Pieper, Josef — Philosoph, 1904–1997

Josef Pieper, geboren am 4. Mai 1904 in Elte (Rheine), war ein bedeu­ten­der Vertreter des abendländis­chen Men­schen­bildes, das seine Grund­la­gen u. a. in der auf das antike Denken zurück­ge­hen­den Tugendlehre besaß. Er war zudem ein Philosoph, der sich dazu bekan­nte, aus der christlichen bzw. katholis­chen Über­liefer­ung her­aus zu philoso­phieren und so expliz­it und impliz­it stets auch das Ver­hält­nis von Ver­nun­ft und Tra­di­tion und ins­beson­dere der religiösen Über­liefer­ung reflek­tierte.

Von sozi­ol­o­gis­chen und philoso­phiegeschichtlichen Anfän­gen her arbeit­ete Pieper in der ihm eige­nen Art, die an den Trak­tat­en des Mit­te­lal­ters geschult war, die Wesens­bes­tim­mungen des Men­schen in natür­lich­er wie über­natür­lich­er Hin­sicht her­aus. Sowohl die anthro­pol­o­gis­chen Grund­la­gen, die Pieper in pos­i­tiv­er Auf­nahme tra­di­tioneller Lehrstücke, aber auch in kri­tis­ch­er Auseinan­der­set­zung mit aus­gewählten neueren Ansätzen her­ausar­beit­ete, als auch die über­natür­liche Bes­tim­mung des Men­schen gehörten für Pieper zu den Kern­fra­gen der Philoso­phie. Sprach- und Begriff­s­analyse erfol­gten bei Pieper nie im Sinne ein­er Reduk­tion von Philoso­phie auf die logis­che Klärung der Sprache, vielmehr als dialek­tisch notwendi­ge Auswer­tung auch des vor­philosophis­chen Sprachge­brauchs für ein sach­lich angemessenes Philoso­phieren (Was heißt philoso­phieren?, 1948). Es ging ihm stets um das Ver­ständ­nis grundle­gen­der Phänomene, die für das men­schliche Leben prä­gende Bedeu­tung haben und denen er jew­eils tief ein­drin­gende Trak­tate wid­mete: Gerechtigkeit, Tapfer­keit, Klugheit, Zucht und Maß, Liebe, Hoff­nung und Glauben.

Piepers Bedeu­tung für die poli­tis­che Philoso­phie liegt darin, daß er ein emphatis­ch­er Vertreter ein­er Aktu­al­isierung von Pla­tons Kri­tik an den Sophis­ten war. Seine Aus­führun­gen zum The­ma, etwa in seinem Berlin­er Vor­trag von 1964 über den „Verderb des Wortes und die Macht“, gehören zu den nach wie vor gülti­gen Grund­la­gen ein­er Medi­en- und Sprachkri­tik, die an der Zer­störung des Wahrheits­bezuges durch sophis­tis­che Strate­gien und The­o­reme Anstoß nimmt: „Akademisch heißt anti­so­phis­tisch“. Von bleiben­der Bedeu­tung ist in diesem Zusam­men­hang auch Piepers Vertei­di­gung der Philoso­phie und des Akademis­chen gegen die Zumu­tun­gen, denen sie in der mod­er­nen Arbeitswelt aus­ge­set­zt sind. Nicht zulet­zt erkan­nte Pieper auch sehr scharf, daß das Akademis­che seinem Wesen nach in ein­er deut­lichen Span­nung zum Prinzip der Demokratie ste­ht, weil das Akademis­che Ran­gun­ter­schiede bejaht. Für Pieper war dage­gen eine Tra­di­tion maßgebend, die mit den Namen Pla­ton, Thomas und New­man in Abbre­viatur gekennze­ich­net wer­den kann; er stellt sich vor diesem Hin­ter­grund gegen das Richt­bild des Arbeit­ers im Sinne Ernst Jüngers. Er bestand im Ein­klang mit der abendländis­chen Tra­di­tion auf der Notwendigkeit, die The­olo­gie inner­halb der Uni­ver­sität zur Gel­tung zu brin­gen (Was heißt akademisch?, 1964).

Zen­tral ist in diesem Zusam­men­hang das Wirk­lichkeitsver­ständ­nis von Pieper, ging es diesem doch um die Reha­bil­i­ta­tion wesentlich­er Para­me­ter eines vor­mod­er­nen, gle­ich­sam mit­te­lal­ter­lichen Wirk­lichkeitsver­ständ­niss­es (Die Wirk­lichkeit und das Gute, 1931; Die Wahrheit der Dinge, 1944). Das Bild von der Wirk­lichkeit sollte offen gehal­ten wer­den für die spez­i­fis­chen Ansprüche des Offen­barungs­glaubens, wobei Pieper aus­drück­lich die Schwierigkeit ansprach, heute zu glauben. In allem aber kam es Pieper darauf an, die „innere Normierung des Geistes durch die Wahrheit“ zu bewahren.

