Josef Pieper, geboren am 4. Mai 1904 in Elte (Rheine), war ein bedeutender Vertreter des abendländischen Menschenbildes, das seine Grundlagen u. a. in der auf das antike Denken zurückgehenden Tugendlehre besaß. Er war zudem ein Philosoph, der sich dazu bekannte, aus der christlichen bzw. katholischen Überlieferung heraus zu philosophieren und so explizit und implizit stets auch das Verhältnis von Vernunft und Tradition und insbesondere der religiösen Überlieferung reflektierte.
Von soziologischen und philosophiegeschichtlichen Anfängen her arbeitete Pieper in der ihm eigenen Art, die an den Traktaten des Mittelalters geschult war, die Wesensbestimmungen des Menschen in natürlicher wie übernatürlicher Hinsicht heraus. Sowohl die anthropologischen Grundlagen, die Pieper in positiver Aufnahme traditioneller Lehrstücke, aber auch in kritischer Auseinandersetzung mit ausgewählten neueren Ansätzen herausarbeitete, als auch die übernatürliche Bestimmung des Menschen gehörten für Pieper zu den Kernfragen der Philosophie. Sprach- und Begriffsanalyse erfolgten bei Pieper nie im Sinne einer Reduktion von Philosophie auf die logische Klärung der Sprache, vielmehr als dialektisch notwendige Auswertung auch des vorphilosophischen Sprachgebrauchs für ein sachlich angemessenes Philosophieren (Was heißt philosophieren?, 1948). Es ging ihm stets um das Verständnis grundlegender Phänomene, die für das menschliche Leben prägende Bedeutung haben und denen er jeweils tief eindringende Traktate widmete: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit, Zucht und Maß, Liebe, Hoffnung und Glauben.
Piepers Bedeutung für die politische Philosophie liegt darin, daß er ein emphatischer Vertreter einer Aktualisierung von Platons Kritik an den Sophisten war. Seine Ausführungen zum Thema, etwa in seinem Berliner Vortrag von 1964 über den „Verderb des Wortes und die Macht“, gehören zu den nach wie vor gültigen Grundlagen einer Medien- und Sprachkritik, die an der Zerstörung des Wahrheitsbezuges durch sophistische Strategien und Theoreme Anstoß nimmt: „Akademisch heißt antisophistisch“. Von bleibender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch Piepers Verteidigung der Philosophie und des Akademischen gegen die Zumutungen, denen sie in der modernen Arbeitswelt ausgesetzt sind. Nicht zuletzt erkannte Pieper auch sehr scharf, daß das Akademische seinem Wesen nach in einer deutlichen Spannung zum Prinzip der Demokratie steht, weil das Akademische Rangunterschiede bejaht. Für Pieper war dagegen eine Tradition maßgebend, die mit den Namen Platon, Thomas und Newman in Abbreviatur gekennzeichnet werden kann; er stellt sich vor diesem Hintergrund gegen das Richtbild des Arbeiters im Sinne Ernst Jüngers. Er bestand im Einklang mit der abendländischen Tradition auf der Notwendigkeit, die Theologie innerhalb der Universität zur Geltung zu bringen (Was heißt akademisch?, 1964).
Zentral ist in diesem Zusammenhang das Wirklichkeitsverständnis von Pieper, ging es diesem doch um die Rehabilitation wesentlicher Parameter eines vormodernen, gleichsam mittelalterlichen Wirklichkeitsverständnisses (Die Wirklichkeit und das Gute, 1931; Die Wahrheit der Dinge, 1944). Das Bild von der Wirklichkeit sollte offen gehalten werden für die spezifischen Ansprüche des Offenbarungsglaubens, wobei Pieper ausdrücklich die Schwierigkeit ansprach, heute zu glauben. In allem aber kam es Pieper darauf an, die „innere Normierung des Geistes durch die Wahrheit“ zu bewahren.
Kultur- und religionsphilosophisch lieferte Pieper Beiträge zu einem tieferen Verständnis von Phänomenen wie Sünde, Tod oder Glück, analysierte aber auch das für das menschliche Zusammenleben zentrale Problem der Überlieferung. Über die allgemein philosophischen Fragen hinaus nahm Pieper zu zahlreichen spezifisch kirchlichen Problemen und Kontroversen Stellung, indem er etwa danach fragte, was das den Priester und die Kirche als Sakralbau spezifische Unterscheidende sei. Als überraschend mag man ansehen, daß Pieper sich nach seiner intensiven Bezugnahme auf die Scholastik und vor allem Thomas – ohne freilich deshalb als Thomist im klassischen Sinne gelten zu können – weitaus mehr mit Platon als mit Aristoteles befaßt hat. Als Übersetzer (teils gemeinsam mit seiner Frau) machte sich Pieper um die Rezeption von Thomas von Aquin und C. S. Lewis verdient (Über den Schmerz, 1988).
Pieper war ein erfolgreicher Vortragsredner, wovon auch zahlreiche Tonaufnahmen eindrucksvoll Zeugnis ablegen. Seine in zahlreichen Einzelausgaben sowie in einer maßgeblichen Werkausgabe vorliegenden Schriften wurden vielfach übersetzt, fanden großen Anklang z. B. bei dem Dichter T. S. Eliot und werden bis heute in den Vereinigten Staaten und andernorts immer wieder neu aufgelegt. Eine an der Theologischen Fakultät Paderborn eingerichtete Josef-Pieper-Arbeitsstelle pflegt das philosophische Erbe Piepers und präsentiert auf ihrer Website zahlreiche Materialien von und zu Pieper. Der Schriftsteller Martin Mosebach hat die Bedeutung Piepers schön von der Verschränkung von Denken und Schreibstil her erschlossen: „Wer im Werk Josef Piepers liest, erlebt eine Verzauberung: In einer Sprache von klassischer Klarheit und Schlankheit, in einer Verständlichkeit, die von Intellekt und menschenfreundlicher Lebensart des Autors gleichfalls zeugt, stellt sich hier ein für überholt und widerlegt erklärtes Denken in jugendlicher Spontaneität und Frische dar.“
Josef Pieper verstarb am 6. November 1997 in Münster.
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Zitat:
Wer etwas überliefern will, der muß nicht von Tradition reden; sondern er muß dafür sorgen, daß die zu überliefernden Inhalte, die alten Wahrheiten, präsent gehalten werden, zum Beispile durch eine lebendige Sprache, durch schöpferische Übersetzung, durch ständige Konfrontierung mit dem unmittelbar Gegenwärtigen und vor allem auch mit der Zukunft.
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Schriften:
- Werke, hrsg. von Berthold Wald, 8 Bde. u. 2 Ergänzungsbände, Hamburg 1998ff.
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Literatur:
- Europäische Werte denken. Josef Pieper – Philosoph, Lehrer, Autor, hrsg. von Holger Flachmann, William Hoye, Matthias Kayß, Münster 2004
- Henrik Holm: Die Unergründlichkeit der kreatürlichen Wirklichkeit. Eine Untersuchung zum Verhältnis von Philosophie und Wirklichkeit bei Josef Pieper, Dresden 2011
- Till Kinzel: Philosophie und Bildung. Die „Idee der Universität“ bei John Henry Newman und Josef Pieper, in: Hanns-Gregor Nissing (Hrsg.): Vernunft und Glaube. Perspektiven gegenwärtiger Philosophie, München 2008