Langemarck — Belgien, Westflandern

Auch heute noch wer­den die wenig­sten Besuch­er ohne innere Bewe­gung die wuchtige Torhalle mit den schw­eren Git­tertüren und den in Holz geschnit­te­nen Namen der Gefal­l­enen an den Wän­den passieren, den Ehren­hof betreten und dann das Gräber­feld von Lange­mar­ck sehen. Denn ohne Zweifel gehört der Fried­hof von Lange­mar­ck zu den ein­drucksvoll­sten erhal­te­nen Anla­gen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Das Are­al ist aus­gedehnt und wird durch einen Wasser­graben begren­zt, an dem noch drei Bunker erhal­ten sind, die die ehe­ma­lige Frontlin­ie markieren. Auf der dem Ein­gang gegenüber­liegen­den Seite wird es durch eine Mauer mit 52 Tafeln abgeschlossen, die die Namen der stu­den­tis­chen Verbindun­gen und Trup­pen­teile tra­gen, die sich beson­ders für die Errich­tung einge­set­zt haben.

Als man die Gestal­tung des Fried­hofs am 10. Juli 1932 abschloß, war »Lange­mar­ck« längst ein Sym­bol. Daß es sich zuerst um den Namen eines kleinen flämis­chen Ortes han­delte, trat schon während des Ersten Weltkriegs in den Hin­ter­grund. Das ist ein Schick­sal, das Lange­mar­ck – eigentlich »Lange­mark« – mit vie­len Orten teilt, an denen große Schlacht­en geschla­gen wur­den. Aber von ein­er großen Schlacht kann in diesem Fall gar keine Rede sein. Lange­mar­ck gewann seine Bedeu­tung im Grunde durch einen einzi­gen, mil­itärisch bedeu­tungslosen Stur­man­griff am 10. Novem­ber 1914, der den Anlaß gab, für jene berühmt gewor­de­nen Sätze aus dem Heeres­bericht: »West­lich Lange­mar­ck brachen junge Reg­i­menter unter dem Gesang “Deutsch­land, Deutsch­land über alles” gegen die erste Lin­ie der feindlichen Stel­lung vor und nah­men sie.«

Es sind früh Zweifel an der sach­lichen Richtigkeit dieser Darstel­lung geäußert wor­den – sehr viel spricht dafür, daß die Sol­dat­en san­gen, um nicht in eigenes Feuer zu ger­at­en –, aber die Wirkung hat das nicht beein­trächtigt. Die helden­haft stür­menden Kriegs­frei­willi­gen, die mit dem Deutsch­land­lied auf den Lip­pen siegten oder den Tod fan­den, erschienen wie ein großes mythis­ches Bild, das den »Ideen von 1914« Bestä­ti­gung gab. Diese Wirkung hat sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs keineswegs ver­loren, zumal es wegen der Nieder­lage keine andere Möglichkeit gab, als der Toten als Opfer zu gedenken. Während die eine Seite dieses Opfer für »sinn­los« hielt, betra­chtete es die andere als ver sacrum, als Hingabe der Jugend für den Fortbe­stand der Gemein­schaft. Entsprechende Ideen waren dur­chaus über den Bere­ich der nationalen und nation­al­is­tis­chen Ver­bände hin­aus ver­bre­it­et.

Der Lange­mar­ck-Kult wurde in den zwanziger Jahren von Vet­er­a­nen und Sportor­gan­i­sa­tio­nen, aber vor allem von Jugend­be­we­gung und Stu­den­ten­schaft getra­gen. Das hing mit der Vorstel­lung zusam­men, die »jun­gen Reg­i­menter« hät­ten in erster Lin­ie aus kriegs­frei­willi­gen Schülern und Hochschülern bestanden; seit 1928 waren Lange­mar­ck-Feiern an den Uni­ver­sitäten zur fes­ten Ein­rich­tung gewor­den, gle­ichzeit­ig kam es zur Ein­führung der »Lange­mar­ck- Spende«, die dem Zweck diente, eine würdi­ge Gedenkstätte für die Gefal­l­enen zu erricht­en.