Kul­tur- und reli­gion­sphilosophisch lieferte Pieper Beiträge zu einem tief­er­en Ver­ständ­nis von Phänome­nen wie Sünde, Tod oder Glück, analysierte aber auch das für das men­schliche Zusam­men­leben zen­trale Prob­lem der Über­liefer­ung. Über die all­ge­mein philosophis­chen Fra­gen hin­aus nahm Pieper zu zahlre­ichen spez­i­fisch kirch­lichen Prob­le­men und Kon­tro­ver­sen Stel­lung, indem er etwa danach fragte, was das den Priester und die Kirche als Sakral­bau spez­i­fis­che Unter­schei­dende sei. Als über­raschend mag man anse­hen, daß Pieper sich nach sein­er inten­siv­en Bezug­nahme auf die Scholastik und vor allem Thomas – ohne freilich deshalb als Thomist im klas­sis­chen Sinne gel­ten zu kön­nen – weitaus mehr mit Pla­ton als mit Aris­tote­les befaßt hat. Als Über­set­zer (teils gemein­sam mit sein­er Frau) machte sich Pieper um die Rezep­tion von Thomas von Aquin und C. S. Lewis ver­di­ent (Über den Schmerz, 1988).

Pieper war ein erfol­gre­ich­er Vor­tragsred­ner, wovon auch zahlre­iche Tonauf­nah­men ein­drucksvoll Zeug­nis able­gen. Seine in zahlre­ichen Einze­laus­gaben sowie in ein­er maßge­blichen Werkaus­gabe vor­liegen­den Schriften wur­den vielfach über­set­zt, fan­den großen Anklang z. B. bei dem Dichter T. S. Eliot und wer­den bis heute in den Vere­inigten Staat­en und ander­norts immer wieder neu aufgelegt. Eine an der The­ol­o­gis­chen Fakultät Pader­born ein­gerichtete Josef-Pieper-Arbeitsstelle pflegt das philosophis­che Erbe Piepers und präsen­tiert auf ihrer Web­site zahlre­iche Mate­ri­alien von und zu Pieper. Der Schrift­steller Mar­tin Mose­bach hat die Bedeu­tung Piepers schön von der Ver­schränkung von Denken und Schreib­stil her erschlossen: „Wer im Werk Josef Piepers liest, erlebt eine Verza­uberung: In ein­er Sprache von klas­sis­ch­er Klarheit und Schlankheit, in ein­er Ver­ständlichkeit, die von Intellekt und men­schen­fre­undlich­er Leben­sart des Autors gle­ich­falls zeugt, stellt sich hier ein für über­holt und wider­legt erk­lärtes Denken in jugendlich­er Spon­taneität und Frische dar.“

Josef Pieper ver­starb am 6. Novem­ber 1997 in Mün­ster.

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Zitat:

Wer etwas über­liefern will, der muß nicht von Tra­di­tion reden; son­dern er muß dafür sor­gen, daß die zu über­liefer­n­den Inhalte, die alten Wahrheit­en, präsent gehal­ten wer­den, zum Beispile durch eine lebendi­ge Sprache, durch schöpferische Über­set­zung, durch ständi­ge Kon­fron­tierung mit dem unmit­tel­bar Gegen­wär­ti­gen und vor allem auch mit der Zukun­ft.

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Schriften:

  • Werke, hrsg. von Berthold Wald, 8 Bde. u. 2 Ergänzungs­bände, Ham­burg 1998ff.

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Lit­er­atur:

  • Europäis­che Werte denken. Josef Pieper – Philosoph, Lehrer, Autor, hrsg. von Hol­ger Flach­mann, William Hoye, Matthias Kayß, Mün­ster 2004
  • Hen­rik Holm: Die Uner­gründlichkeit der kreatür­lichen Wirk­lichkeit. Eine Unter­suchung zum Ver­hält­nis von Philoso­phie und Wirk­lichkeit bei Josef Pieper, Dres­den 2011
  • Till Kinzel: Philoso­phie und Bil­dung. Die „Idee der Uni­ver­sität“ bei John Hen­ry New­man und Josef Pieper, in: Hanns-Gre­gor Niss­ing (Hrsg.): Ver­nun­ft und Glaube. Per­spek­tiv­en gegen­wär­tiger Philoso­phie, München 2008