Ratzinger, der Sohn einer Köchin und eines Gendarmeriemeisters wurde am 16. April 1927 in Marktl/Inn geboren. Er studierte von 1946 bis 1951 Katholische Theologie und Philosophie an der Philosophisch-theologischen Hochschule in Freising und an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die Priesterweihe erfolgt am 29. Juni 1951 (zusammen mit dem Bruder Georg) im Freisinger Dom.
Joseph Ratzinger ging schon in seiner Dissertation über den Kirchenbegriff bei Augustinus (1953) und erst recht in seiner Habilitationsschrift über die Geschichtstheologie Bonaventuras (1957) von den Prägungen der Scholastik ab und wandte sich der Frage der Geschichtlichkeit und der mystischen Dimension der Theologie zu. Bereits in den frühesten Jahren war überdies das Verhältnis von Glaube und Vernunft ein zentrales Thema Ratzingers.
Als junger Konzilstheologe folgte Ratzinger durchaus einem gemäßigten „aggironamento“ (Papst Johannes XXIII) in dem Sinn, daß die bleibenden Traditionen in der jeweils neuen Weise der eigenen Zeit zur Darstellung gebracht werden müssen. Als Konzilsberater von Joseph Kardinal Frings hatte Ratzinger wesentlichen Anteil an der Formulierung einer einflußreichen Konzilsrede über die Transparenz der Kurie. Im Mai 1977 wurde er, seit 1969 Professor in Regensburg, zum Erzbischof von München und Freising berufen und bereits einen Monat später in das Kardinalskollegium aufgenommen. 1982 berief ihn Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation, ein Amt, das Ratzinger bis zu seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005 innehatte.
Seine souveräne Einführung in das Christentum (1968) wies zugleich deutlich auf den klassischen Zusammenhang hellenistischer griechischer Kultur und christlichen Kerygmas hin. In diesem bahnbrechenden Buch war zugleich deutlich erkennbar, daß die Moderne, einschließlich ihrer demokratischen Verfaßtheit, nicht Maßstab für die Kirche sein könne.
Die Studentenproteste des Jahres 1968 und die Verwechslung von immanenter utopischer Selbsterlösung in marxistischen Ideologien und dem transzendenten Heilsweg des Glaubens hinterließ bei Ratzinger tiefe Spuren. Seither galt der einstige „Neuerer“ als eher konservativer Theologe, ein Ruf, der sich in der Zeit als Vorsitzender der Glaubenskongregation in Rom und der Verfahren insbesondere gegen Befreiungstheologen wie Leonardo Boff weiter festigen sollte, der aber die Konstanz seines Denkweges nicht überdecken darf.
Ratzinger kann als engster theologischer Ratgeber des polnischen Papstes Johannes Pauls II. gelten, der selbst eher von der personalistischen Philosophie (Edith Stein, russische Religionsphilosophie) bestimmt war. In seiner Zeit als Kurienkardinal formulierte Ratzinger mehrfach und differenziert seinen Vorbehalt gegen den modernen Relativismus (in seiner Ansprache zur Eröffnung des Konklaves 2005 sprach er von einer „Diktatur des Relativismus“). Er forderte eine christliche Zivilreligion und die Wahrheit als Maßstab der Demokratie ein.
Ratzinger hat sowohl als Kardinal wie auch in seinem bisherigen Pontifikat mit großer intellektueller Durchdringungskraft die Debatten der Zeit aufgenommen und auf den christlichen Grund geführt. Sein Gespräch mit Habermas (Katholische Akademie in Bayern 2004) über die nicht säkularen Dimensionen des neuzeitlichen Verfassungsstaates ist dafür exemplarisch. Besonders bemerkenswert ist es, daß sich Ratzinger der divergierenden Wege der Weltreligionen und ‑kulturen bewußt ist und sie nicht in eine Katholische Einheit zu überführen sucht. Das Christentum als Liebesreligion erschließt sich Ratzinger zufolge erst, wenn man es auch als Vernunftreligion faßt.