Daß die Erin­nerung an Lange­mar­ck eine starke Klam­mer bildete, war auch am Lange­mar­ck-Buch der Deutschen Stu­den­ten­schaft zu erken­nen, das 1933 schon mit einem Vor­wort des neuen Reich­skan­zlers Adolf Hitler aber auch mit einem Beitrag des »kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tionärs« Edgar J. Jung erschien, der im fol­gen­den Jahr von der SS getötet wer­den sollte. Die Nation­al­sozial­is­ten kon­nten sich in bezug auf Lange­mar­ck der Tra­di­tio­nen bedi­enen, die sie vor­fan­den. Eine Kor­rek­tur gab es nur insofern, als man betonte, daß es sich bei den Sol­dat­en keineswegs nur um Stu­den­ten gehan­delt habe, son­dern auch um Handw­erk­er und Arbeit­er, so daß weniger an einen elitären Zuschnitt, eher an eine Repräsen­ta­tion der »Volks­ge­mein­schaft« zu denken war. Vor allem aber hat das Regime – hier wie in anderen Fällen – über­nom­men, vere­in­seit­igt und instru­men­tal­isiert. In den Zusam­men­hang gehörte die Inten­sivierung des Lange­mar­ck-Kults durch Hitler-Jugend und Reichsstu­den­ten­führung, die Ein­führung von »Lange­mar­ck-Studi­um« (für begabte Hochschüler aus armen Fam­i­lien) und »Lange­mar­ck-Wet­tkämpfen« unter Ein­schluß von Diszi­plinen mil­itärischen Charak­ters.

Ihren stärk­sten Aus­druck fand diese Art sym­bol­is­ch­er Poli­tik 1936 in der Errich­tung der Lange­mar­ck­halle unter­halb des Glock­en­turms auf dem Berlin­er Olympia-Gelände. Es han­delt sich um einen Raum, der nach dem Vor­bild eines antiken Tem­pels errichtet wurde – sog­ar das Deck­enge­bälk hat­te man in Beton imi­tiert – und mit seinem »Erd­schrein«, der Erde des Schlacht­felds enthielt, zu einem zen­tralen Ort des Gefal­l­enen-Kults gemacht wer­den sollte, der für die poli­tis­che The­olo­gie des Sys­tems eine entschei­dende Rolle spielte. Sin­n­fäl­lig wurde das an den Sätzen, die  man an den bei­den Seit­en­wän­den anbrachte: Hölder­lins »Lebe droben, o Vater­land, / Und zäh­le nicht die Toten! Dir ist, / Liebes! Nicht Ein­er zu viel gefall­en« an der einen,  an der anderen das Flex-Zitat: »Ihr heili­gen grauen Rei­hen / geht unter Wolken des Ruhms / und tragt die bluti­gen Wei­hen / des heim­lichen König­tums!« Die Lange­mar­ck­halle war nicht nur ein Ort des Gedenkens, son­dern mehr noch ein ständi­ger Appell an die »Opfer­bere­itschaft« der Jun­gen. Welche Kon­se­quenz das hat­te, ließ sich nach dem Beginn des Zweit­en Weltkriegs ermessen, als die Lange­mar­ck­halle auch dem Gedenken an die Gefal­l­enen des neuen Kampfes diente. Zu diesem Zeit­punkt begann das Sym­bol »Lange­mar­ck« aber schon an Kraft zu ver­lieren. Nach dem Zusam­men­bruch und der anschließen­den Zer­störung von Teilen des Olympiagelän­des ver­fiel die Lange­mar­ck­halle, wurde dann pro­vi­sorisch wieder­hergestellt und aus baulichen Grün­den erneut geschlossen; seit dem Som­mer 2006 ist sie in restau­ri­ertem Zus­tand wieder zugänglich.

Begrüßenswert ist die Behut­samkeit der Wieder­her­stel­lung, die – abge­se­hen von den Fen­stern zwis­chen den Säulen, deren Anbringung Hitler aus­drück­lich ver­boten hat­te – den Orig­i­nalzu­s­tand weit­ge­hend bewahrt. Auf eine volk­späd­a­gogisch motivierte Dekon­struk­tion wurde jeden­falls verzichtet.

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Lit­er­atur:

  • Lange­mar­ck – Ein Ver­mächt­nis. Worte von Josef Mag­nus Wehn­er, am 10. Juli 1932, zur Stunde der Über­nahme des Gefal­l­enen-Fried­hofs in Lange­mar­ck durch die Deutsche Stu­den­ten­schaft, gesprochen an allen deutschen Hochschulen, ver­bun­den mit Briefen Gefal­l­en­er, München 1932
  • Rain­er Rother (Hrsg.): Geschicht­sort Olympiagelände, Berlin 2006
  • Karl Unruh: Lange­mar­ck. Leg­ende und Wirk­lichkeit, Koblenz 1986