbe­quem wäre.

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Lit­er­atur:

  • Das deutsche Kaiser­paar im Heili­gen Lande im Herb­st 1898. Mit Aller­höch­ster Ermäch­ti­gung Sein­er Majestät des Kaisers und Königs nach authen­tis­chen Bericht­en und Akten, Berlin 1899
  • Thomas Ben­ner: Die Strahlen der Kro­ne. Die religiöse Dimen­sion des Kaiser­tums unter Wil­helm II. vor dem Hin­ter­grund der Ori­en­treise 1898, Mar­burg 2001
  • Oliv­er Kohler: Zwis­chen christlich­er Zion­ssehn­sucht und kaiser­lich­er Poli­tik. Die Entste­hung von Kirche und Kloster »Dor­mi­tio Beat­ae Mari­ae Vir­gi­nis« in Jerusalem, St. Ottilien o. J. [2005]
  • Jür­gen Krüger: Rom und Jerusalem. Kirchen­bau­vorstel­lun­gen der Hohen­zollern im 19. Jahrhun­dert, Berlin 1995