Die Manifestation des Sakramentalen und der Eucharistie sucht Ratzinger insbesondere durch die Schönheit der Liturgie sichtbar zu machen. Modernistische Auswüchse des II. Vaticanum gilt es dabei zu korrigieren (Wiederzulassung des Tridentinischen Ritus 2007). Am Beginn seines Pontifikates entfaltete die außerordentliche Intellektualität in Verbindung mit den übergreifenden Fundamenten kirchlicher Katholizität eine ungewöhnliche Strahlkraft, auch auf säkulare Intellektuelle und Journalisten. Es war eine einzigartige Koinzidenz, daß einer der herausragendsten Theologen seiner Zeit auf den Stuhl Petri gelangte. Die Politische Korrektheit und kuriale Pannen modifizierten dieses Urteil.
Der Papst führt aus dem Anspruch und der Überzeugtheit absoluter Wahrheit den Dialog mit den Weltreligionen, Ökumene versteht er primär im Blick auf die Ostkirchen und die Überwindung des Schismas von 1054. Sein Pontifikat ist neben der zentralen Frage von Glauben und Wissen, dem auch seine Regensburger Rede im September 2006 gewidmet war, auf den Glanz christlicher Wahrheit bestimmt, die er bei seinem Washington-Besuch 2008 besonders deutlich machte. Die Singularität der Katholischen Kirche auch in ihrer apostolischen Sukzession hat Benedikt XVI. wiederholt unterstrichen. Aus halboffiziellen Äußerungen aus früherer Zeit wird man annehmen dürfen, daß er um die katechontische (Carl Schmitt) Rolle der Una Sancta Ecclesia weiß und ihr besonderes Gewicht zuerkennt. So versteht er die Verpflichtung der Kirche auch dahingehend, Gegengewicht zu einer sich zunehmend säkularisierenden und an materiellen Interessen orientierten Moderne zu sein.
Die bisherigen Enzykliken widmeten sich der zentralen Liebesbotschaft christlichen Glaubens (Deus caritas est, 2006), wobei auch die physische Liebe zur Sprache kam; der Hoffnung (Spe salvi, 2007), worin die Differenz zwischen transzendenter Verheißung und innerweltlichem Utopismus noch einmal ausgetragen wurde. 2009 publizierte der Papst seine Sozialenzyklika Caritas in veritate, welche die katholische Soziallehre auf das Weltalter der Globalisierung hin fortschreibt.
Die Einheit der Kirche sieht Ratzinger eher in der Wiedergewinnung traditionalistischer Kreise (Pius-Bruderschaft) und im Primat des Petrusamtes auch für die anglikanische Kirche als in einer Konsensökumene sieht. Die aus dem politischen Parteienspektrum motivierte Kritik trifft die tieferen Anliegen des Theologen Joseph Ratzinger und des Papstes nicht.
Papst Benedikt XVI. verstarb am 31. Dezember 2022 in der Vatikanstadt.
– — –
Zitat:
Wo die reinsten und tiefsten religiösen Überlieferungen ganz abgelegt werden, trennt sich der Mensch von seiner Wahrheit, er lebt gegen sie und wird unfrei. Auch die philosophische Ethik kann nicht schlechthin autonom sein. Sie kann nicht auf den Gottesgedanken verzichten und nicht verzichten auf den Gedanken einer Wahrheit des Seins, die ethischen Charakter hat. Wenn es keine Wahrheit vom Menschen gibt, hat er auch keine Freiheit. Nur die Wahrheit macht frei.
– — –
Schriften:
- Gesammelte Schriften, Freiburg/Br. 2008ff (auf 16 Bde angelegt)
- Eschatologie. Tod und ewiges Leben. Regensburg 1966
- Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968
- Dogma und Verkündigung, München 21973
- Kirche, Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie, Einsiedeln 1987
- Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, München 1996
- Aus meinem Leben (1927–1977), Stuttgart 1998
- Glaube-Wahrheit-Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg/Br. 22003
- Werte in Zeiten des Umbruchs, Freiburg/Br. 2005
- Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung, Freiburg/Br. 2007
- Jesus von Nazareth, 2 Bde, Freiburg/Br. 2007/2011
– — –
Literatur:
- Heinz-Joachim Fischer: Benedikt XVI. Ein Porträt, Freiburg/Br. 2005
- Alexander Kissler: Der deutsche Papst. Benedikt XVI. und seine schwierige Heimat, Freiburg/Br. 2005
- Achim Pfeiffer: Religion und Politik in den Schriften Papst Benedikts XVI. Die politischen Implikationen von Joseph Ratzinger, Marburg 2007
- Werner Thiede (Hrsg.): Der Papst aus Bayern. Protestantische Wahrnehmungen, Leipzig 2010
- Hansjürgen Verweyen: Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007